Wird sich die US-Wahl in Ohio entscheiden?

Youngstown wird auch mal alt

Der Wahlerfolg im »Swing State« Ohio entscheidet oft das Rennen um die US-Präsidentschaft. Der Bundesstaat galt einst als Hochburg der Demokraten, hinkt in seiner ökonomischen und sozialen Entwicklung jedoch vielen anderen Staaten hinterher.

Die Halle nahe des Cleveland International Airport war beim großen Auftritt des US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump nicht ganz gefüllt. Das fast ausschließlich weiße Publikum klatschte vergangene Woche dennoch euphorisch, als sein Idol zu dröhnender Rockmusik einmarschierte. Und die Erwartungen wurden nicht enttäuscht. Er werde die verlorengegangenen Jobs wieder zurückbringen und verhindern, dass weitere Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden, rief Trump. Er werde für die Arbeiter in den Kohleminen ebenso neue Jobs schaffen wie für die Beschäftigten in der Stahlindustrie. Schon bald werde er die korrupte Elite in Washington vertreiben.
Es ist kein Zufall, dass sich der exzentrische Milliardär gerade dieser Tage in Ohio zeigt. In den Umfragen liegt er mittlerweile weit hinter der demokra­tischen Kandidatin Hillary Clinton zurück. Wenn er noch eine Chance haben möchte, dann muss er sie in der Region am Rande der Großen Seen suchen. Ohio ist einer der wenigen swing states, in denen er noch knapp in Führung liegt. In diesen Staaten, die einmal zu den Republikanern, dann wieder zu den Demokraten neigen, wird die Wahl entschieden. Ohio erhält dabei besondere Aufmerksamkeit. Seit 60 Jahren wurde niemand Präsident, der nicht auch in Ohio gewonnen hatte.
Der Bundesstaat galt lange als eine Art Mikrokosmos, in dem sich die demographischen wie auch die sozialen Strukturen des gesamten Landes widerspiegelten. Große Unternehmen testen hier neue Produkte vor der Markteinführung, Umfragen vor den Wahlen dienen als nationales Stimmungsbarometer – as Ohio goes, so goes the nation.
Die Zeiten des goldenen Mittelmaßes sind aber längst vorbei. Dass Cleveland einst zu den reichsten Städten in den USA zählte, davon zeugt heute noch die Skyline mit dem imposanten Terminal Tower. Die Einwohnerzahl hat sich seit 1980 aber fast halbiert. Manche Vororte, wie Newburgh Heights oder East Cleveland, ähneln südamerikanischen Slums. Die Infrastruktur ist vielerorts zerfallen, die Kriminalitätsrate hoch. In anderen großen Städten Ohios wie Cincinnati ist die Entwicklung ähnlich.
Hunderttausende Jobs sind in den vergangenen Jahrzehnten in Ohio verschwunden oder mitsamt den dazu­gehörigen Unternehmen nach Mexiko abgewandert. Die von Schwerindustrie, Autobau und Landwirtschaft geprägte Wirtschaftsstruktur stellt sich nur langsam auf den Wandel ein. Während vor einigen Jahrzehnten noch etwa ein Drittel aller Beschäftigten Güter herstellten, sind es mittlerweile noch acht Prozent. Vor allem hochqualifizierte Arbeitskräfte zogen in den sun belt im Südwesten, wo die großen High-Tech-Unternehmen boomen. Wer im rust belt verharrt, sieht sich oft als Opfer der Globalisierung – Verlierer, die Trump gerne für sich gewinnen will.
Die Entwicklung spiegelt sich auch in den Statistiken wider. »Ohio erinnert heute eher an das vergangene als an das 21. Jahrhundert«, kommentierte kürzlich der Plaint Dealer, die größte Zeitung in Cleveland. Die Einkommen liegen mittlerweile deutlich unter dem US-Durchschnitt, und auch bei der Bildung fällt Ohio zurück. Landesweit besitzen ungefähr 29 Prozent der Menschen einen College-Abschluss, in Ohio ist es nur etwa ein Viertel der Bevölkerung. Während der hispanische Bevölkerungsanteil zunimmt und in den gesamten USA bei fast 18 Prozent liegt, stagniert er in Ohio bei 3,6 Prozent. Selbst südliche Bundesstaaten wie Florida, North Carolina, Colorado oder New Mexico haben sich deutlich schneller verändert, dort ist die Bevölkerung diverser und gebildeter.
