Der Abgasskandal bringt den VW-Konzern immer mehr in Bedrängnis

Dieselthematik statt Betrug

Der Volkswagen-Konzern scheint aus dem Skandal um die betrügerische Veränderung von Emissionsmesswerten bei Dieselautos wenig gelernt zu haben. In Nordamerika hat ihn die Affäre bereits 20 Milliarden Euro gekostet und auch in Europa könnte es noch richtig teuer werden.

Ein Jahr hat es gedauert, dann waren sie die Nervensäge los. Die Männerriege im Vorstand des Autoherstellers Volkswagen (VW) hat der von außen geholten Aufklärerin gezeigt, wer die Herren im Haus sind. Christine Hohmann-Dennhardt, ehemals Richterin am Bundesverfassungsgericht und Justizministerin des Landes Hessen, war »zum Aufräumen« in den Wolfsburger Konzern geholt worden. Ende Januar verließ die einzige Frau im VW-Vorstand überraschend ihren Posten. Wie verhandlungsstark sie zumindest in eigener Sache ist, zeigt die Abfindung in Höhe vom ehr als 12 Millionen Euro, die sie bekommt. Die Einstellung Hohmann-Dennhardts Anfang 2016 galt als Signal für eine neue Unternehmenskultur bei dem Konzern. Ihr Abgang ist ein Zeichen für den Sieg des alten Systems VW.
Hohmann-Dennhardt scheide »zum 31. Januar 2017 im gegenseitigen Einvernehmen aus dem Vorstand des Volkswagen-Konzerns aus, nachdem umfassende Vergleiche mit den US-Behörden im Zusammenhang mit der Dieselthematik erreicht worden sind«, heißt es in einer Mitteilung von VW. Man trenne sich »aufgrund unterschiedlicher Auffassungen über Verantwortlichkeiten und die künftigen operativen Arbeitsstrukturen in ihrem Ressort«. Das heißt: Es hat gewaltig gekracht, die Aufklärerin hat den Machtkampf verloren. Warum, darauf weist schon die Wortwahl »Dieselthematik« für die betrügerischen Abgasmanipulationen hin, bei der US-Behörden den Konzern vor ­anderthalb Jahren ertappt haben.
Der Autohersteller hatte im September 2015 Dieselfahrzeuge mit einer Software ausgestattet, die Abgaswerte bei Kontrollmessungen systematisch manipulierte. Millionen Autos sind davon betroffen, vor allem in Nordame­rika und Europa war die Empörung groß. Für die deutsche Öffentlichkeit war die Affäre ein Schock, gilt VW doch als Symbol für deutsche Ingenieurskunst und Wirtschaftskraft. Trotzdem hatte der systematische Betrug in Deutschland bislang keine Konsequenzen, von wenigen Personalien bei VW abgesehen. Der Rückzug des früheren VW-Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn gehörte dazu, die Verpflichtung Hohmann-Dennhardts ebenso. Der Konzern, an dem das Land Niedersachsen beteiligt ist, wollte die ernsthafte Absicht demonstrieren, den kriminellen Machenschaften auf den Grund zu gehen und die Strukturen zu ändern, die diese ermöglicht hatten. Die Demission der Aufklärerin ist nicht der einzige Hinweis darauf, dass VW aus dem Geschehen wenig gelernt hat – also Wiederholungsgefahr besteht.
Kurz vor der Amtsübernahme von Präsident Donald Trump hatte sich VW mit der US-Regierung auf einen Vergleich geeinigt, der Strafzahlungen von 4,3 Milliarden Euro vorsieht. Die US-Behörden haben VW eine Art Bewährungshelfer an die Seite gestellt. Ein unabhängiger Kontrolleur muss drei Jahre lang wichtige Entscheidungen genehmigen. Anders als in Deutschland greifen in den USA die Behörden hart durch. Ein zivilrechtlicher Vergleich sieht die Zahlung von 16,5 Milliarden Dollar vor. Sie sind gedacht für Kunden und für Händler, die wegen des Skandals keine VW-Dieselfahrzeuge mehr verkaufen konnten. Außerdem wurden etliche VW-Führungskräfte angeklagt, der für Umwelt zuständige ­Manager wurde nach einem Urlaub in Florida verhaftet. Ihm drohen 169 Jahre Haft. Das Gericht lehnte eine Freilassung auf Kaution ab. Dass er sich überhaupt in die USA gewagt hat, zeigt, wie unbedarft die führenden Manager von VW mit der Betrugsaffäre umgehen.
