Rechtsrock in Thüringen

Der Sound der »national befreiten Zone«

In den vergangenen Jahren hat sich Thüringen zum Lieblingsterrain der deutschen Rechtsrockszene entwickelt. Weil im Freistaat zahlreiche Immobilien im Besitz von Rechtsextremen sind, können vor allem kleinere Konzerte ungestört von staatlichen Eingriffen über die Bühne gehen.

Nach Angaben der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Thüringen (Mobit) hat sich im vergangenen Jahr die Zahl der von Neonazis orga­nisierten Musikveranstaltungen nahezu verdoppelt. Von 27 Konzerten im Vorjahr stieg die Zahl auf 47 im Jahr 2015. Keines dieser Konzerte wurde durch die Polizei frühzeitig aufgelöst oder von vornherein verhindert, anders als in den Jahren zuvor. Diese Planungssicherheit machte das Bundesland so attraktiv für die Veranstalter kleinerer wie auch größerer Rechtsrock-Events.
Nicht alle dieser Konzerte waren kommerziell erfolgreich. »Die seit Jahren bestehenden Veranstaltungsreihen wie ›Rock für Deutschland‹ oder der ›Thüringentag der nationalen ­Jugend‹ haben erhebliche Mobilisierungsprobleme oder finden teils gar nicht mehr statt«, sagte ein Sprecher von Mobit der Jungle World. Hingegen sei »die Zahl der ›normalen‹ Konzerte in geschlossenen Räumen« in Thüringen deutlich angestiegen. Mobit erklärt diese Entwicklung zum einen damit, dass man »in Thüringen rechtssicher Neonazikonzerte mit bis zu 200 Per­sonen durchführen kann, ohne mit einer Auflösung rechnen zu müssen«. Ein weiterer Grund seien die Strukturen, die sich in den vergangenen Jahren herausgebildet hätten und »bundesweit agierende Kader anziehen«. Ein Beispiel dafür sei der NPD-Funktionär Patrick Schröder aus dem benachbarten Bayern. Gemeinsam mit dem Neonazikader Tommy Frenck aus Kloster Veßra (Landkreis Hildburghausen) organisierte er Anfang Mai in Südthüringen die Rechtsrockveranstaltung »Rock für Identität«.
Sie lockte rund 3 500 Neonazis aus zahlreichen europäischen Ländern an. Seit über fünf Jahren gab es in Deutschland kein Nazikonzert mehr, das derart viele Besucher verzeichnen konnte. »In der braunen Wohlfühlzone Hildburghausen wird den Nazis die Stadt überlassen«, empörte sich die Antifa Suhl/Zella-Mehlis. Mitverantwortlich dafür seien die örtlichen Behörden. Sie hätten auf die Anmeldung des Open-Air-Konzerts mit »dummen Auflagen« reagiert. Im Gegensatz zum Vorjahr untersagten sie den Ausschank von Getränken auf dem Festivalgelände bis zum frühen Abend. Diese Anordnung verstanden die Neonazis als Einladung, »sich in großen Gruppen durch die südthüringische Kleinstadt zu bewegen«. Südthüringischen Antifaschisten zufolge standen »an fast jeder Ecke zum Teil Hunderte Nazis herum, tranken Bier und machten ihre Ankündigung in Hildburghausen endgültig wahr, eine ›national befreite Zone‹ zu errichten«. Zuvor hatten antifaschistische Gruppen Migranten, ­örtliche Antifaschisten und alternative Jugendliche »zu äußerster Vorsicht« aufgerufen und rieten »von einem Besuch in Hildburghausen für diesen Tag« ab. Hinterher sprach der Bürgermeister Holger Obst (CDU) von einem »der schwärzesten Tage der Stadt«.
Die lokalen Behörden waren jedoch vorgewarnt. »Wir hatten bereits im Vorfeld mit einer entsprechend hohen Teilnehmerzahl gerechnet und auch andere Behörden darüber informiert«, sagte der Präsident des thüringischen Inlandsgeheimdienstes, Stephan Kramer, gegenüber der Welt. Kramer konstatierte, dass sich Thüringen zu einem bevorzugten Veranstaltungsraum für die rechtsextreme Musikszene entwickelt habe. Er forderte, dass Thüringen »kein Rückzugsort für Neonazis und Tummelplatz für braune Musiker« sein dürfe.
