Samuel Schirmbeck im Interview zur Notwendigkeit einer linken Islamdebatte

»Das progressive Lager stärken«

Nach den Übergriffen in der Silvesternacht vor einem Jahr in Köln plädierte der ehemalige Algerien-Korrespondent der ARD, Samuel Schirmbeck, in einem Artikel in der »FAZ« dafür, sich mit den kulturellen und religiösen Ursachen der Taten auseinanderzusetzen. In seinem Buch »Der islamische Kreuzzug und der ratlose Westen« warnt er vor dem wachsenden Einfluss der Islamverbände in Deutschland und schildert die Gemeinsamkeiten des von den Verbänden propagierten Islam mit dem Islamismus. Der Altachtundsechziger plädiert für eine radikale linke Islamkritik, die auch die Muslime stärker einbezieht.
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Sie gehen in Ihrer Islamkritik noch weiter als Alice Schwarzer. Sie unterscheiden nicht zwischen Islam und Islamismus. Wie sind die Reaktionen?

Schon nach meinem ersten Artikel in der FAZ 2015 war das wie ein Erdbeben mit Tausenden Likes. Es war der meistgelesene Artikel des Jahres 2015 der FAZ. Offensichtlich entsprach das einem Grundgefühl. Ich hatte mit negativen Reaktionen gerechnet, aber da gab es nur ganz wenige.

In Ihrem Buch beschreiben Sie allerdings, dass Sie von Ihren ehemaligen linken Genossen wegen Ihrer kritischen Algerien-Berichterstattung angegriffen wurden. Das beschäftigt Sie noch heute.

Das war für mich schlimmer als die Anfeindungen in Algier selbst. Dort gab es Todesdrohungen, die auf Zetteln unter der Tür durchgeschoben wurden. Nachts hatte ich oft Angst. Es wurden ja immer wieder Ausländer umgebracht. Aber ich empfand die Rückkehr nach Deutschland dann als viel schlimmer. Dass Fundamentalisten was gegen Ausländer haben, war mir klar. Als ich dann in Deutschland anfing, davon zu erzählen, waren die Reaktionen verhalten. Man versuchte, die Taten der Islamisten zu entschuldigen und zu relativieren, etwa damit, dass die Dissidenten vielleicht auch irgendwas Beleidigendes gegen den Islam gesagt hätten. Es war für mich eine große Enttäuschung, dass die Linke in Deutschland nicht auf der Seite der muslimischen Dissidenten steht. Ich war deprimiert, weil ich plötzlich politisch heimatlos geworden war. Wenn ich jetzt beispielsweise zur Buchmesse fahre, kann ich nicht einmal mehr bei alten Freunden in Frankfurt anrufen. Da gelte ich als Nazi.

Sie kritisieren Ihrerseits die Linke scharf und schreiben beispielsweise in Ihrem Buch: »Der linke Stammtisch hat dem rechten Stammtisch erst ermöglicht, sich der Islamkritik zu bemächtigen.« Wie ist das zu verstehen?

Das Unbehagen in der Bevölkerung gegenüber dem Einfluss des Islam auf viele gesellschaftliche Bereiche hat immer mehr zugenommen, wie es eben auch viele Umfragen zeigen. Das heißt aber nicht, dass die Leute grundsätzlich islamfeindlich sind, vielmehr fürchten sie sich aus guten und rational nachvollziehbaren Gründen. Sie bekommen aber immer wieder zu hören, dass all das islamophob sei und man eine ganze Reihe von Fragen nicht stellen darf. Und dann kommen die Rechten ins Spiel und sagen: Ihr habt recht. In diesem Zusammenhang spreche ich von der »enthemmten Linken« in Anlehnung an die »enthemmte Mitte«. Diese enthemmte Linke hat jeden fertiggemacht, der etwas in Bezug auf den Islam hinterfragt hat. Ich habe das in meinen eigenen Freundeskreis erlebt. Man kann dort alles in Frage stellen: den Veganismus, den Katholizismus, sogar den Sozialismus. Nur den Islam nicht. Dann kommt eine Partei, die sagt, da stimmt was mit dem Islam nicht, und die Leute wähnen sich ernst genommen. 

Sie meinen die rechte AfD, die sich die Islamkritik auf die Fahne geschrieben hat...

Ja. Dabei ist Islamkritik aber etwas originär Linkes. In meinem Buch kommen deshalb vor allem linke Muslime zu Wort. So zitiere ich den tunesischen Psychoanalytiker Fethi Benslama, der enttäuscht feststellt, dass die Dissidenten in der muslimischen Welt von den europäischen linken Intellektuellen nicht unterstützt, sondern ganz im Gegenteil angegriffen werden.

