Kassetten in die Mottenkiste!

Comeback des Bandsalats

Musikkassette, es war schön mit dir. Dennoch gehört das Magnetband in die Mottenkiste, genau wie alle anderen rückwärtsgewandten Trends der Popkultur.

In den Achtzigern war die Kassette omnipräsent: In den Decks liefen Blondie und Nena, die Kinder hörten Hörspielkassetten von »TKKG« und den »Drei Fragezeichen«, während ihre älteren Geschwister im Radio die Songs der Hitparaden mitschnitten. Nächte verbrachte man mit dem akkuraten Zusammenstellen von Mixtapes für angebetete Menschen. In Westeuropa besaß vermutlich fast jeder Haushalt mindestens einen Kassettenrekorder. Mittlerweile haben große Firmen wie TDK und BASF die Produktion von Kassetten eingestellt, der Walkman ist reif fürs Museum und Kassetten taugen nur noch zur nerdigen Handyhülle oder zum Retroaufdruck auf Turnbeuteln für Hipster. Die Musikkassette ist tot. Und das hat gute Gründe. Die Tonqua­lität ist katastrophal, ständig verheddert sich das Magnetband und früher oder später beginnt es zu leiern. Auch als mobiles Vergnügen taugt der Plasikklotz nicht viel. Wer möchte schon mit einem Rucksack voller Kassetten durch die Gegend laufen, wenn der MP3-Player klein und leicht und praktisch ist und noch dazu auf eine große Menge von Musiktiteln oder Hörspielen gleichzeitig zugreifen kann.
Nach der Schallplatte ist die Kassette das nächste analoge Speichermedium, das wieder en vogue geworden ist. Hipster und Nostalgiker gründen Kassettenlabels und zum inzwischen vierten Mal wurde in diesem Herbst der »Cassette Store Day« zelebriert, eine Art globales Nerd-Spektakel in Anlehnung an den seit Jahren etablierten und boomenden »Record Store Day«. Dass Vinyl wieder aus der Versenkung der Unterhaltungsindustrie zurückkehren würde, war schon eine Überraschung. Aber Kassetten? Der Schallplatte haftet als Fetisch einer neuen Sammelleidenschaft und geschmacksbürgerlicher Distinktion noch ein gewisser symbolischer Wert an. Ein kennerhaft kuratiertes Plattenregal ist in manchen Milieus mittlerweile wieder zum Statussymbol geworden. Lässt sich das Vinyl-Revival noch mit dem Genuß von Hi-Fi begründen, bleibt das Kassetten-Revival an­gesichts klanglich weit überlegener Alternativen wie der CD und später den etwa im MP3-Format codierten Digitalkopien ein komplettes Rätsel. Wie viele andere Retrobewegungen soll wohl auch diese ein Ausdruck betonter Individualität gegen den schnöden Massentrend sein. Der Retro-Markt bedient eine diffuse Nostalgie: »Früher war alles besser«, auch wenn es scheiße aussah und noch beschissener klang! Apologeten der Musikkassette singen gerne Loblieder auf den »warmen Sound« der Magnetbänder und beweinen den Untergang der ach so viel besseren, schöneren, den Sinnen schmeichelnderen authentischeren analogen Technologie. Wenn lästige Störgeräusche, Rauschen und Knistern für die Musikkassette sprechen, was erwartet uns dann wohl als nächstes? Etwa das Comeback der Schellackplatte? Und wann gibt es endlich wieder Röhrenbildschirme?
Die Entwicklung der Kassette eröffnete im vergangenen Jahrtausend neue Möglichkeiten einer selbständigen Aufnahme, Vervielfältigung und Verbreitung von Musik. Die Kassette war als Speichermedium revolutionär, weil sie erstmals den Musikkonsum abseits stationärer Stereoanlagen ermöglichte. Nach den Radios mit Kassettendeck im Auto kamen die »tragbaren Kassettenabspielgeräte«, die Ghettoblaster und die Walkmen. Sie eröffneten Unabhängigkeit und Freiheit. Der zeit- und ortsunabhängige Musikgenuss jenseits der elterlichen Musikanlage war eng mit dem Ausbruch aus gesellschaftlichen Zwängen und jugendkulturellen Anliegen verbunden. Das eigene Musikuniversum mit sich herumtragen zu können, war ein Befreiungsschlag. Mit der Kassette fand die Musik den Weg nach draußen: nicht mehr auf Musik hinweisen, die irgendwann gelaufen ist oder irgendwann wieder laufen wird, sondern sofort vorspielen und teilhaben lassen. Dafür sei der Kassette an dieser Stelle herzlich gedankt. Doch auf diese Vorzüge der selbstbestimmten kreativen Entfaltung, Mobilität und Unmittelbarkeit hat die Kassette angesichts digitaler Möglichkeiten seit der Erfindung des iPod keinen Anspruch mehr.
So muss man die fragwürdige Sehnsuchtsbewegung zurück zum analogen Speichermedium als das bezeichnen was sie ist: verklärend, antiprogressiv, und rückwärtsgewandt.