Die mexikanischen Zapatisten wollen eine eigene Präsidentschaftskandidatin aufstellen

Indigene Damenwahl

Die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung will zusammen mit dem Nationalen Kongress der Indigenen eine unabhängige indigene Kandidatin für die Präsidentschaftswahl 2018 in Mexiko aufstellen.

Von einem Tag auf den anderen sind die Zapatistas wieder in den Schlagzeilen. Vom 9. bis 14. Oktober fand im mexikanischen Bundesstaat Chiapas der fünfte Nationale Kongress der ­Indigenen (CNI) statt, der vor 20 Jahren ins Leben gerufen worden war. Subcomandante Moisés, Sprecher der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN), eröffnete den über 300 Delegierten indigener Gemeinden und Bewegungen am ersten Tag des Kongresses den Plan zu einer neuen Offensive, der einige überraschte, wenn nicht sogar schockierte: Eine indigene Frau soll als unabhängige Kandidatin in den Wahlkampf um die mexikanischen Präsidentschaft 2018 ziehen. Nach fünf Tagen hitziger Diskussionen und dem Abschlussplädoyer des wortgewandten Subcomandante Galeano, früher Marcos, stimmten die Delegierten zu, den Vorschlag ihren Gemeinden vorzustellen. Galeano und dem zum Abschluss veröffentlichten Kommu­niqué zufolge geht es nicht darum, die Wahlen zu gewinnen, also nicht um die Macht. Die indigene Kandidatin soll einen indigenen Rat repräsentieren, der aus je einer Frau und einem Mann jeder Gemeinde besteht. Es ist nicht geplant, eine Partei zu gründen oder mit den etablierten Parteien zu verhandeln oder zusammenzuarbeiten. Das Ziel soll die Stärkung der indigenen Bewegung sein.
Deutlich wurde, dass der EZLN zwei heikle Punkte angesprochen hatte: den Umgang mit den etablierten Parteien und die Behandlung der Frau in der mexikanischen Gesellschaft. Doch warf man ihr vor, die Prinzipien der Bewegung verraten zu haben. So twitterte der einstige Präsidentschaftskandidat des linken Partido de la Revolución Democrática (PRD), Andrés Manuel López Obrador, einen Tag nach der Bekanntgabe, der EZLN habe »dazu aufgerufen, nicht zu wählen, und jetzt wird sie eine unabhängige Kandidatin stellen«. Er bezog sich auf »la otra campaña« (»Die andere Kampagne«) von 2006. Damals fuhren die Zapatistas durch Mexiko und riefen dazu auf, sich vom staatlichen Wahlsystem zu distanzieren. Das Ziel war, unabhängig von den etablierten Parteien eine ­antikapitalistische Politik aus der Bevölkerung heraus zu initiieren – von unten und von links. Dieses Anliegen wurde unter anderem von den drei großen Parteien als Aufruf zum Wahlboykott interpretiert und heftig kritisiert.
Der Tweet zeigt die Verbitterung López Obradors. Nicht ohne Grund, denn er tritt 2018 wieder als Präsidentschaftskandidat an, dieses Mal für die Initiative der Bewegung für nationale Regeneration (Morena). Nicht allein Rechte, Konservative und Liberale werfen dem EZLN Verrat vor, sondern auch eigene Sympathisanten. Die Beschuldigung, die Linke spalten zu wollen, ist häufig zu vernehmen. Daher wird die Einstellung der Zapatistas zu vergangenen Wahlen nun immer wieder analysiert. Doch 2006 war diese nicht eindeutig. Der EZLN war zwar gegen eine Stimmabgabe für etablierte Parteien, Subcomandante Galeano – damals noch Marcos – sprach sich in der »otra campaña« jedoch gegen eine Verurteilung der Wahlwilligen aus. Im April 2015 reagierte auch Subcomandante Moisés in einem Kommuniqué: »Als Zapatistas rufen wir weder zum Nichtwählen noch zum Wählen auf. Als Zapatistas ist das, was wir machen, so oft wie möglich den Menschen zu sagen, dass sie sich organisieren sollen, um zu widerstehen, um zu kämpfen, um das zu erreichen, was nötig ist.« Da es nun zum ersten Mal möglich werden dürfte, eine unabhängige Kandidatin zur Wahl aufzustellen, wird offenbar eine neue Strategie zur Stärkung der Bewegung verfolgt. »Es muss dort angegriffen werden, wo die Party stattfindet: in der Politik«, so Subcomandante Galeano auf dem Kongress.
