Die Elbphilharmonie wurde eröffnet

Egal was gespielt wird, alle wollen dabei sein

Die Elbphilharmonie in Hamburg wurde eröffnet.

»Das Traumschloss«, »der Elbtraum«, »Magnet am Wasser«, »Wunderwerk der Architektur«, »der Übermut wird hier zum Klang«, »Höhle der Harmonie«, »Eine Liebe für Millionen«: Was sich anhört wie die Titel von Rosamunde-Pilcher- oder Utta-Danella-Verfilmungen auf ZDF oder Sat.1, sind Überschriften aus deutschen Feuilletons, die dieser Tage die Eröffnung der Hamburger Elbphilharmonie bejubelten. Nicht der Berg, auch nicht der Bergdoktor, nein, das Meer, der Hafen gebar: »Das Herz begann zu schlagen« (Olaf Scholz), »Elphi atmet!« (Taz) und alle waren »tief beeindruckt von dieser Geburt« (Kent Nagano), denn: »Ja, es ist Liebe!« (DB Mobil).
Es herrschte Einigkeit, wie es hierzulande sonst nur der Fall ist, wenn es gegen Putin oder Nordkorea geht. Oder wenn die Stadt Hamburg zehn Millionen Euro in eine Eröffnungskampagne investiert – den Angaben des Branchenmagazins Horizont zufolge hat ein von der unter anderem für Angela Merkel und Zalando tätigen Werbeagentur Jung von Matt angeführtes »internationales Agenturnetzwerk« mit diesem Budget dafür gesorgt, dass sich das Image des Bauwerks vom gigantischen Skandal zum allseits beliebten Kulturtempel wandelt. Mission accomplished, allein in deutschsprachigen Medien erschienen im vergangenen Monat mehr als 11 000 Beiträge über den Neubau. Und die Sonderthemenseiten in Publikationen wie Zeit, Süddeutsche Zeitung oder Tagesspiegel wurden mit Anzeigenschaltungen der Elbphilharmonie sowie ihrer Sponsoren und beim Bau beteiligter Firmen und Ausstatter flankiert.
Niemand wollte den Jubel stören, es galt, die Ode von der Wiederauferstehung der deutschen Kulturnation zu singen, schließlich soll das neue Konzerthaus »die Weltspitze der Konzerthäuser« (Spiegel online) erklimmen, »ein Juwel der Kulturnation Deutschland«, wie Bundespräsident Joachim Gauck psalmodierte. Die Eröffnung lief auf allen Kanälen, von NDR über ARD (»Konzerthaus der Superlative« lautete der Titel der Dokumentation) bis zu ZDF, 3sat und Arte. Von kritischer Berichterstattung speziell bei den Öffentlich-Rechtlichen keine Spur.
Denn wie das bei derartigen Hochämtern nun einmal ist: All die Mühen und Niederungen, Lügen, Hochstapeleien und Betrügereien werden außer Acht gelassen, man will ungehemmt und vereint seine Freude zelebrieren, wenn die »Freiheitsstatue des Bürgertums« eröffnet wird. Wer will da schon kleinlich sein und nach den Kosten fragen? »Hurra, die Demokratie hat versagt« titelte der Spiegel, und die früheren Kritiker in Politik und Medien sind jetzt, wo das Gebäude fertiggestellt ist, »eigenartig stolz darauf, dass man es sich geleistet hat«, wie Niklas Maak angemerkt hat.

