Der Kampf gegen den »Islamischen Staat« im libyschen Sirte

Der Kampf um Sirte und die Folgen

Milizen aus Misrata sind kurz davor, die libysche Hochburg des »Islamischen Staats« endgültig einzunehmen. An der politischen Fragmentierung des Landes ändert das nichts.

Nicht nur in Syrien und im Irak, auch in Libyen gerät der »Islamische Staat« (IS) immer stärker unter Druck. Die libysche Küstenstadt Sirte, die Bastion des IS im Land, werde »sehr bald« von der Terrormiliz befreit sein, sagte Martin Kobler, der UN-Sondergesandte für Libyen, am Samstag bei einem Besuch in Algier.
Vor vier Monaten begannen die harten Kämpfe um Sirte, seit dem 1. August bombardierte die US-amerikanische Luftwaffe die Stellungen der IS-Jihadisten, die offenbar nur noch in einem Stadtteil Sirtes präsent sind. Ihr Hauptquartier fiel im August in die Hände der Milizen, die die von den UN gestützte nationale Einheitsregierung (GNA) in Tripoli entsandt hatte. Nach Angaben internationaler Beobachter sind in Libyen schätzungsweise 5 000 bis 7 000 IS-Kämpfer präsent.
Seit dem Sturz des autoritären Regimes von Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 hat in Libyen ein Zerfall der staatlichen Strukturen eingesetzt, der sich in der Herrschaft Hunderter rivalisierender Milizen manifestiert. Im Zuge des Bürgerkriegs seit 2014 brachte der IS Sirte im Juni vergangenen Jahres unter seine Herrschaft und baute es zu seiner Hochburg in Libyen aus; zeitweise kontrollierte er einen 250 Kilometer langen Küstenstreifen.
Der endgültige Verlust des 450 Kilometer östlich von Tripoli gelegenen Sirte wäre zwar ein schwerer Rückschlag für den IS, aber die Probleme des Landes bleiben gewaltig. Fraglich ist zunächst, ob die Milizen, die dabei sind, die Überreste des IS in Sirte zu zerschlagen, weiterhin die Autorität der GNA akzeptieren oder ihre eigene Agenda verfolgen werden. Sie stammen überwiegend aus der Hafenstadt Misrata und sind islamistisch dominiert.
Darüber hinaus ist die politische Macht in Libyen stark fragmentiert. In der östlichen Stadt al-Bayda sitzt eine Regierung, gestützt vom Parlament in Tobruk, die einstmals international anerkannt war, mittlerweile aber hauptsächlich von Ägypten und einigen arabischen Golfemiraten unterstützt wird. In Bengasi, der größten libyschen Stadt im Osten, residiert der stärkste militärische Führer des Landes, General Khalifa Haftar, der im Februar bekannt gab, er habe Bengasi von islamistischen Milizen gesäubert. Die Regierung in al-Bayda wie auch Haftar trauen den Milizen aus Misrata nicht und kritisieren die UN-gestützte GNA, beide verfolgen eine antiislamistische Agenda. Diese richtet sich insbesondere auch gegen das den Muslimbrüdern nahestehende Milizenbündnis in Tripoli, das dort ein Parlament installiert hat, von Katar und der Türkei unterstützt wird und weitgehend unabhängig agiert. Das sunnitische Schisma zwischen Unterstützern und Gegnern der Muslimbruderschaft – hier die Türkei und Katar, dort Ägypten und die Emirate – reproduziert sich somit auch in Libyen.
Die administrative Spaltung des Landes zwischen Ost und West manifestiert sich auch darin, dass mittlerweile zwei unterschiedliche Währungen bestehen. Seit dem 1. Juni gibt die Zentralbank in Tobruk ihre eigene Währung heraus, die in Russland hergestellt wird, während die Zentralbank in Tripoli ihr Geld in Großbritannien druckt.
Die UN-gestützte GNA hat sich Ende März in Tripoli installiert, aber das Parlament in Tobruk unterstützt sie nicht. Das schafft Probleme; eine Resolution des UN-Sicherheitsrats vom 23. Dezember erklärte, die GNA solle die »legitime Regierung« sein, aber das Tobruker Parlament müsste einem Kabinett zustimmen – was es nicht tut. International wird die GNA von den USA und der EU anerkannt, aber Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und Russland erkennen weiterhin die Regierung in Tobruk an. Zu allem Überfluss hat Frankreich, das die GNA formal unterstützt, im Juli eingestanden, dass französische Spezialeinheiten mit Tobruks Armee im Osten zusammenarbeiten, nachdem drei französische Soldaten bei einem Helikopterabsturz ums Leben gekommen waren. Nach Angaben von Le Monde von Februar unterstützen französische Einheiten General Haftar.
Um gegen die politische Fragmentierung Libyens vorzugehen und der GNA eine breitere Anerkennung zu verschaffen, halten die UN seit Montag Krisengespräche mit den libyschen Fraktionen in Tunis ab. Ergebnisse waren bis Redaktionsschluss nicht bekannt.