Die Dringlichkeit einer neuen Offensive, um die Probleme der indigenen Bevölkerung wieder an die Öffentlichkeit zu bringen, wurde durch die Berichte der Delegierten über die Repression gegen ihre Gemeinden verdeutlicht. Diese reicht von Vertreibung, um für die industrielle Ausbeutung von Ressourcen und die Durchsetzung von Großprojekten Platz zu schaffen, über Diskriminierung aufgrund der Kleidung, Sprache und kulturellen Gewohnheiten bis hin zu gewalttätigen Angriffen, Verschwindenlassen und Mord. Es wurde deutlich, dass viele Gemeinden mit ähnlichen Problemen kämpfen. Der Widerstand ist vielseitig, politische Autonomie, gemeinsame Beschluss- und Handlungsfähigkeit durch Versammlungen sowie Selbstorganisation von Sicherheit, Elektrizität und Müllentsorgung spielen eine wichtige Rolle. Versuche, indigene Rechte juristisch durchzusetzen, ob auf nationaler oder internationaler Ebene, erwiesen sich meist als wenig erfolgreich.
Der neue Widerstand soll nun von einer indigenen Frau repräsentiert werden. Eine Diskussion darüber, ob es nicht auch einen indigenen Kandi­daten geben könnte, wurde auf dem Kongress nicht geführt. »Die Kerle und Mestizen haben bewiesen, dass sie nicht regieren können«, so Galeanos simple Begründung. Diese Provokation wird in der Debatte um die Entscheidung der EZLN derzeit leider wenig berücksichtigt. Dabei zeigten gerade die lateinamerikaweiten Demonstrationen am 19. Oktober, wie wichtig es ist, sich mit der Lage der Frauen auseinanderzusetzen. Der Aufruf zum Protest gegen Gewalt und Mord an Frauen an jenem Tag kam aus Argentinien. Auslöser war der Mord an der 16jährigen Lucía Pérez, die zuvor vergewaltigt und misshandelt worden war. Auch in Mexiko ist die Mordrate an Frauen alarmierend hoch, was mit dem tief verankerten Machismo und dem diskriminierenden Frauenbild zusammenhängt. Daher riefen auch Frauen in mexikanischen Städten zum Protest auf.
Der Kampf um die Gleichstellung der Frau ist bereits seit der Entstehung der zapatistischen Bewegung ein zentrales Thema. Das »revolutionäre Gesetz der Frauen« wurde 1993 verfasst, ein Jahr bevor die Bewegung in die Öffentlichkeit ging. An Aktualität haben die enthaltenen Forderungen nicht verloren. Auf einem Fest im Caracol Oventic im Rahmen des diesjährigen Kongresses thematisierte eine Tanzaufführung diese Forderungen, untermalt von einem Lied mit dem Refrain »Die Frauen nach vorne, die Männer dahinter«. Es geht nicht nur um das Recht auf Bildung und körperliche Unversehrtheit, sondern auch um Selbstbestimmung bei der Wahl des Partners und der Entscheidung, Kinder zu bekommen und aufzuziehen. Wenn man den Delegierten glaubt, scheint in ihren Gemeinden Gewalt gegen Frauen nur noch selten vorzukommen. Zumindest erwähnten die wenigsten Delegierten in ihrem Bericht den Machismo und die körperliche Gewalt gegen Frauen.
Während weiter hitzig diskutiert wird, ob der Vorschlag, eine indigene Kandidatin für die Wahl 2018 aufzustellen, einen Verrat an den Prinzipien der Bewegung darstellt, haben die indigenen Gemeinden bislang noch nicht auf die Idee reagiert. Die nächsten Schritte wird der CNI mit dem EZLN erst Ende Dezember diskutieren, wenn die Delegierten mit den Entscheidungen der Gemeinden zurückkehren. Eine Ablehnung ist nicht zu erwarten.