Einen solchen Angriff hat der linke algerische Autor Kamel Daoud erlebt, als er zu den Ereignissen in der Silvesternacht in Köln in Le Monde Stellung genommen hat. Ihm warfen daraufhin 19 französische Intellektuelle Islamophobie und Parteinahme für die Rechten vor. Eine solch heftige Kritik kann ich mir in Deutschland an Islamkritikern wie Necla Kelek oder Ahmed Mansour nicht vorstellen. Was ist in Frankreich anders?

In Frankreich sind die Fronten noch verhärterer als hier. Man steht entweder auf der einen oder der anderen Seite. Selbst der frühere Bildungsminister Jack Lang hat nach den Attentaten bei Charlie Hebdo gesagt, man müsse den Reichtum des Islam sehen und nicht noch Öl ins Feuer gießen. Ich denke, Kamel Daoud wäre hier vor allem von den Islamverbänden kritisiert worden, aber nicht so scharf von deutschen Intellektuellen. Aber wir sollten natürlich auch nicht vergessen, was Martin Mosebach im Zusammenhang mit den Mohammed-Karikaturen geschrieben hat: »Dass ich unfähig bin, mich zu empören, wenn in ihrem Glauben beleidigte Muslime blasphemischen Künstlern – wenn wir sie einmal so nennen wollen – einen gewaltigen Schrecken einjagen.« Das ist die deutsche Variante. Dieser Autor kriegt aber weiterhin seine Preise. Dabei war das ein verkappter Mordaufruf. Kamel Daoud schreibt jetzt nichts Politisches mehr, nur noch Romane. Seine Kolumne »Raik Raikum« fehlt mir richtig.

Sehen Sie denn in Deutschland eine positive Veränderung? Etwa dass man politischer über Religion diskutieren kann? Immerhin haben Sie doch auch viele positive Reaktionen bekommen und jemand wie Ahmad Mansour ist ein beliebter Talkshow-Gast.

Nein, ich sehe darin keine wirkliche Veränderung. Es wird zwar diskutiert, aber wie sieht diese Diskussion denn aus? Etwa in Bezug auf die Übergriffe von Köln? Man sah es als Kollateralschaden und verglich die Massenübergriffe mit Einzelfällen auf dem Oktoberfest. Es wird also nicht in der Tiefe durchdiskutiert. Möglicherweise kommt das Thema im Bundestagswahlkampf wieder hoch. Ich hoffe da auf die Intelligenteren unter den Grünen wie Cem Özdemir.

Sie schreiben in Bezug auf eine Umfrage aus dem vergangenen Jahr, dass sich möglicherweise mehr als nur 57 Prozent der Deutschen vom Islam bedroht fühlen würden, wenn sie besser darüber informiert wären, wie islamische Strömungen wie die Muslimbruderschaft oder der Wahhabismus zu Menschenrechten und Demokratie stehen. Ist das denn wirklich wünschenswert? Würde das nicht vor allem dem Rechtspopulismus etwa der AfD in die Hände spielen?

Es würde diese Partei kurzfristig schon unterstützen, ihr aber auch langfristig den Wind aus den Segeln nehmen. Wenn sich die Debatte stärker öffnen würde – denn es gibt sie ja, aber eben doch nur punktuell –, dann würde diese Diskussion auch die Muslime stärker einbeziehen. Damit würde das progressive Lager enorm gestärkt. Das progressive Lager von Islamkritikern würde sich dann auch niemals der AfD anschließen. Leider wird sich die Polarisierung, die wir derzeit erleben, immer weiter fortsetzen, wenn keine offene Diskussion stattfindet.

Warum sollte diese Debatte gerade in Deutschland gelingen?

Weil eine kundige und vorbehaltlose Diskussion gerade in Deutschland nach wie vor eine große Chance darstellt. Die Ausgangsbedingungen sind doch viel besser als in Frankreich: Deutschland ist keine Kolonialmacht in der islamischen Welt gewesen. Das ist das eine. Der andere wichtige Aspekt betrifft die Gegenwart. Bundeskanzlerin Merkel hat die Flüchtlinge willkommen geheißen und damit gezeigt, dass wir keine Vorbehalte gegen Muslime als Menschen haben. Unsere Vorbehalte richten sich gegen den Islam als Ideologie. Es gibt ihn ja auch, den friedlichen, weltoffenen Islam. Wenn allerdings die Rede davon ist, wie liberal der Islam ist, der vom 8. bis zum 12. Jahrhundert vorherrschend war, dann vergessen diejenigen immer zu erwähnen, dass dieser Islam praktisch ausgelöscht wurde.

Gehört der Islam zu Deutschland?

Wenn man so einen Satz sagt wie »Der Islam gehört zu Deutschland«, dann muss man auch den Freiraum für die Kritik am Islam schaffen. Gerade um der Leute willen, die man integrieren will, muss man die Ideologie, die ihnen zu schaffen macht, kritisieren. 
Wenn man diese Diskussion aber nicht führt, hätte das furchtbare Folgen.