neue Entwicklungen in der Reproduktionsmedizin

Für das eigene Kind

Die Reproduktionsmedizin entwickelt sich rasch. Im September wurde die Geburt eines Drei-Eltern-Babys gemeldet. Im Oktober machte die Herstellung funktionstüchtiger Eizellen aus Mäusehaut Schlagzeilen und kürzlich hieß es, die WHO wolle ihre Definition von Unfruchtbarkeit ausdehnen.

Japanischen Forschern von der Universität Fukuoka ist es erstmals gelungen, Hautzellen zu embryonalen Stammzellen zurückzuprogrammieren und sie anschließend außerhalb des Körpers einer Maus wieder in Eizellen umzuwandeln. Ganz von selbst haben sich die Eizellen der Entwicklungsbiologen Orie Hikabe und Katsuhiko Hayashi allerdings nicht entwickelt. Um eine eierstockähnliche Atmosphäre herzustellen, mussten in der Petrischale auch »normale« Eizellen schwimmen. Welche Botenstoffe dabei wann welche Prozesse auslösten, ist nicht geklärt. Doch trotz dieser Unklarheiten handelt es sich um einen weiteren Schritt zur Reproduktion im Labor. Im Jahr 2012 war es Hayashi bereits gelungen, Vorstufen von Eizellen herzustellen, die allerdings einige Zeit im Eierstock einer weiblichen Maus verbleiben mussten, um volle Funktionsfähigkeit zu erlangen. Auch Spermien konnten über den Umweg von Mäusehoden produziert werden. Bei dem jetzt in der Fachzeitschrift Nature vorgestellten Verfahren findet auch die Reifung und somit der gesamte Prozess in der Petrischale statt. Um zu beweisen, dass die künstlichen Eizellen wirklich funktionieren, haben die Reproduktionsbiologen diese per In-vitro-Fertilisation (IVF) befruchtet und weiblichen Mäusen eingesetzt. Die Erfolgsquote: 3 000 Eizellen, 316 Embryonen, elf geborene Mäuse, die alle »gesund und fruchtbar« gewesen sein sollen. Wann diese Technik jedoch auf Menschen übertragbar sein könnte, ist unklar. Mindestens zehn Jahre brauche die Forschung Hayashi zufolge noch, um eine Vorstufe menschlicher Keimzellen herstellen zu können. Eine so niedrige Erfolgsrate wie in der Mäuse-Studie wäre wohl für Menschen nicht hinnehmbar. Wenn schon der ganze Aufwand für genetisch eigene Kinder betrieben wird, dann sollen diese selbstverständlich alle gesund und fruchtbar sein. Die Forscher betrachten ihre Ergebnisse als Grundlagenforschung zum Verständnis der Zellentwicklung. Die Presse interessiert sich hingegen mehr für die möglichen Folgen einer Anwendung am Menschen. Eizellenspenden könnten zukünftig »überflüssig werden«, schreibt Die Welt, die Süddeutsche Zeitung beschwört eine mögliche »Welt ohne Sex«. Die Taz ­feiert eine »regelrechte Revolution für das Geschlechterverhältnis«, wenn nicht mehr nur ältere Männer mit einer jungen Frau eine neue Familie gründen könnten, sondern auch ältere Frauen. Über den positiven gleichberechtigenden Effekt für homosexuelle Paare, die miteinander genetisch ei­gene Kinder bekommen könnten, ist man sich einig. Nur die Idee, dass dann auch eine einzelne Person mit sich selbst ein Kind zeugen könnte, scheint alle zu beunruhigen. Noch ist die Frau, der die befruchtete Eizelle eingesetzt wird und die das Kind austragen müsste, nicht verzichtbar – obwohl auch daran bereits gearbeitet wird. Einen Durchbruch bei der Lebensdauer von menschlichen Embryonen in vitro vermeldeten britische und US-amerikanische Forscher im Mai. Ihnen war es gelungen, die Embryonenentwicklung volle 14 Tage zu ­gewährleisten. Danach wurde das Experiment in Übereinstimmung mit ­internationalen Vereinbarungen abgebrochen. Andere Wissenschaftler forderten daraufhin, diese Regelung aufzuheben, um die Forschung zukünftig nicht zu behindern. Im September dann wurde die Geburt eines Drei-Eltern-Babys bekanntgegeben. Bei dieser Methode soll die Vererbung