Die Elbphilharmonie in Hamburg wurde eröffnet


Ursprünglich, im Jahr 2001, sollte die Elbphilharmonie Hamburgs Haushalt gar nicht belasten, das war der wirklichkeitsfremde Plan: Ein privater Investor wollte Hotel, Gastronomie und Wohnungen errichten, und mit den Gewinnen sollte die Stadt den Bau querfinanzieren; nur das Grundstück hätte die Hansestadt kostenlos abgeben müssen. Der damalige Bürgermeister Ole von Beust (CDU) war begeistert, dass Hamburg »ein Wahrzeichen für das 21. Jahrhundert« erhalten würde. Quasi gratis! Also legte man los, gewann ein renommiertes Architekturbüro, das weltweit Kathedralen des 21. Jahrhunderts baut, seien es jene des Bürgertums – von der Tate Gallery London über das Miami Art Museum bis hin zum Caixa Forum Madrid –, seien es die Kathedralen der Massen, also Sportstadien wie die Münchner Allianz Arena, der Basler St. Jacob-Park, und das Pekinger Nationalstadion, das sogenannte »Bird’s Nest«. Aber die Kosten stiegen: 2005 war von 77 Millionen Euro die Rede, die die Stadt höchstens zu dem damals bereits auf 190 Millionen Euro geschätzten Projektkosten beisteuern sollte. 2007 wurden dann Verträge mit der Baufirma Hochtief geschlossen, die Gesamtkosten wurden nun mit 352 Millionen Euro beziffert, die Belastung des Haushalts der Hansestadt mit 142 Millionen Euro. Nach einigem unappetitlichen Hin und Her zwischen Stadt und Hochtief (Stichwort »Planänderungsmeldungen«) landete man letztlich bei Gesamtkosten in Höhe von 866 Millionen Euro, wovon die Stadt Hamburg nach Angaben von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) 789 Millionen Euro zu tragen hatte. Viel Geld für ein eigentlich für die Bürgerschaft »kostenloses« Projekt. Andererseits: Ganz »Weltspitze« ist es nicht, mit den Baukosten von 866 Millionen Euro hat es Hamburg nicht einmal unter die Top Ten der teuersten Gebäude der Welt geschafft, man belegt gerade mal Platz zwölf.
Mäzene haben 77 Millionen Euro aufgebracht, damit sie in den Sälen mit Namen genannt werden. Mäzene wie Michael Otto vom gleichnamigen Versandhauskonzern oder Helmut und Hannelore Greve, der Zeit zufolge »Hamburgs mächtigste private Grundbesitzer«, denen in der Hansestadt »eine Million Quadratmeter« an Wohn- und Büroflächen gehören und nach denen ein Foyer der neuen Elbphilharmonie benannt ist, oder die »Stiftung Maritim Hermann & Milena Ebel« der Hamburger Großreeder, oder die Hermann-Reemtsma-Stiftung. Wenn man etwas weniger Geld übrig hat, kann man ab einer »Zuwendung« von 100 000 Euro bei der »Elphi« Spender mit Platin-Status werden – da nimmt sich das Geschäftsmodell der Stuhlpatenschaften geradezu preisgünstig aus: Für schlappe 2 000 Euro kann man seinen Namen in der zwölften und 13. Etage des Großen Saals der Elbphilharmonie auf einer Plakette am Stuhlrücken lesen, allerdings nur fünf Jahre lang.
In bester hanseatischer Kaufmannstradition wurde außerdem der »Elbphilharmonie Circle« eingerichtet, ein »Unternehmerkreis der Elbphilharmonie«: »Einen atemberaubenden Blick auf die Stadt genießen Gäste in der Circle Lounge im 13. Stock der Elbphilharmonie«, heißt es im Programmbuch der Eröffnungssaison. »Im Rahmen eines herausragenden Konzerterlebnisses treffen sich hier Firmeninhaber und Geschäftsführer aus der Metropolregion Hamburg. Als Mitglieder des exklusiven Elbphilharmonie Circle setzen sie ein Zeichen für unternehmerische Kulturförderung. Im eleganten Loungebereich tauschen sie sich mit ihren Gästen aus dem In- und Ausland sowie mit weiteren großzügigen Unterstützern der Elbphilharmonie aus Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur aus«, wird die elitäre Lounge von der Hamburgmusik gGmbh beworben; das kleine »g« steht übrigens für »gemeinnützig«. Davon, dass die Bürgerinnen und Bürger der Hansestadt, die den Großteil der 789 Millionen Euro für den Bau der Elbphilharmonie aufbringen mussten, einen eigenen Raum in dem Gebäude erhalten würden, in dem sie sich als Teil der Gesellschaft, die den Bau »großzügig unterstützt« hat, mit anderen Vertretern aus Gesellschaft und Kultur sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern austauschen könnten, ist nichts bekannt. Eine »Freiheitsstatue des Bürgertums«? Eher ein Traumschloss der Oberschicht.
Wer es sich leisten kann, bekommt künftig die Gelegenheit, direkt über den beiden Konzertsälen die vielleicht teuersten Wohnungen der Stadt beziehen zu können. 44 Apartments mit 120 bis 400 Quadratmetern Wohnfläche sind im neuen Wahrzeichen der Hansestadt eingeplant und verkauft worden, Luxuswohnungen bis zu 110 Meter über der Elbe, für Quadratmeterpreise von bis zu 35 000 Euro in der 26. Etage: »Es fühlt sich so an, als gehöre die Elbphilharmonie ganz Ihnen«, sagen die Vermarkter. Noch vor der Titelseite des Saisonbuchs 2016/17 finden sich auf einer ansonsten weißen Seite die Logos der Sponsoren BMW und Montblanc. »Große Visionen brauchen ein starkes Fundament«, wird später behauptet, weswegen »namhafte Unternehmen die Elbphilharmonie unterstützen«: Die »Principal Sponsors« BMW und Montblanc, die »Classic Sponsors« (von Commerzbank über Haspa bis zur dänischen Jyske Bank, von Blohm und Voss bis zum Versicherungskonzern Kravag) und die »Product Sponsors«, unter ihnen das Champagnerhaus Ruinart – soll man das als »ruin art« lesen? –, Coca-Cola, Störtebecker und Meßmer.
Anlässlich der Berichterstattung zu den Eröffnungskonzerten der Elbphilharmonie konnte man erleben, dass nicht die Musik im Mittelpunkt stand, sondern neben dem Gebäude als solchem die Akustik. Wie klingt der große Konzertsaal denn nun? »Nach 21. Jahrhundert«, wie die einen sagen? »Nicht nur gut«, wie die anderen meinen? Einig scheinen sich die Musikkritiker darin zu sein, dass der Saal »gnadenlos überakustisch klingt«, also klar, hell und transparent – »jeder Ton ist für sich allein unterwegs, direkt und linear. Nichts mischt sich«, schreibt Eleonore Büning in der Faz. Man könnte behaupten, die Spezialität des vielbeschäftigten Akustikers Yasuhisa Toyota bestehe darin, einen geradezu neoliberalen Klang in Konzertsälen zu schaffen, einen Sound, durch dessen Transparenz jedes Geräusch im Saal zu hören ist. Aber Musik ist eben kein Sammelsurium einzelner Töne, die für sich stehen, sondern das Zusammenspiel, die gegenseitige Überlagerung musikalischer Ereignisse – eine Gemeinsamkeit der Töne. Für rhythmisch stramme Überwältigungsmusik ist solch eine Akustik ideal, für komplexe Werke eher nicht.

