Vegane Kaffeefahrt

Von

Leben retten, meint Adriano Mannino, bedeutet: jemanden vom Veganismus überzeugen. Viel wichtiger, als sich selbst vegan zu ernähren, sei es, zu spenden, etwa an seine Organisation, denn, so rechnete er beim veganen Sommerfest auf dem Berliner Alexanderplatz vor: Wer ein Jahr lang vegan konsumiert, rettet 200 Leben, wer ein Jahr lang 100 Dollar im Monat spendet, rettet über 10 000 Leben. Oder auch so: Mit 1 000 Dollar kann man 10 000 Leben retten, mit 10 000 Dollar 100 000 Leben! Na, ist das nichts? Möchte man da nicht sofort zu seiner Brieftasche greifen? Denn mit Geld könne man zum Beispiel durch die Herstellung von Flyern und andere PR-Maßnahmen ganz viele Menschen überzeugen.
Mannino wirkt in jeder Hinsicht wie ein Heizdeckenverkäufer auf einer Kaffeefahrt. Weil seine Zielgruppe aber nicht senile Mütterchen sind, nennt er sein billiges Blendwerk »Philosophie«, genauer: »effektiven Altruismus«. Altruismus: Das ist, wenn Sie etwas abgeben. An ihn, an seine Organisation. Das muss doch einleuchten! Das eigene Konsumverhalten werde überbewertet. Denn, so Mannino, um über das Konsumverhalten eine vegane Lebensweise in der gesamten Gesellschaft durchzusetzen, müssten ja 100 Prozent der Konsumenten überzeugt werden. Viel effektiver sei es, stattdessen den Weg über die Politik zu gehen. In einer Demokratie brauche man nur eine Mehrheit von 51 Prozent, um Gesetze zu beschließen, die für 100 Prozent gelten. Die Zuhörer beim Sommerfest, die sich kurz von den veganen Imbissständen lösen, nicken: Stimmt, warum sind sie da nicht selbst drauf gekommen? Viel effektiver!
Auf diese Weise, sagt Mannino, könne man die ganze Welt veganisieren, ja, wörtlich: »Erst Berlin, dann Deutschland und dann die ganze Welt.« Adriano Mannino, der so redet, ist Präsident der Stiftung »Effektiver Altruismus«, die aus der Schweizer Giordano-Bruno-Stiftung hervorgegangen ist. Sie hat den antispeziesistischen Think Tank Sentience Politics gegründet, der nun Initiator eines Bürgerbegehrens im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ist, für das seit Mitte Oktober Unterschriften gesammelt werden. Mit diesem soll durchgesetzt werden, dass in jeder Schul- und Bezirkskantine ein veganes Menü angeboten werden muss. Sentience Politics macht »Politik für alle empfindungsfähigen Wesen« im Sinne des Euthanasiebefürworters Peter Singer. In Basel, Luzern und Zürich haben die Tierrechtler bereits entsprechende Volksabstimmungen durchgesetzt, die nächstes Jahr stattfinden werden. Nun sammeln sie Unterschriften in Berlin. Für ein Bürgerbegehren brauchen sie nicht 51 Prozent der Stimmen, sondern nur insgesamt 6 012 Unterschriften, das sind zwei Prozent der Einwohner des Bezirks. Ein Prozent der Bevölkerung in Deutschland ernährt sich vegan.