Die Realität ist aber eine andere, insbesondere in Südthüringen. So finden nach Recherchen antifaschistischer Gruppen in der Gemeinde Kirchheim im Ilm-Kreis regelmäßig derar­tige Konzerte statt. »Im Hotel ›Erfurter Kreuz‹, dem früheren Veranstaltungszentrum ›Erlebnisscheune‹ in Kirchheim, haben die Nazis einen Veranstaltungsort gefunden, in dem Vorträge, NPD-Landes- und Bundesparteitage, Konzerte und auch andere Veranstaltungen stattfinden können«, sagte die Antifa Suhl/Zella-Mehlis der Jungle World.
Ein weiterer wichtiger Veranstaltungsort ist die von Frenck betriebene Gaststätte »Goldener Löwe« in Kloster Veßra. Dort fänden den Recherchen der Antifaschisten aus Südthüringen zufolge neben dem »regulären Gaststättenbetrieb regelmäßig Konzerte mit Bands wie ›Kategorie C‹, ›Lunikoff-Verschwörung‹ sowie Schulungsveranstaltungen« statt. So sei zum Beispiel im März die bekannte Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck zu Gast im »Goldenen Löwen« gewesen. Frenck sitzt für das rechtsextreme »Bündnis Zukunft Hildburghausen« (BZH) im Kreistag und betreibt den Online-Shop »Druck 18«. Die Zahl »18« ist unter Neonazis ein beliebter Code für Adolf Hitler.
Für Samstag wird ein weiteres Freiluftkonzert der Neonaziszene intensiv im Internet beworben. Es wäre das fünfte Rechtsrock-Open-Air-Konzert in Thüringen in diesem Jahr – so viele gab es innerhalb eines Jahres noch nie. Die Flyer weisen dem Rechercheportal »Thueringenrechtsaussen« zufolge »Ähnlichkeiten zur Veranstaltungsreihe ›Rock am Kreuz‹ in der Erlebnisscheune in Kirchheim auf«. Die Organisatoren geben in sozialen Netzwerken an, dass das Konzert von 12 bis 24 Uhr im »Raum Weimar« stattfinden werde. Neben einem parteiübergreifenden Rednerprogramm werden fünf Bands angekündigt. Unter anderem sollen »Die Lunikoff-Verschwörung«, »Uwocaust« und »Frontfeuer« aus Brandenburg und die Schweizer Band »Treueorden« auftreten.
Unter den angekündigten Rednern befinden sich neben anderen Matthias Fiedler von der NPD Eichsfeld und Axel Schlimper, Gebietsleiter des Holocaustleugner-Netzwerks »Europäische Aktion« und rechter Politbarde. Auch der »Freie Aktivist« Michael ­Zeise aus Erfurt, der bis zu ihrem Verbot vor fünf Monaten die Thüringer Sektion der »Weißen Wölfe Terrorcrew« (WWT) geleitet haben soll, wird angekündigt. Beim »Thüringentag der nationalen Jugend« am 10. Juni in Sömmerda trat er »Thueringenrechtsaussen« zufolge als Redner auf und verkündete vor laufender Kamera: »Wir werden mit Hunderten sportlichen Kerlen durch die roten Viertel laufen und notfalls Kommunisten auf die Fresse hauen.« Zwei weitere für den 20. August angekündigte Redner sollen der neonazistischen Kleinpartei »Der III. Weg« nahestehen beziehungsweise ihr angehören: Nico Metze, der seit kurzem stellvertretender Leiter des »Stützpunkt Ostthüringen« von »Der III. Weg« sein und zum engen Umfeld des mutmaßlichen NSU-Unterstützers Ralf Wohlleben gehören soll. Nach dessen Inhaftierung habe Metze Spendengelder für Wohlleben gesammelt, so »Thueringenrechtsaussen«. Robert Köcher ist Sprecher der rechten »Bürgerinitiative Wir lieben Ostthüringen« und tritt »Thueringenrechtsaussen« zufolge bei Aktionen mit Kleidung der Partei »Der III. Weg« auf.
Kooperationen über Parteigrenzen hinweg sind in der Rechtsrockszene keine Seltenheit. Solche Events waren nach Angaben von Mobit »schon immer Sammelpunkte der gesamten Szene«. Vordergründig seien vor allem größere Konzerte »nicht auf eine Partei oder Organisation ausgerichtet«, weil es im subkulturellen Neonazimilieu nicht so sehr um die jeweilige Organisationszugehörigkeit gehe, sondern vielmehr um die kollektive Stilisierung als »nationaler Widerstand«.