bestimmter genetischer Dispositionen, die in den Mitochondrien der Eihülle angesiedelt sind, vermieden werden, indem der Kern der Eizelle der Wunschmutter in die entkernte Eihülle einer anderen Frau übertragen wird. Das Kind war ein halbes Jahr vor der Veröffentlichung zur Welt gekommen und gilt als gesund. Die Prozedur wurde von US-amerikanischen Reproduktionsmedizinern in Mexiko durchgeführt. Das Verfahren ist in den USA und in Deutschland verboten. Eine ähnliche Methode ist in Großbritannien hingegen erlaubt. Dort werden die Kerne aus bereits befruchteten Eizellen ausgetauscht und die entstandenen Embryonen vor dem Einsetzen einer Qua­litätsprüfung unterzogen. Mitochondriopathien sind selten. Etwa eine von 5 000 Frauen ist betroffen. Mit der Möglichkeit des Mitochondrientransfers wächst bei betroffenen Frauen die Hoffnung auf ein leibliches Kind. Die Risiken der unterschiedlichen Verfahren sind allerdings noch unklar, die bisherigen Tierversuche sind wenig aussagekräftig. Kriterien für eine ideale Spenderinneneihülle, die nicht zu Abstoßungen führt, gibt es genauso wenig wie Langzeitrisikoabschätzungen. Außerdem lässt sich in der Praxis kaum vermeiden, dass beim Transfer des Zellkerns auch einige Mitochondrien übertragen werden. Einer kürzlich publizierten Studie US-amerikanischer Forscher zufolge stieg das Verhältnis der am Zellkern eingeschleppten Mitochondrien zu denen in der Eihülle von etwa einem Prozent am Anfang auf über 50 Prozent nach 36 Runden der Zellvermehrung. Parallel zu diesen technischen Entwicklungen gibt es bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Diskussionen, die Definition von Unfruchtbarkeit auszuweiten. Bisher gilt die Unfähigkeit eines heterosexuellen, nicht verhütenden und regelmäßig sexuell aktiven Paares, innerhalb eines Jahres eine Schwangerschaft zu erreichen, als Unfruchtbarkeit. Diese Definition hat Einfluss auf die öffentliche Finanzierung künstlicher Befruchtung in vielen Ländern. Nach der möglichen Neudefini­tion könnten alle Menschen, die einen Kinderwunsch, aber keinen Partner haben, mit dem diese Kinder zu zeugen wären, ab dem nächsten Jahr als unfruchtbar gelten. Das berichtete der britische Telegraph unter Berufung auf den amerikanischen Arzt David Adamson, der an den neuen Standards mitarbeitet. Das Recht jedes Menschen auf Familie solle so festgeschrieben werden. Allerdings kann das so gestreute Gerücht auch ein Versuch sein, Druck auf die Gesundheitsorganisation auszuüben. Adamson ließ sich mit der Aussage zitieren, es handele sich bei der Definition um einen »gesetzesartigen Standard«, der die Länder zu seiner Einhaltung verpflichte. Ein solches Recht würde die internationale Gesundheitsversorgung beeinflussen. Es würde auch ein Recht auf den Zugriff auf Körperstoffe und Körper anderer Menschen bedeuten. Denn wie sollen Einzelne ihr so verstandenes Recht auf Familie durchsetzen, wenn nicht über die Verwendung von Ei- und Samenzellen und die Gebärmütter anderer Menschen? Das Recht auf Fortpflanzung wurde in den achtziger Jahren gegen Zwangssterilisationen von behinderten Frauen und rassistische Bevölkerungspolitik stark gemacht. Das Recht auf ein eigenes, gesundes Kind war damit nicht gemeint. Lobbyorganisationen von Frauenärzten, Humangenetikern und Juristen arbeiten mittlerweile international daran, genau das mit dem Recht auf Fortpflanzung zu verknüpfen. So sollen mit dem Verweis auf die Nichtdiskriminierung von Schwulen und Lesben Verbote wie das der Eizellenspende und der Leihmutterschaft aufgehoben werden. Ob die WHO diesem Drängen nachgibt, ist noch unklar. Die Organisation bestätigte lediglich, dass an einer Erneuerung der Definition gearbeitet werde.