Keine allzu große Freude über das Urteil zur VG Wort

Ökonomie des Genies

Bei der Diskussion über die Vergütungsbedingungen der VG Wort setzen sich Autoren und Verlage wechselseitig ins Unrecht.

Seit vergangenem Dezember erhalten Autoren und Übersetzer Briefe und E-Mails ihrer Verlage. In diesen wird auf die Möglichkeit hingewiesen, mittels Erklärung gegenüber der VG Wort auf die rückwirkenden Ver­gütungen zu verzichten, welche ihnen laut einem im April 2016 gefällten Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) für die Jahre von 2012 bis 2016 aus Geldern zustehen, die in diesem Zeitraum von der Verwertungsgesellschaft widerrechtlich an Verlage ausgeschüttet wurden. Zustande gekommen ist das Urteil als Schlusspunkt eines Rechtsstreits der VG Wort mit dem Juristen und Sachbuchautor Martin Vogel, der den Verteilungsschlüssel, nach dem die VG Wort die jährlichen Einnahmen bei der Wahrnehmung von Urheberschaftsrechten bislang an Autoren und Verlage ausgeschüttet hat, für rechtswidrig hält. Dieser Klage ist mit dem BGH-Urteil nun auch in letzter Instanz stattgegeben worden.
Der alte Verteilungsplan der VG Wort schüttete die über die sogenannte Kopierabgabe eingenommenen Gelder zu jeweils 50 Prozent an Verlage und Urheber aus. Dieser Schlüssel ist mit dem BGH-Urteil Makulatur. Es besteht jedoch die Möglichkeit, dass Autoren und Übersetzer mit für den jeweiligen Verlag aus­gestellte Erklärungen auf die ihnen aus den Zeiträumen von 2012 bis 2015 sowie 2016 erwachsenden Nachzahlungsansprüche verzichten. ­Ansprüche, die sich auf Jahre vor 2012 beziehen, gelten als verjährt. Für 2016 muss eine gesonderte Verzichtserklärung unterzeichnet werden, weil der Verlagsanteil für dieses Jahr von der VG Wort bereits bei der jüngsten Ausschüttung zurückgehalten wurde. Ein Verzicht nur für ausgewählte Jahre ist nicht möglich. Die Anonymisierung des über die VG Wort abgewickelten Verfahrens soll sicherstellen, dass Autoren, die auf ihre Ansprüche nicht verzichten, in ihrer Position gegenüber den Verlagen keine Nachteile entstehen.
Vor allem bei Publizisten mit linkem Selbstverständnis ist das Urteil des BGH auf begeisterte Zustimmung gestoßen (vgl. Tanja Dückers in ­Jungle World 20/2016). Der Börsenverein des deutschen Buchhandels indessen hat, sekundiert von den großen Feuilletons, den Richterspruch als desaströs für das Verlagswesen dargestellt. Beide Positionen scheinen nicht unwesentlich darauf zu beruhen, dass sich Autoren und Verleger von der eigenen Arbeit wie von der des jeweils anderen falsche Vorstellungen machen. So entspricht das Selbstbild, das die Verlage in ihren Anschreiben an die Autoren zeichnen, in dieser Form längst nicht mehr der Wirklichkeit. Durch fast vollständigen Wegfall der Fachlektorate, die fast nur noch als Institutionen der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit fungieren, kann pauschal keine Rede mehr davon sein, dass sich die Verlage, wie es in deren Bittbriefen nahezu wortgleich heißt, »uneingeschränkt« für die Publikationen ihrer Autoren »einsetzen«. In der Belletristik-Sparte dürfen fast nur noch renommierte Autoren auf ein eingreifendes literarisches Lektorat ihrer Veröffentlichungen hoffen, weil nur sie (wie zum Beispiel Peter Handke bei Suhrkamp mit Raimund Fellinger) kontinuierlich mit gut bezahlten, festangestellten Lektoren zusammenarbeiten können. Die anderen können sich freuen, wenn ihre Bücher überhaupt gedruckt werden.
In Wissenschaftsverlagen ist es nicht mehr nur bei Qualifikationsarbeiten Standard, dass Autoren ­neben dem Lektorat auch das Layout ihrer Bücher selbst besorgen müssen. Wenn es hier überhaupt noch einen Lektor gibt, schreibt er den Klappentext und lanciert die Werbung. Die niedrige Auflage, in der wissenschaftliche Publikationen auf den Markt kommen (oft in weniger als 300 Exemplaren), tut ein Übriges, damit die Beteiligten, nicht selten auch der Autor selbst, an der Form der Veröffentlichung im Grunde wenig Interesse haben. Verlage wie Wallstein oder Vandenhoeck & Ruprecht, die es sich nach wie vor viel kosten lassen, ihren Autoren ein gründliches Lektorat zu bieten, sind auf diesem Sektor, wo der Publikationszwang die Tatsache des Drucks oft wichtiger als die Qualität des Gedruckten erscheinen lässt, inzwischen absolute Ausnahmen. Hinzu kommt, dass gerade in diesen Verlagen die Veröffentlichung aus nachvollziehbaren Gründen ­besonders teuer ist, während Druckkostenzuschüsse von VG Wort oder akademischen Stiftungen zugleich seltener als früher gewährt werden. Viele Akademiker müssen sich daher, sofern sie ihre Arbeiten nicht online publizieren, mit schlecht gesetzten, fehlerhaften Veröffentlichungen in En-gros-Verlagen begnügen, die ungelesen in die Universitätsbiblio­theken eingesargt und niemals exhumiert werden.
Dass diese Schwierigkeiten nicht nur bürgerliche, sondern erst recht linke Verlage betreffen, verdient kaum betont zu werden. Grund dafür ist nicht, dass Letztere idealistischer und weniger marktorientiert arbeiten würden, sondern dass die Ausrichtung auf ein überschaubares Milieu und die ideologische Fixierung der Wurstigkeit im Umgang mit Autoren noch zuarbeiten. Wenn Publizisten mit linkem Selbstverständnis sich besonders darüber freuen, dass es mit dem BGH-Urteil den Verlagen an den Kragen geht, hat das also weniger mit Kapitalismuskritik als mit Alltagserfahrungen aus dem eigenen Sumpf zu tun. Umgekehrt sind die immer schlechteren Arbeitsbedingungen in den Verlagen aber auch nicht einfach ein Symptom deren schnöder marktorientierter Haltung, sondern Resultat derselben Entwicklungen, die für die prekäre Arbeitssituation freier Autoren verantwortlich sind: des objektiven Bedeutungsverlusts geistiger Arbeit, der Prekarisierung der akademischen Berufe, der Entwertung von Bildungstiteln und Kulturtechniken auf dem Feld der öko­nomischen Konkurrenz.