In Ohio ist hingegen eine soziale Gruppe nach wie vor stark vertreten, deren Anteil an der Bevölkerung anderswo eher abnimmt: Weiße mit geringer Schulbildung. So wie in Youngstown, einer Stahlarbeiterstadt im Osten von Ohio, die es wegen eines Songs von Bruce Springsteen zu einiger Berühmtheit gebracht hat. Von der Hochburg der Demokraten und der Gewerkschaften, die Youngstown jahrzehntelang war, ist nicht viel übrig geblieben. Die Stadt hat zwei Drittel ihrer ehemals 200 000 Einwohner und die meisten Jobs verloren. Von den Demokraten fühlen sich viele im Stich gelassen, Trump liegt hier in den Umfragen klar in Führung.
»Sie suchen nach jemandem, der der Regierung auf die Nase haut«, sagt James Ruvalo, ehemaliger Vorsitzender der Demokraten in Ohio. »Sie wollen gegen jene zurückschlagen, die das Land in einer Weise verändert haben, die sie nicht wollen. Sie sind nicht so sehr für Trump, sondern wütend auf alles«, sagte er kürzlich der Tageszeitung Columbus Dispatch. Dem arbeitslosen blue collar worker, also vor allem Industriearbeitern, verspricht Trump eine Zukunft, die eigentlich in der Vergangenheit liegt. In einer Zeit also, in der es noch möglich war, auch ohne College-Abschluss gut bezahlte Jobs in der Autofabrik von Jeep in Toledo zu bekommen, oder in einem Stahlwerk in Youngstown.
Ob diese Wählerbasis allein für einen Sieg von Trump reichen wird, ist fraglich. Immerhin kann er noch auf viele Stimmen in den ländlichen Regionen Ohios hoffen, wo traditionell republikanisch gewählt wird. Viele Familie stammen ursprünglich aus dem Mittleren Westen und sind in ihren Einstellungen konservativ geprägt. Doch in mancher Hinsicht ist Ohio immer noch symptomatisch für die USA, und dies betrifft insbesondere die Altersstruktur. Die »Millennials«, also die Generation, die zwischen 1980 und der Jahrtausendwende geboren wurde, neigen auch in Ohio in hohem Maße den Demokraten zu. In Columbus, der Metropole des Bundesstaates, die von Handel und Dienstleistungen geprägt ist, hat Trump wohl ebenso wenig Chancen wie in den afroamerikanischen und migrantischen Gemeinden. Gebildete Frauen in den Suburbs, die bislang zu den treuesten republikanischen Anhängerinnen gehörten, tendieren neuerdings ebenfalls mehrheitlich zu den Demokraten.
In Städten wie Cleveland und Cincinnati haben sich zudem neue Wirtschaftsbereiche etabliert, die nicht mehr viel mit den alten Industriestrukturen gemein haben. Waren vor zwei Jahrzehnten noch General Motors und Ford die größten Arbeitgeber in Ohio, so sind es mittlerweile Krankenhauskonzerne wie die Cleveland Clinic. Über ein Drittel der größten Unternehmen ist mittlerweile im Gesundheitswesen zu finden. Zwar sind dort viele Jobs schlecht bezahlt, es werden aber auch neue Stellen für Gutqualifizierte geschaffen.
Gut möglich also, dass Trump die Wahlen in Ohio gewinnt, um sie dafür in vielen anderen Bundesstaaten zu verlieren. Es wäre ein Ergebnis, das vor allem eine Entwicklung belegt: Der Bundesstaat Ohio wird zwar weiterhin bei jeder Wahl wichtig bleiben. Aber die politische und wirtschaftliche Zukunft der USA wird heutzutage anderswo entschieden.