Für das Geld, das ein paar der 11 000 Gipsfaserplatten im Großen Saal kosten, könnte der Golden Pudel Club ein Jahr grandioses Subkultur-Programm organisieren. 

Aber komplexe Werke stehen auch nur wenige auf dem Programm. Betrachtet man ausschließlich die Kompositionen, die von den drei Stammorchestern der Elbphilharmonie in der Saison 2016/17 aufgeführt werden, also dem NDR-Elbphilharmonie-Orchester, dem Philharmonischen Staatsorchester und den Hamburger Symphonikern, kommt man zu einem ähnlichen Ergebnis wie überall im klassischen Konzertbetrieb: Von den 126 aufgeführten Orchesterwerken der ersten Saison stammen acht aus dem Barock, 21 aus der Wiener Klassik, 23 aus der Moderne und neun von zeitgenössischen Komponisten – 65, und damit mehr als die Hälfte, stammen dagegen aus der Romantik.
Bei der Eröffnung kamen identitätsstiftende Schlüsselwerke des gängigen Kanons zur Aufführung – etwa Beethovens »Missa solemnis«, die Uraufführung von Jörg Widmanns »Oratorium« oder Haydns »Schöpfung«. Werke der klassischen Moderne haben mit knapp 20 Prozent immerhin einen relevanten Anteil, die der zeitgenössischen Musik kommen eher zu kurz. Wie in den meisten Klassiksälen hierzulande soll die Auseinandersetzung mit der anspruchsvollen zeitgenössischen Musik die Klassikfans nicht stören oder gar verstören. Die Elbphilharmonie widmet Morton Feldman immerhin einen eigenen Kammermusikabend, aber Frederic Rzewski, Isang Yun, Steve Reich, Conlon Nancarrow, Vladimir Ussachevski oder Ben Johnston sucht man vergeblich, einen Hanns Eisler erst recht. 
Allerdings hat die Stadt Hamburg vor Jahren einen klugen Schachzug getätigt und mit Christoph Lieben-Seutter einen der gegenwärtig aufgeschlossensten Musikmanager als Intendanten verpflichtet, der seit seiner Tätigkeit im Wiener Konzerthaus auch für neue Konzertformen, interessante Programmlinien und für die Öffnung traditioneller Häuser in Richtung Zeitkultur steht. Damit ziehen auch etliche Weltmusik-Konzerte und solche von etablierten Popgrößen in die Elbphilharmonie, was in vergleichbaren Häusern immer noch unüblich ist und eine Bereicherung der kulturellen Vielfalt darstellt. Allein, die Verdrängung der Hamburger Subkultur wie auch das Sterben der alternativen Rückzugsgebiete St. Pauli, Sternschanze und Altona macht das nicht wett. Für das Geld, das ein paar der 11 000 Gipsfaserplatten im Großen Saal kosten, könnte der »Golden Pudel Club« ein Jahr grandioses Subkultur-Programm organisieren. Und ein Wahrzeichen ist der Pudel auch – allerdings für ein anderes Hamburg.
Die Hamburger Handelskammer verlangte in einem 2014 veröffentlichten Standortpapier, dass Hamburg bis zum Jahr 2025 »zur relevantesten Musikstadt Deutschlands« werden solle. Mal jenseits der lächerlichen Großspurigkeit, die Zukurzgekommenen gerne eignet – wie soll das geschehen? Durch umfassenden Musikunterricht an allen Schulen? Durch die Förderung anspruchsvoller Musikaufführungen, der zeitgenössischen Musik und der Subkultur? Es geht um Eventkultur und Tourismus: »Der Besuch eines Musik­events« soll dann für mindestens 15 bis 20 Prozent der Besucher Hamburgs »den primären Reiseanlass darstellen«, so die Verfasser des Papiers. Bisher war die Hansestadt nur Musical-Hauptstadt. Nun soll die Klassik als Touristenevent hinzukommen. Der Plan scheint aufzugehen: Die Karten für die erste Saison der Elbphilharmonie fanden reißenden Absatz, der Laden ist komplett ausverkauft, ganz egal, was gespielt wird: Alle wollen dabei sein.