: In Polen will die nationalkonservative Regierung den Bildungsbereich in ihrem Sinne reformieren

Die PiS macht Geschichte

Im Zuge einer Schulreform strebt die nationalkonservative Regierungspartei Polens in den Lehrplänen eine Umdeutung der jüngeren polnischen Vergangenheit an. Dagegen regt sich Protest.

Auch nach über einem Jahr an der Regierung ist die nationalkonservative Partei PiS weiterhin für Schlagzeilen gut. Die im Herbst bekanntgewordenen Pläne zum Umbau des polnischen Schul­systems riefen landesweit Proteste hervor, ebenso wie die im November durchgeführte Exhumierung des 2010 bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommenen Staatspräsidenten Lech Kaczyński. Beide Maßnahmen zeigen, dass die PiS den Umbau der Institutionen des Landes weiter vorantreibt und ihr nationalistisches Projekt emotional und insititutionell verankern will.
Bei der angekündigten Bildungsreform geschieht dies wie nebenbei. Der Fokus liegt auf den Schulformen, wobei unklar ist, worin das Reformziel eigentlich besteht. Das derzeit dreigliedrige polnische Schulsystem gilt europaweit als Erfolgsgeschichte. Seit seiner Einführung 1999 verbesserten sich die Leistungen polnischer Schüler im PISA-Test erheblich, 2012 lag Polen im oberen Drittel der europäischen Länder. Dennoch gab es auch Kritik am gestiegenen Leistungsdruck durch Vergleichstests sowie am Modell der dreistufigen Mittelschule. Diese schließt an die sechsstufige Grundschule an und soll die Schülerinnen und Schüler auf weiterführende, den deutschen Berufsschulen oder Gymnasien vergleichbare Bildungsgänge vorbereiten. Kritiker bemängeln, dass die verhältnismäßig kurze Zeit im Gimnazjum mit dem ­Eintritt in die Pubertät zusammenfällt und es vermehrt zu Problemen zwischen Schülern und Lehrenden kommt. An solche Einwände knüpft Bildungsministerin Anna Zalewska mit ihrem Vorschlag an, die Mittelschule komplett abzuschaffen. Ihr Entwurf sieht eine auf acht Jahre verlängerte Grundschulzeit sowie einen vier- bis fünfjährigen Besuch der verschiedenen Oberschulen vor. Bereits ab dem kommenden Schuljahr 2017 soll die Umstellung beginnen.
Mitte November brachten etwa 30 000 Lehrerinnen und Lehrer bei landesweit stattfindenden Demonstrationen starke Bedenken gegen die Entwürfe des Bildungsministeriums vor. Die Lehrergewerkschaft ZNP verwies auf die ungeklärte Situation von Schülern, die gerade mit der Mittelschule begonnen haben und im nächsten Jahr an Grundschulen zurückkehren müssen. Gerade im Hinblick auf Probleme in der Pubertät wirft das zukünftige Nebeneinander von Erst- und Achtklässlern neue Fragen auf. Außerdem sind die bestehenden Grund­schulen nicht auf die Aufnahme zusätzlicher Jahrgangsstufen vorbereitet, ihre Infrastruktur muss beträchtlich ausgebaut werden.
Der Vorsitzende der ZNP, Sławomir Broniarz, beobachtet darüber hinaus einen besorgniserregenden Anstieg »nationalpatriotischer« Unterrichtsinhalte, der sich in den neu zu erarbeitenden Lehrplänen fortsetzen soll. Geschichte und Religion rücken in den Vordergrund, während der Anteil naturwissenschaftlicher Fächer abnimmt. Dabei geht es um die Etablierung eines Geschichtsverständnisses, das die zweite Republik der Zwischenkriegszeit idealisiert und die realsozialistische Vergangenheit des Landes dämonisiert.
Einem ähnlich revisionistischen und antirussischen Impuls entspringt das Vorhaben der Regierung, die Leichen von Staatspräsident Lech Kaczyński und anderen Opfern des Unglücks von Smolensk exhumieren zu lassen, um sie auf Sprengstoffspuren zu untersuchen. Trotz fehlender Beweise vermuten prominente PiS-Politiker wie der Parteivorsitzende Jaroslaw Kaczyński und Verteidigungsminister Antoni Macierewicz weiterhin eine Verschwörung hinter dem Unfall: Der damalige russische Ministerpräsident Wladimir Putin und der damalige polnische Ministerpräsident Donald Tusk von der Bürgerplattform PO hätten das Flugzeug sprengen lassen, um den russlandkritischen Lech Kaczyński als Rivalen auszuschalten. Die Legende der Smolensk-Verschwörung ist ein Glaubenssatz der gegenwärtigen PiS-Generation und dient dazu, ehemalige Wähler der oppositionellen PO an die PiS zu binden. Darüber hinaus ist sie aber auch Teil eines revisionistischen Geschichts- und Weltbildes, das die PiS in der polnischen Gesellschaft verankern will. Der zu erwartende Umbau des Schulwesens und der Lehrpläne ist ein weiterer Schritt in diese Richtung.