Trotz ausgewiesener Milliardengewinnne sieht für VW die Zukunft düster aus

Elektroschock im Dieselland

Der Wolfsburger Autokonzern VW steht vor schwierigen Zeiten. Doch auch anderen deutschen Herstellern von herkömmlichen Kraftfahrzeugen droht Ungemach. Der Branche blüht ein ähnlicher Umbruch wie vor ein paar Jahrzehnten dem Bergbau.

Die Volkswagen (VW) AG selbst nennt die Neuerung zukunftsweisend, das Handelsblatt spricht allen Ernstes von einem »Ende der Wolfsburger Exzesse« und das Manager-Magazin beschreibt das neue Vergütungssystem für die Vorstandsmitglieder des skandalgeschüttelten Autoherstellers als »ausnahmsweise normal«. Das ist deutsche Wirtschaftsnormalität: Der VW-Vorstandsvorsitzende Matthias Müller kann künftig nur noch 270 Mal so viel verdienen wie ein durchschnittlicher Arbeitnehmer.
»Die Grundvergütung wird um bis zu 30 Prozent auf 2,125 Millionen Euro für den Vorstandsvorsitzenden und 1,35 Millionen Euro für die übrigen Vorstandsmitglieder angehoben. Die Maximalvergütung eines Jahres wird für den Vorstandsvorsitzenden auf zehn Millionen Euro und für die übrigen Vorstandsmitglieder auf 5,5 Millionen Euro begrenzt«, teilte VW in der vergangenen Woche mit. »Damit sinkt die theoretisch mögliche Maximalvergütung gegenüber der vorherigen Systematik um bis zu 40 Prozent.« Allerdings steigen die ohnehin schon hohen Pensionsansprüche, denn die hängen vom Grundgehalt ab. So viel wie der frühere Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn, der 2011 sage und schreibe 17,5 Millionen Euro erhielt, kann Müller nicht mehr in einem Jahr verdienen. Aber auch seine Bezüge sind fernab jeder Verhältnismäßigkeit. Die Deutsche Rentenversicherung geht davon aus, dass das durchschnittliche Jahreseinkommen eines Beschäftigten 2017 bei etwa 37 000 Euro liegen wird.
Vor allem der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) soll auf die Änderung der Vergütung gedrungen haben, die der Öffentlichkeit als Mäßigung und Normalisierung präsentiert wird. Das Land Niedersachsen gehört zu den wichtigsten Anteilseignern von VW; die regierenden Sozialdemokraten hätten ihren Einfluss im Aufsichtsrat längst nutzen können, um die hohen Gehälter zu senken. Doch das geschieht erst jetzt, da die Genossen das Thema Managergehälter für den beginnenden Wahlkampf entdeckt haben. Die SPD will, dass Managergehälter ab 500 000 Euro nicht mehr als Betriebsausgaben geltend gemacht werden können. Der Vorschlag sei »symbolisch wichtig«, werde aber an der Praxis wenig ändern, sagte der Vorsitzende der Gewerkschaft IG Metall, Jörg Hofmann, der auch stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender von VW ist. »Die Unternehmen werden weiter so viel bezahlen wie bislang«, sagte er. Es würde nur teurer für sie, weil sie die Ausgaben nicht mehr steuerlich absetzen könnten. Die IG Metall fordert wie die Linkspartei eine generelle Obergrenze für Managerbezüge.
Dass bei VW überhaupt von Zulagen zum ohnehin exorbitanten Grundgehalt der Vorstandsmitglieder die Rede ist, ist absurd. Denn die Betrugsaffäre um manipulierte Abgaswerte bei weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen ist noch lange nicht ausgestanden. In den USA sitzt ein Manager in Haft, die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt gegen mehr als 30 Führungskräfte. Noch immer ist unklar, wann genau Martin Winterkorn und andere Vorstandsmitglieder von dem Betrug erfahren haben. Das ist wichtig für die Frage der Schadensersatzansprüche von Investoren. Sollte die Führungsriege früher Bescheid gewusst haben als momentan bekannt, stiegen die Chancen der Aktionäre auf Entschädigungen für Kursverluste. Kein geringerer als der frühere VW-Patriarch Ferdinand Piëch soll Medienberichten zufolge eine Reihe von Führungskräften bei internen Ermittlungen und mit Aussagen vor der Staatsanwaltschaft Braunschweig belastet haben. Er habe sie schon im Frühjahr 2015 auf Manipulationen bei Schadstoffmessungen aufmerksam gemacht – nachdem er von dem ehemaligen israelischen Botschafter Avi Primor davon erfahren haben will.