In Wissenschaftsverlagen ist es nicht mehr nur bei Qualifikationsarbeiten Standard, dass Autoren neben dem Lektorat auch das Layout ihrer Bücher selbst besorgen müssen. 

Es ist daher keine Heuchelei, sondern eine Tatsachenfeststellung, wenn die Verlage in ihren Schreiben, die von Anhängern Martin Vogels als »Bettelbriefe« verhöhnt werden, darauf hinweisen, dass Autoren und Verlage ihre Interessen, auch wenn diese nicht identisch sind, nur gemeinsam wahrnehmen können. Nicht umsonst ist die VG Wort, anders als viele Anhänger des BGH-Urteils offenbar annehmen, keine Autoren­gewerkschaft, sondern eine Verwertungsgesellschaft. Ihre Selbstbezeichnung bezieht sich sowohl auf die Objekte, die verwertet werden und deren Urheber die Autoren sind, wie auf die Institutionen, die zwischen den Autoren und dem Markt vermitteln. Das sind zwar nicht mehr nur die Verlage, doch selbst ein Blogger, der seine instruktiven oder überflüssigen Textmassen in Eigen­regie ins Internet stellt, muss sich dafür vorhandener medialer Formate bedienen. Organisationen wie die »Freischreiber«, die während des Rechtsstreits besonders aggressiv verlagsfeindliche Ansichten vertreten haben, scheinen aus der Leichtigkeit und Promptheit, mit der Veröffentlichungen durch die digitalen Medien möglich werden, den Fehlschluss zu ziehen, dass Publikationen heutzutage vermittlungslos möglich sind. Das ist aber nicht der Fall. 
Schon im Begriff der Urheberschaft selbst, der ja ein Rechtsverhältnis ­bezeichnet, ist auf eine institutionelle Instanz verwiesen, die den Schreibenden zum Urheber macht: Urheberschaft beruht, wie der Literaturwissenschaftler Heinrich Bosse in seiner Studie »Autorschaft ist Werkherrschaft« gezeigt hat, auf der Abspaltung des Werks von dem, der es hervorbrachte und dem es durch den Rechtstitel der Urheberschaft als geistiges Eigentum zugeeignet wird. Eigentum aber setzt die Trennung des Objekts, das einer sein eigen nennen darf, von der Person voraus. Die Annahme, die digitale Ökonomie lasse so etwas wie vermittlungslose Selbstschöpfung zu, reproduziert insofern Schöpfungsvorstellungen der Genieästhetik, an die niemand mehr ernsthaft glauben kann. In der hyb­riden Selbstbezeichnung freier Autoren als »Freischreiber« schwingt dieses Missverständnis mit.
Dass Autoren und Übersetzern durch das nun festgeschriebene Verfahren die Möglichkeit gegeben wird, für jeden Verlag gesondert zu entscheiden, ob sie auf die Nach­zahlungsansprüche verzichten wollen oder nicht, ist insofern zu begrüßen. Es erlaubt, die Leistungen der Einzelverlage und ihre ökonomische Situa­tion bei der Entscheidung mitzubedenken, ohne sich zum Vollstreckungsbeamten bei einer Liquidation der Verlage zu machen. Würden die infolge des BGH-Urteils nämlich schwer geschädigt, würde das früher oder später die Auflösung der VG Wort bedeuten – mit der Folge, dass über lange Zeit überhaupt niemand mehr den jährlichen Scheck bekommt.