Australien will seine Offshore-Flüchtlingscamps nicht schließen

Insel des Grauens

Geleakte Berichte über das hohe Ausmaß an Gewalt gegen Asylsuchende in Internierungslagern auf der Pazifik-Insel Nauru verstärken die Proteste gegen die rigide australische Asylpolitik. Die Regierung will die sogenannten Offshore-Camps dennoch nicht schließen.

Körperliche Übergriffe, sexueller Missbrauch, Selbstmordversuche und durchweg katastrophale Lebensbedingungen bestimmen den Alltag der derzeit 469 auf Nauru internierten Asylsuchenden und Flüchtlinge. Als kleinster Inselstaat der Welt mit einer Fläche von lediglich 21 Quadratkilometern und knapp über 10 000 Einwohnern beherbergt das abgelegene Nauru seit Ende 2012 Hunderte Asylsuchende, die von Australien dorthin auf unbestimmte Zeit verlegt wurden. Die tagtäglichen Grausamkeiten, die trotz weitreichender Nachrichtensperre seit geraumer Zeit ein offenes Geheimnis sind, wurden nun durch 2 116 geleakte und insgesamt mehr als 8 000 Seiten umfassende Berichte bestätigt.
Am 10. August veröffentlichte der Guardian die ihm zugespielten Unterlagen, die die Routine der Gewalt dokumentieren: In 51,3 Prozent der Berichte geht es um Missbrauch und Gewalt gegen asylsuchende Kinder, sie leiden überdurchschnittlich darunter, obwohl sie nur knapp ein Fünftel der auf Nauru festgehaltenen Menschen ausmachen. Nach Einschätzungen von Mitarbeitern der Organisation Save the Children, die vor Ort gearbeitet haben, handele es sich bei diesen Zahlen nur um die »Spitze des Eisbergs«. Die Dokumente umfassen lediglich den Zeitraum Mai 2013 bis Oktober 2015. Bereits vor zwei Jahren sagte Peter Young, der ehe­malige leitende Psychiater aller australischen Internierungslager, dass die schlechte Behandlung von Flüchtlingen die Absicht verfolge, diese zur Rückkehr in ihre Herkunftsländer zu bewegen.
Das Bekanntwerden der Vorfälle auf Nauru verstärkt die Forderungen nach der sofortigen Schließung der sogenannten Offshore-Camps. Getragen wird der Protest von australischen Menschenrechtsorganisationen und religiösen Gruppen sowie medizinischen Experten, aber auch internationale Organisationen wie Human Rights Watch, Amnesty International und das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) haben sich den Forderungen angeschlossen. Erst im April, während des Besuchs von UNHCR-Vertretern auf Nauru, hatte sich ein junger iranischer Flüchtling aus Protest über seine ungerechte Internierung selbst in Brand gesetzt und erlag kurz darauf seinen schweren Verletzungen.
Mit den Offshore-Camps beabsichtigt die Regierung, weitere potentielle Asylsuchende von der Bootsüberfahrt nach Australien abzuhalten und sie zum Verharren in Transitländern wie Indonesien oder Malaysia zu zwingen. Obwohl Australien die Unterbringung der Asylsuchenden in den Camps mit über 1,2 Milliarden Australischen Dollar (820 Millionen Euro) vollständig abdeckt, lehnt die Regierung jegliche ­politische Verantwortung für das Wohl der Asylsuchenden ab. Der Betrieb der Camps ist an private Sicherheitsfirmen wie Broadspectrum (ehemals Transfield Services) und ihr Subunternehmen Wilson Security ausgelagert. Mitarbeiter von Wilson Security wurden wiederholt des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen bezichtigt.
Nauru ist nicht die einzige Insel, auf die Australien ungewollte Asylsuchende verfrachtet. Ebenfalls seit 2012 hat die australische Regierung Vereinbarungen mit dem benachbarten Papua-Neuguinea getroffen, um auf der Insel Manus mehr als 1 000 Menschen unterzubringen. Selbst nach rechtlicher Anerkennung der Asylanträge weigert sich ­Australien, diese Menschen aufzunehmen. Angebote aus Neuseeland, 150 Flüchtlinge dorthin umzusiedeln, wurden mehrfach von Australien abgelehnt. Stattdessen beharrt die australische Regierung darauf, dass die Flüchtlinge an Ort und Stelle – also im verarmten Nauru und in Papua-Neuguinea, das neben hoher Korruption auch die höchste Gewaltrate im Pazifikraum hat – angesiedelt werden.
Im April entschied der Oberste Gerichtshof in Papua-Neuguinea, dass die Unterbringung von Asylsuchenden in Camps gegen die Verfassung verstoße und ordnete die unverzügliche Frei­lassung der Asylsuchenden und Flüchtlinge an. Obwohl die Flüchtlinge in ­Manus nun nicht länger in Camps leben müssen, ist für viele das Leben in »Freiheit« zu gefährlich. Wiederholt kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Einheimischen und Flüchtlingen, so dass einige von ihnen letztlich wieder Zuflucht in den Camps suchten.
In einem Folgegerichtsverfahren ordnete der Oberste Gerichtshof in Papua-Neuguinea an, dass Australien unverzüglich einen Plan für die Umsiedlung der verbleibenden Flüchtlinge ausarbeiten müsse, doch davon zeigt sich die australische Regierung weitestgehend unbeeindruckt. Sowohl sie selbst als auch die Opposition halten an den Offshore-Camps fest, eine unmittelbare Schließung ist nicht abzusehen. Peter Dutton, der Minister für Einwanderung und Grenzsicherung, behauptete nach Bekanntwerden der geleakten Berichte, Flüchtlinge würden Misshandlungen erfinden und sich selbst verletzen, um nach Australien zu gelangen. Oppositionsführer Bill Shorten, der Vorsitzende der Labor-Partei, verlangt lediglich mehr Kontrolle und die Ernennung eines speziellen Beauftragten für internierte Flüchtlingskinder.
Mehr Transparenz würde jedoch das fundamentale Problem – die Internierung von Flüchtlingen auf abgelegenen Pazifikinseln ohne jegliche Aussicht auf ein selbstbestimmtes Leben – auch nicht lösen. Selbst wenn die Flüchtlinge irgendwann einmal die Inseln verlassen, die ihnen dort zugefügten Traumata werden sie nicht so schnell hinter sich lassen. Vor allem bei den Kindern sind lebenslange Folgen zu befürchten.