03.11.2016
Roswitha Scholz im Gespräch über Wertabspaltung und Patriarchat

»Ohne Kampf geht es nicht«

Roswitha Scholz ist Publizistin und Buchautorin. Sie ist Mitglied der Redaktion der von ihr mitgegründeten wertabspaltungskritischen Zeitschrift »Exit!« und veröffentlichte dort zahlreiche Aufsätze. Die wertkritische Feministin erlangte 1992 mit dem von ihr in »Der Wert ist der Mann« entwickelten Theorem der Wertabspaltung Bekanntheit. Mit der »Jungle World« sprach sie über Identitätspolitik, Marxismus und die männerdominierte Krisis-Gruppe.

Ist das Geschlecht des Kapitalismus noch immer so eindeutig, wie Sie es vor über 20 Jahren konstatierten? Meinen Aufsatz »Der Wert ist der Mann« habe ich 1992 geschrieben, er erschien damals noch in der Zeitschrift Krisis. Das war erst einmal eine theoretische Fingerübung, diesen Aufsatz finde ich mittlerweile viel zu simpel. »Der Wert ist der Mann« – das ist eine reißerische Formulierung, die mir fast schon ein bisschen unangenehm ist, weil sie sehr danach klingt, als würde ich abstrakte Herrschaftsverhältnisse personalisieren. Im Grunde geht es mir aber darum, die Wertabspaltung als Basiszusammenhang des warenproduzierenden Patriarchats zu verstehen. Hier findet eine Abspaltung des Weiblichen, der Hausarbeit vom Wert, von der abstrakten Arbeit und den damit zusammenhängenden Rationalitätsformen statt, wobei bestimmte weiblich konnotierte Eigenschaften wie Sinnlichkeit und Emotionalität der Frau zugeschrieben werden. Der Mann hingegen steht etwa für Verstand, charakterliche Stärke und Mut. Der Mann wurde in der modernen Entwicklung mit Kultur, die Frau mit Natur gleichgesetzt. Wert und Abspaltung stehen dabei in einem dialektischen Verhältnis zueinander. Als solches durchzieht die Wertabspaltung alle gesellschaftlichen Sphären, also Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und auch Privatsphäre und Öffentlichkeit. Mittlerweile habe ich das Wertabspaltungstheorem viel weiter ausgearbeitet. Der Aufsatz von 1992 ist mir zwar nicht peinlich, aber immer wenn daraus zitiert wird, denke ich, das stimmt nicht mehr so ganz. Im Jahr 2000 veröffentlichten Sie das »Geschlecht des Kapitalismus«. Ja, im »Geschlecht des Kapitalismus« habe ich meine These ausgearbeitet und modifiziert, aber auch in vielen Aufsätzen, die ich zwischenzeitlich in Exit! veröffentlichte. 2013 habe ich beispielsweise einen Text über Care geschrieben. Was denken sie über die Care-Debatte? Ist die positive Bezugnahme auf Care-Arbeit naiv? Mir sind die Care-Diskussionen vor allem zu moralisch aufgeladen. Care erscheint dort weniger als objektives Problem im kapitalistischen Patriarchat, sondern als ein ethisches. Irene Dölling fordert beispielsweise eine Aufwertung von Ehrenamt und freiwilligen Tätigkeiten. Sie sieht den Kapitalismus im Verfall begriffen. Care ist für sie ein Zukunftskonzept, auf das sie sich positiv bezieht. Im Gegensatz zu älteren Konzepten, die mit der Höherbewertung sogenannter Reproduktionsarbeiten auch eine Aufwertung von Weiblichkeit anstrebten, kommt das Care-Konzept bei Dölling ohne einen positiven Bezug auf Weiblichkeit aus. Eigentlich käme ein solches Konzept von Care auch ganz gut ohne Feminismus aus, weil es nicht Frauen, sondern nichtkommerzielle Tätigkeiten im Allgemeinen idealisiert. Die Metaebene der Gesamtreproduktion der Gesellschaft, die Wertabspaltung, fehlt in solchen Theorien. Das ist schade, denn Care – oder der Rückgriff auf die meist von Frauen geleisteten Reproduktionstätigkeiten – ist ursprünglich ein materialistisches, marxistisches Konzept. Ich will gar nicht sagen, dass man nicht für eine Verbesserung beispielsweise der grauenhaften Qualität in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen kämpfen muss oder für bessere Löhne. Ich mag nur den in Kampfbegriffen wie »Care-Revolution« zum Ausdruck gebrachten Kitsch nicht. Genausowenig wie den Unsinn, man könne diese Gesellschaft in eine Care-Gesellschaft transformieren. Gilt das ebenso für postmoderne Theorien? Postmoderne Ansätze von und im Anschluss an Judith Butler und Michel Foucault, etwa ab den neunziger Jahren, waren insbesondere um die Dekonstruktion von Identitäten bemüht. Diese queerfeministischen Ansätze wollen die Dualismen Frau/Mann und Produktion/Reproduktion dekonstruieren. Das muss allerdings scheitern, solange das Wertabspaltungsverhältnis bestehen bleibt. Wenn sich queerfeministische Ansätze jetzt auf einmal für Ökonomiekritik interessieren, verwundert mich das. Die Kritik der politischen Ökonomie und der Queerfeminismus sind schon von ihren Prämissen her widersprüchlich. Auch das Verhältnis zwischen dekonstruktivistischen Feministinnen und materialistischen Feministinnen war nicht gerade konfliktarm. In den neunziger Jahren wurdest du noch als eine vertrottelte Oma verlacht, wenn du dich auf die Großerzählung von Marx bezogen hast. Damals gab es nur ganz wenige Feministinnen, die sich überhaupt auf Marx bezogen haben, beispielsweise Frigga Haug. Bei Regina Becker-Schmidt und Gudrun-Axeli Knapp habe ich mich schon gefragt, was deren Forschung überhaupt noch mit Marx und Kritischer Theorie zu tun hat. Ich denke, es war damals auch in der Universität schwer, mit radikaler Gesellschaftskritik ernst genommen zu werden. Das hat mit der Etablierung der Frauenforschung zu tun und mit deren Mutation zu den Gender Studies. Ich wurde in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre politisch sozialisiert, da war Feminismus eine außerinstitutionelle Bewegung gegen das Establishment und gegen die androzentrische Theoriebildung. Ab Mitte der achtziger Jahre wurde der Feminismus immer weiter institutionalisiert. Im Wissenschaftsbetrieb musst du dich über etablierte Theorien legitimieren, wodurch strukturell die Erkenntnis der Abspaltung des Weiblichen verdrängt wurde. Wertabspaltungskritik ist an der Universität also unmöglich? In den achtziger Jahren war es gar nicht so ungewöhnlich, von der Abspaltung des Weiblichen zu sprechen. Solche Ansätze sind durch zunehmende Institutionalisierung und den Paradigmenwechsel von der Frauen- zur Genderforschung in Vergessenheit geraten. Sie wurden durch Dekonstruktivismus, symbolischen Interaktionismus und ethnomethodologische Ansätze abgelöst. Feministische Theorie wurde in Folge weiter verdinglicht und kaprizierte sich zusehends auf Identitäten. Entweder in der Rekonstruktion und positiver Bezugnahme auf Weiblichkeit oder über die Dekonstruktion von Identitäten. Durch den starken Fokus auf Identitäten wurden die grundlegenden Strukturen der Gesellschaft nicht mehr thematisiert. Auch die Frauenbewegung fokussierte sich immer stärker auf Lokales und Partikulares. In der Postmoderne herrschte ein Affekt gegen das Allgemeine vor, Großtheorien waren in den Neunzigern verpönt. Hat sich das verändert? Es hat einen Schwenk gegeben. Sichtbar wurde er Mitte der nuller Jahre mit Nancy Frasers »Frauen, denkt ökonomisch!