Die dunkle Raute der Macht

Ausfahrt verpasst

»Ich möchte irgendwann den richtigen Zeitpunkt für den Ausstieg aus der Politik finden. Dann will ich kein halbtotes Wrack sein«, sagte Angela Merkel 1998. Da war sie nicht mehr Ministerin und frisch gewählte Generalsekretärin der CDU. 18 Jahre später ist sie Kanzlerin und der Ausstieg ist so weit entfernt wie vielleicht nie. Nach fast zwölf Jahren Kanzlerinnenschaft wäre theoretisch der richtige Zeitpunkt, in den wohlverdienten Ruhestand zu gehen, sich den Kämpfen zu entziehen, Abschied zu nehmen. Theoretisch. Spätestens mit dem Sieg Donald Trumps ist Merkels (internationale) Alternativlosigkeit allerdings offenbar geworden. Die letzte Bastion des Westens zu bilden, ist der bescheidene Auftrag, den sie in den vergangenen zwei Wochen von der internationalen Öffentlichkeit bekommen hat. Barack Obama sagte bei seinem Abschiedsbesuch in etwa, dass Merkel, dass Berlin, dass Deutschland die Hoffnung der »westlichen Zivilisation« sei.
Abschiede sind generell etwas, das Menschen nicht so gerne mögen. Sie tun weh, sie erinnern uns an vergangene Abschiede, die schon schlimm weh taten, und daran, dass Abschiede auch immer Veränderung bedeuten. Und wer kann in diesen Zeiten schon Veränderung gebrauchen, vor allem wenn nicht klar ist, was danach kommt und ob das Danach nicht viel schrecklicher und schmerzhafter sein wird? Insbesondere in Deutschland haben viele Menschen so viel Angst vor Veränderung, dass sie sogar die­jenigen zu wählen bereit sind, die ihnen keine Veränderung versprechen, de facto aber tiefgreifende Verschlechterung bedeuten würden. Tut Abschied weniger weh, wenn man so tut, als wäre es keiner?
Merkel hat sich also nun gegen den Abschied entschieden. Gegen den Abschied als Kanzlerin, als CDU-Vorsitzende, als Anführerin des einflussreichsten Staats der Europäischen Union und, ja, als letzte Hoffnung der westlichen Welt, die es zwar geschafft hat, bürgerliche Freiheitsrechte zu etablieren, die es nun auch zu verteidigen gilt, aber daran gescheitert ist, eine ökonomisch gerechte Welt zu gestalten. Und so sind die Institutionen dieser westlichen Welt dabei, die Legitimation zu verlieren, ihre Werte bedeuten vielen Menschen nichts, weil sie ihnen keine Sicherheit geben. Auch bedeutet ihnen Merkel nichts, was den Protest gegen sie in den nächsten Wochen stark erhöhen wird und den Bundestagswahlkampf sehr schmutzig machen dürfte. Merkel, so sehr sie vielleicht auch Abschied nehmen wollte, weiß, dass sie derzeit ein absolutes Chaos hinterlassen würde. Also wird es Merkel noch einmal durchziehen und versuchen, für ein System zu kämpfen, für das sich es nur schwer kämpfen lässt, eben weil es so ungerecht ist. Merkel ist aber für dieses System »alternativlos«. Das Motto ihrer Amtszeit wird ihr zum Verhängnis. Wie ihr Abschied aussehen wird, bleibt also eine Frage für die Zukunft.