Ursprünglich war die Sozialdemokratin Hohmann-Dennhardt geholt worden, um den Vergleich mit den US-Behörden auszuhandeln. Doch das nahm ihr ein alteingesessener VW-Manager aus der Hand. Mitte Januar stand der Vergleich. »Die mit der US-Regierung getroffenen Vereinbarungen sind nicht zuletzt Ausdruck unserer Entschlossenheit, gegen ein Fehlverhalten vorzugehen, das sich gegen alles gerichtet hat, wofür Volkswagen steht«, sagte Winterkorns Nachfolger Matthias Müller. Doch diese Entschlossenheit wird nur behauptet. Inwieweit VW die betrügerischen Machenschaften im eigenen Haus tatsächlich aufklärt, ist schwer zu sagen. Der Konzern will die Öffentlichkeit, anders als einst zugesagt, an den eigenen Erkenntnissen nicht teilhaben lassen. Kurz vor Hohmann-Dennhardts Abgang teilte das Unternehmen mit, dass es – anders als versprochen – den 2015 in Auftrag gegebenen Untersuchungsbericht der US-Anwaltskanzlei Jones Day zu den Betrügereien bei den Abgasmessungen nicht veröffentlichen wird. Ursprünglich sollte schon im April 2016 ein Zwischenbericht publiziert werden. Immer wieder wurde die Veröffentlichung mit Hinweis auf die laufenden Verhandlungen mit den US-Behörden verschoben. Nach deren Abschluss wurde sie jedoch ganz gestrichen. Die Ergebnisse seien in ein Statement des US-Justizministeriums eingeflossen, hieß es. »Wieder einmal versucht die VW-Spitze damit, die ­Öffentlichkeit auszutricksen«, kommentierte das Wirtschaftsmagazin Capital. Ein vollständiger Bericht sei nicht vergleichbar mit der Mitteilung des US-Justizministeriums, in die viele in Deutschland interessante Aspekte nicht eingeflossen sind – etwa die Frage, wann Winterkorn von dem Betrug erfahren hat. »Von Anfang an ging es dem Aufsichtsrat des Konzerns darum, jede Verantwortung des früheren Vorstands mit allen juristischen Mitteln zu vernebeln«, stellt Capital fest.
Juristen empfehlen dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Winterkorn, ­lieber nicht in die USA zu reisen. Er könnte dort verhaftet werden. Ob der ehemalige Topmanager in Deutschland weiterhin unbehelligt seine Betriebsrente in Höhe von täglich 3 100 Euro genießen kann, ist noch nicht ausgemacht. Kurz nach dem Weggang der Chefaufklärerin gab die Staatsanwaltschaft Braunschweig bekannt, dass sie gegen ihn und weitere 36 Personen wegen des »Anfangsverdachts des Betruges und der strafbaren Werbung nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb« ermittelt. 
Bislang hatte sie Winterkorn und andere VW-Manager nur wegen des Verdachts auf Marktmanipulation im Auge. Der Vorwurf: VW habe bewusst spät über die Abgasmanipulationen informiert. Sollte das nachgewiesen werden, könnten Anleger Schadensersatz fordern. Die laufenden Ermittlungen hatten für Winterkorn den Vorteil, dass er bei seiner Aussage vor dem Untersuchungsausschuss Mitte Januar recht verschlossen bleiben durfte. Mit den neuen Ermittlungen gegen ihn wegen Betrugs bekommt die juristische Aufarbeitung der Affäre aber eine neue Dynamik. Es geht darum, dass Winterkorn »früher als von ihm öffentlich behauptet Kenntnis von der manipulierenden Software und deren Wirkung gehabt haben könnte«, so die Staatsanwaltschaft. Spannend wird, ob der VW-Aufsichtsrat jetzt Schadensersatzansprüche gegen Winterkorn und andere geltend macht. Juristen sind der Auffassung, dass das eine zwingende Folge des Ermittlungsverfahrens sei. Denn die Aufseher müssen sicherstellen, dass kein Vermögen zur Seite geschafft wird. Verzichten sie aus Kumpelei darauf, müssen sie selbst mit Strafverfahren rechnen.
Allein in den USA hat VW die Affäre an Strafzahlungen und Schadensersatz rund 21 Milliarden Dollar (umgerechnet 20 Milliarden Euro) gekostet, auch in Kanada werden Milliarden fällig. Die EU-Industriekommissarin Elżbieta Bieńkowska hat VW inzwischen auf­gefordert, die europäischen Kunden freiwillig zu entschädigen und so Klagen zu verhindern. Auch wenn die Rechtslage in Deutschland und anderen europäischen Ländern für Verbraucher ungünstiger ist als in Nordamerika, ­bestehen auch hier Chancen auf Entschädigung. Das Landgericht Hildesheim hat VW Mitte Januar dazu verurteilt, den dieselbetriebenen Škoda eines Kunden zurückzukaufen. Bislang hatten Kunden nur Aussichten auf ­Erfolg, wenn sie gegen die Händler vorgingen. Mehrere Hundert Verfahren laufen, ein höchstinstanzliches Urteil mit Vorbildcharakter gibt es noch nicht. VW konnte sich bislang auf die Position zurückziehen, keine direkte Verbindung zu Kunden zu haben. Damit kam das Unternehmen in Hildesheim nicht durch. Das Vorgehen von VW sei eine gesetzeswidrige Manipulation der Motorsteuerung, so das Gericht. »Das ist eine Verbrauchertäuschung, genauso wie die Beimischung von Glykol in Wein oder Pferdefleisch in Lasagne«, sagte der Vorsitzende Richter Wolfhard Klöhn. Rechtskräftig ist das Urteil noch nicht. VW will offenbar beim Oberlandesgericht Celle in Berufung gehen. Sollten am Ende die höchsten Gerichte in Europa zugunsten getäuschter Kunden entscheiden, könnte es für VW finanziell eng werden.