Öffentlich will sich Piëch dazu ebenso wenig äußern wie vor dem Bundestagsuntersuchungsausschuss. Als Österreicher muss er dort nicht erscheinen. Der VW-Aufsichtsrat weist die Vorwürfe zurück. Das seien »Rachegelüste« von Piëch, heißt es. Dieser hatte im Frühjahr 2015 öffentlich einen Machtkampf mit Winterkorn angezettelt und verloren.
In Europa stehen die letztinstanzlichen Urteile zur Entschädigung getäuschter Autokäufer noch aus. Sollten sie Schadensersatzansprüche haben, geht es an die finanzielle Substanz von VW. Außer einem Hildesheimer Gericht hat auch eines in Braunschweig VW zur Rücknahme eines dieselbetriebenen Fahrzeugs verurteilt – mögliche Präzedenzfälle sind also geschaffen. Mit der Fischmanufaktur Deutsche See hat ein erster Großkunde VW verklagt. Der Marktführer im Geschäft mit frischen Fischen, der mit 500 VW-Fahrzeugen seine Ware ausfahren lässt, verlangt Schadenersatz in Höhe von 11,9 Millionen Euro.
Das alles relativiert die jüngsten Erfolgsmeldungen von VW ganz erheblich. Gewaltige 217 Milliarden Euro hat der größte Autokonzern im Jahr 2016 umgesetzt – vier Milliarden mehr als im Vorjahr. 2016 ist VW wieder in die Gewinnzone gekommen, ließ der Konzern verlauten. Der Milliardenverlust 2015 ging auf die immensen Kosten und Strafzahlungen im Zusammenhang mit der Dieselbetrugsaffäre und die dafür geleisteten Rückstellungen in Höhe von 16,2 Milliarden Euro zurück. 2016 hat VW weitere 6,4 Milliarden zurückgestellt. Aber allein in Nordamerika muss VW bereits 22 Milliarden Euro für die Bereinigung der Betrugsaffäre aufbringen.
Bei der Aufstellung von Bilanzen haben Unternehmen erhebliche Spielräume. Den ausgewiesenen Gewinn in Höhe von 5,1 Milliarden Euro hätte VW auch für drohende Strafen und Entschädigungen zurückstellen können. Aber das wäre schlecht fürs Image gewesen und die Dividende für die Aktionäre – die größten sind die Familien Porsche und Piëch, das Land Niedersachsen und das Emirat Katar – wäre niedriger ausgefallen.
Das Umsatzwachstum bei VW geht maßgeblich auf Verkäufe in China zurück. Doch auch in China jedoch könnten die guten Zeiten für VW bald vorbei sein. Die chinesische Regierung will eine rasche Elektrifizierung des Autoverkehrs durchsetzen. Die hochbezahlten VW-Manager haben es verpasst, rechtzeitig in neue Technologien zu investieren, die der Umwelt weniger schaden als Benzin und Diesel. Deshalb sollen die VW-Kernmarken brachial umgebaut und auf den Elektroautomarkt ausgerichtet werden. An den deutschen Standorten sollen bis 2020 rund 23 000 Stellen gestrichen werden, das ist ein Fünftel der Belegschaft. Noch lautet die Ansage, dass die Arbeitsplätze über Altersteilzeit und Fluktuation abgebaut werden sollen – doch das kann sich in Krisenzeiten schnell ändern. Gleichzeitig sollen neue Fachkräfte für die IT- und Softwareentwicklung angeheuert werden. Bis 2025 will VW zum Weltmarktführer von Elektroautos aufsteigen.
Doch das ist nicht so einfach. Mit der Übernahme von Opel durch den französischen Konzern PSA (Peugeot, Citroën) entsteht der nach VW zweitgrößte Autohersteller Europas. Größe bringt Wettbewerbsvorteile, schon durch die Verhandlungsmacht gegenüber Zulieferern und im Einkauf. In Wirtschaftskreisen wird darüber spekuliert, ob Opel künftig als reiner Elektroautohersteller auftreten wird.
In Deutschland arbeiten noch rund 19 000 Menschen bei Opel. Elektroautos und Arbeitsplatzgarantien hin oder her – nach der Übernahme dürften dort früher oder später Stellen gestrichen werden. Ebenso wie der Stellenabbau bei VW zeigt das, dass der Strukturwandel weg von der Autoindustrie als dominierender und identitätsstiftender Branche der deutschen Wirtschaft längst begonnen hat. Es ist Zeit für ein Konversionsprogramm, damit die Autoarbeiter nicht das gleiche Schicksal ereilt wie die Bergleute.