Die türkische Regierung geht gegen die Tageszeitung »Cumhuriyet« vor

Feindliche Übernahme

Die türkische Staatsanwaltschaft geht gegen die letzte große regierungskritische Zeitung des Landes vor.

Regierungssprecher Numan Kurtulmuş befand es offenbar nicht einmal für nötig, seine Aussagen zum Vorgehen gegen die Tageszeitung Cumhuriyet halbwegs mit der Erklärung der zuständigen Staatsanwaltschaft abzustimmen. Nein, mit den Veröffentlichungen der Cumhuriyet habe die Operation gar nichts zu tun, es gehe nur um eine Untersuchung im Zusammenhang mit der Stiftung, der die Cumhuriyet gehört. Da wolle er keine politische Wertung vornehmen, man solle doch das Ende der Untersuchung abwarten, so Kurtulmuş.
Am Montagmorgen hatte die Staatsanwaltschaft hingegen erklärt, die Festgenommenen würden beschuldigt, die als terroristische Organisation betrachtete Sekte Fethullah Gülens unterstützt zu haben, ebenso die PKK und die syrisch-kurdische Miliz YPG. Letztere ist mit den USA verbündet, wird von der Türkei aber als terroristische Organisation betrachtet. Außerdem sollen die Beschuldigten vor dem Putschversuch am 15. Juli in Veröffentlichungen eine gewaltsame Machtübernahme gerechtfertigt haben.
Dass es um die Stiftung eher indirekt geht, zeigt schon der Umstand, dass neben mehreren Mitarbeitern der Cumhuriyet-Stiftung sieben Journalisten und Musa Kart festgenommen wurden, einer der ersten Karikaturisten, die von Recep Tayyip Erdoğan angezeigt wurden. Kart hatte den damaligen Ministerpräsidenten als Katze gezeichnet, es war eine recht zahme Karikatur. Damals verlor Erdoğan den Prozess in der zweiten Instanz.
Unter den Festgenommenen befinden sich auch der Chefredakteur Murat Sabuncu und mehrere bekannte Kolumnisten. Es ist unklar, was ihre Festnahme und die Durchsuchung ihrer Wohnungen mit Vorgängen in der Stiftung zu tun haben sollen. Sie dürfen erst fünf Tage nach der Festnahme mit einem Anwalt sprechen. All dies geschieht dem Regierungssprecher zufolge wegen einer Unregelmäßigkeit bei einer Wahl innerhalb einer Stiftung.
Die Erklärung des Staatsanwalts strotzt nicht weniger von offensichtlichem Unsinn. Wenn eine Zeitung in der Türkei über die Gülen-Bewegung seit Jahrzehnten besonders kritisch berichtet hat, so ist es die laizistische Cumhuriyet. Der Staatsanwalt wertet die bekannte kritische Haltung der Zeitung zu Erdoğan und der AKP nun als Versuch, den gescheiterten Putsch vom 15. Juli zu legitimieren – eine besondere Art der Logik.
Trotz dieser Unstimmigkeiten zerrte die Polizei den 75jährigen Kolumnisten Aydın Engin am frühen Morgen auf die Straße und anschließend in ein Polizeiauto. Nach dem Putsch 1980 war er schon einmal festgenommen und zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Durch einen Fehler der Justiz konnte er nach Deutschland entkommen. Nach langem Exil kehrte er zurück, war wieder bei der Cumhuriyet, zeitweise als deren Chefredakteur, trennte sich von der Zeitung, wurde Chefredakteur der kleinen armenischen Zeitung Agos, deren vorheriger Chefredakteur Hrant Dink ermordet worden war. Dann kehrte Engin als Kolumnist zur Cumhuriyet zurück. Diese hat sich, auch mangels anderer Möglichkeiten, zur letzten Bastion der freien Presse entwickelt. Sehr bleich sah Engin aus, als man ihn wegführte. Seine Stimme war kaum zu hören, doch seine Antwort auf die Frage, warum man ihn festgenommen habe, war wie alle seine Kommentare unaufgeregt, aber treffend: »Ich arbeite für die Cumhuriyet, reicht das nicht?«
Vor acht Jahren wurde der damalige Chefkolumnist der Cumhuriyet, İlhan Selçuk, wegen einer abstrusen Anschuldigung festgenommen, die sich mittlerweile als Komplott herausgestellt hat. Damals ging ein Aufschrei durch die Medien, Selçuk wurde aus der Untersuchungshaft entlassen. Verglichen damit war die Solidarität mit der Cumhuriyet in den türkischen Medien diesmal äußerst bescheiden. In der Tageszeitung Sabah behauptete die Kolumnistin Hilâl Kaplan, die Cumhuriyet sei in die Hände von Anhängern Gülens und der PKK geraten. Von diesen werde sie nun gesäubert und dann echten »Atatürkisten« zurückgegeben – eine eigenwillige Interpretation der Ziele der Regierung.
Drei Tage zuvor hatte Kaplan einen Artikel mit der Überschrift »Die Hürriyet baumelt an der Angel der Terrororganisation Fethullah Gülens« geschrieben. Noch ist die Tageszeitung Hürriyet nicht ganz gleichgeschaltet, im Gegensatz zu so vielen anderen Medien in der Türkei, die von Geschäftsleuten übernommen wurden, deren Unternehmen von staatlichen Aufträgen leben.
Die Stiftungskonstruktion der Cumhuriyet hat bisher die Übernahme durch einen regierungsnahen Unternehmer verhindert. Doch nun wurde der gesamte Vorstand festgenommen. Damit gibt es einen Vorwand, um wie in anderen Fällen einen Treuhänder einzusetzen. Vielleicht findet sich sogar ein ehemaliger Mitarbeiter der Zeitung, damit es schöner aussieht. Der Kommentar in der regierungsnahen Sabah deutet die Möglichkeit eines solchen Vorgehens bereits an.
Wie es weitergehen könnte, weiß man von anderen Medien. Der Treuhänder ruft die Polizei, die die Redak­tionsräume besetzt. Das Personal wird ausgewechselt. Vom nächsten Titelblatt lächelt Erdoğan und ein Artikel lobt die Weisheit der Herrschenden. Die Bundesregierung sagt auf Anfrage etwas von tiefer Besorgnis wegen der Pressefreiheit in der Türkei und der Vorsitzende des EU-Parlaments ist 14 Tage lang empört.