«. Fraser kritisierte, dass die Frauenbewegung bisher zu sehr auf die Integration in das Bestehende gesetzt hatte. Der Dekonstruktivismus sei dem Neoliberalismus zuträglich gewesen. Lässt sich also doch alles auf die Ökonomie zurückführen? Es geht mir nicht darum, alles aus der Wertform zu erklären oder abzuleiten. Wir müssen die kulturell-symbolische Ebene beachten, wir dürfen Sprache und Diskurs lediglich nicht als Totalitätsersatz verwenden. Auch die sozialpsychologische Ebene ist wichtig. Wir müssen Wertabspaltung als Basiszusammenhang sehen. Anderes habe ich nie behauptet. Ich fühle mich oft missverstanden – auch von wertkritischen Fans. Diese rezipieren meine ökonomiekritischen Schriften, und freilich auch die von Robert Kurz, aber sie überlesen die wertabspaltungskritischen Passagen. Da könnte ich schon an die Decke gehen. Ich werde oft über Robert Kurz definiert. Krisis war schon immer ein Männerhaufen. Auch Robert Kurz’ Androzentrismus musste ich beharrlich bearbeiten, bis er sich schließlich meiner Wertabspaltungstheorie anschloss. Es war ein harter Kampf, den Feminismus in die Männergruppe hineinzutragen. Ich habe mich als Frau nicht ernst genommen gefühlt, aber ohne Kampf geht es nicht. Ich habe an zwei Fronten gekämpft – gegen den Dekonstruktivismus und die Krisis-Männer. Hat dieser Kampf zur Spaltung der Krisis-Gruppe von Exit! geführt? Mir als eine der wenigen Frauen wurde ausgerechnet die Schuld an der Spaltung von Exit! und der Krisis-Gruppe zugeschrieben – das ist absurd. Es ging um die Frage, ob die Abspaltung ein Aspekt der Totalität ist oder ob die Wertabspaltung der Grundzusammenhang des warenproduzierenden Patriarchats ist. Wertabspaltung war ein Grund für die Spaltung, aber nicht der einzige. Was denken sie über die Krise und das Erstarken der rechten Bewegungen? Ich schreibe an einem Essay zu Queer, Gender und Rechtsruck. Meine These ist, dass Queer und Gender zu Neoliberalismus und Flexi-Ideologie gut passen. Queer ist zudem oft nicht mehr als ein Partymotto und fügte sich deshalb bestens in die Spaßgesellschaft der neunziger Jahre ein. Der Spaß ist vorbei, die Stimmung kippt: Die Krisenentwicklung zieht an, das Ressentiment ist wieder da und richtet sich gegen sogenannte Randgruppen. Es war ja auch versucht worden, Rassismus, Antiziganismus und Antisemitismus zu dekonstruieren – jetzt blamieren sich solche oberflächlichen Theorien und ihre Missachtung von Marx und der Psychoanalyse an der Krise. Man hätte zwar auch im Wissen um die gesellschaftlichen Tiefenstrukturen die Krise nicht verhindert, wäre aber immerhin zu einer realistischen Einschätzung der Gegenwart gekommen. Die fundamentale Krise zeigt sich längst schon auch in Südeuropa, Griechenland, Spanien und so weiter, in der Finanzkrise und der Spekulantenhatz, im krisenhaften Verhältnis von Globalisierung und Nationalstaat. Vom Zerfall der Peripherie ganz zu schweigen. Gechlechtsidentität erscheint da als letzte Bastion, wenn nichts mehr sicher ist. Dagegen hilft Dekonstruktion wenig. Ich würde ja zustimmen, dass in einer emanzipatorischen Gesellschaft polymorphe Sexualität gelebt werden sollte, aber ohne repressive Entsublimierung. Befreite Sexualität im Kapitalismus ist nicht wirklich frei. Sich auf eine identitäre Ebene zu beziehen, auf eine Identität oder eine abweichende Identität, reicht also nicht.