Sachsen bleibt die Hochburg der extremen Rechten

Der sächsische Sumpf

Immer mehr durch Rechtsextreme begangene Straftaten werfen ein düsteres Licht auf den Freistaat Sachsen. Wegen mutmaßlicher Unterstützung einer Nazi-Terrorgruppe wird inzwischen auch gegen drei Polizisten ermittelt.

Vergangenes Jahr hat die sächsische Polizei so viele Ermittlungen gegen Rechtsextreme eingeleitet wie nie zuvor. Insgesamt 281 Ermittlungen registrierte das Operative Abwehrzentrum (OAZ) in Leipzig. Schwerpunkte seien Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, gegen Bürgermeister, organisierte Linke und ehrenamtlich Engagierte. Rein rechnerisch wurden in dem Freistaat seit 2011 täglich mindestens fünf rechtsextreme Straftaten ­begangen. Das geht aus einer Antwort des sächsischen Innenministeriums auf eine Anfrage der Linkspartei hervor. Während die Zahl rechtsextremistischer Straftaten ab 2011 bei etwa 1 600 jährlich lag, ist sie 2015 auf fast 2 500 gestiegen. Diese Entwicklung hat sich 2016 fortgesetzt. Vor allem die Zahl der Körperverletzungen stieg deutlich an. »Bundesweit ist und bleibt der Freistaat Sachsen die Hochburg der extremen Rechten schlechthin«, sagte Kerstin Köditz, die Sprecherin für antifaschistische Politik der Landtagsfraktion der Linkspartei. Die veröffentlichten Zahlen seien aber nur die Spitze des Eisbergs. Es gebe ein großes Dunkelfeld, das zeigten abweichende Statistiken von Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt. »Wir haben es seit mindestens zwei Jahren mit einer verschärften Gewaltdynamik zu tun«, so Köditz. Diese Entwicklung stehe »am Ende einer längerfristigen Enthemmungs- und Radikalisierungskette«. Seit Jahren fehle der Staatsregierung ein Gesamtkonzept zur Zurückdrängung der extremen Rechten, bemängelte die Expertin im MDR.
»Gewaltbereite Stimmungsmacher schüren bewusst Ängste, um Hysterie gegen die Asylpolitik zu forcieren und Gewalt gegen Flüchtlinge zu rechtfertigen«, beschreibt Bernd Merbitz, der Leiter des OAZ, die derzeitige Strategie der extremen Rechten in Sachsen. Merbitz zufolge hat sich der Rechtsextremismus in Sachsen flächendeckend etabliert. Die sächsische Linkspartei zählte im vergangenen Jahr allein 45 Vorfälle, wie zum Beispiel Anschläge auf ihre Büros, Angriffe auf Wohnungen oder ­Infostände und Bedrohungen von Mitgliedern. 33 Mal wurden Büros von ­Abgeordneten der Linkspartei attackiert. Geographische Schwerpunkte der Taten waren der Landkreis Sächsische Schweiz/Osterzgebirge mit zwölf gemeldeten Vorfällen, jeweils sechs waren es in Freital und Dippoldiswalde.
Am Vorabend von Silvester griffen vermummte Neonazis gezielt Mitglieder der Linksjugend Solid in Bautzen an. Zu zehnt prügelten sie auf ihre Opfer ein. Fünf linke Jugendliche mussten sich nach dem Angriff in ärztliche Behandlung begeben. Neben Prellungen und blauen Flecken erlitt ein Mitglied eine 15 Zentimeter große Platzwunde. Ein weiteres Mitglied musste mit einem Kieferbruch zur weiteren Behandlung in die Universitätsklinik Dresden gebracht werden. »Bereits im September warnte der Landesvorstand eingehend davor, das Problem mit ­Nazis in Bautzen kleinzureden«, sagte der Pressesprecher des Landesverbandes, Thomas Dudzak. Rechtsextremisten versuchten »in Bautzen ein Exempel dafür zu statuieren, dass sie ganze Städte in Deutschland beherrschen können«. In dieser »aufgeheizten rassistischen Stimmung« müssen, so Dudzak weiter, »alle staatlichen Behörden dafür Sorge tragen, den Rechtsstaat auf Bautzens Straßen gegen Nazis und mit ihnen sympathisierende Bevölkerungsgruppen durchzusetzen«.
Doch das ist leichter gesagt als getan. Im Rahmen der Ermittlungen wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung gegen acht mutmaßliche Mitglieder der »Gruppe Freital« am Oberlandesgericht wurde nun bekannt, dass die Staatsanwaltschaft inzwischen auch gegen drei Polizisten ermittelt. Die Beamten stehen unter dem dringenden Verdacht, Dienstgeheimnisse an die Verdächtigen weitergegeben zu haben. Hinzu kommt ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt. Innenminister Markus Ulbig teilte dem Landtag auf Nachfrage der Grünen-Fraktion mit, es hätten sich aus einer Vernehmung eines der Angeklagten neue Anhaltspunkte für »eine mögliche Weitergabe von Informationen aus der sächsischen Polizei an mutmaßliche Mitglieder der Gruppe Freital« ergeben.
Die Opposition im sächsischen Landtag übte nach den Veröffentlichungen heftige Kritik an den Ermittlungsbehörden sowie der CDU-geführten Landesregierung. »Mittlerweile glaube ich der Staatsregierung im Zusammenhang mit der Gruppe Freital kein einziges Wort mehr«, sagte der grüne Landtagsabgeordnete Valentin Lippmann. »Die Verbindungen sächsischer Polizisten zur Terrorgruppe Freital«, so Lippmann weiter, »sind offensichtlich noch größer als bislang angenommen.« Es stellte sich »immer mehr die Frage, inwieweit sächsische Polizeibedienstete von den geplanten Straftaten wussten oder diese gar aktiv unterstützten«. Von der »Weitergabe von Dienstgeheimnissen zu Unterstützungshandlungen für eine Terrorgruppe ist der Weg nicht weit«, so der Grünen-Politiker.
Bereits seit längerem wird die Dresdner Staatsanwaltschaft wegen ihrer ­Ermittlungen kritisiert. Obwohl die Mitglieder der Gruppe Freital den inzwischen suspendierten Beamten schon Ende 2015 belastet und namentlich genannt haben sollen, wurden die Ermittlungen erst viel später eingeleitet. Der SPD-Landstagsabgeordnete Albrecht Pallas äußerte sich ebenfalls kritisch. »Warum kam es erst vergangene Woche zu einer Suspendierung des Beamten?« fragte der Innenexperte. Es entstehe der fatale Eindruck, dass die Behörden in Sachsen nicht richtig gearbeitet hätten. »Mal wieder Sachsen, dass passt ja gerade ins bundesweite Bild«, so Pallas.
Nicht nur die Opposition bezweifelt, dass die Öffentlichkeit ohne die parlamentarische Initiative überhaupt von den Ereignissen erfahren hätte. Lippmann wirft der sächsischen Staatsregierung deshalb eine »desaströse Informationspolitik« vor. Die Ermittlungen gegen Polizisten, »die mit Rechtsex­tremen so weit sympathisieren, dass sie Dienstgeheimnisse weitergaben«, wurden laut Lippmann erst forciert, »als eine Nebenklagevertreterin Anzeige erstattete und der Druck der Öffentlichkeit so groß wurde, dass den Ermittlungsbehörden keine andere Wahl blieb«.