Aki Kaurismäkis Film »Die andere Seite der Hoffnung«

Asyl im »Goldenen Krug«

Aki Kaurismäkis Film »Die andere Seite der Hoffnung« entdeckt die Menschlichkeit in der Festung Europa.

Ein Film wie aus der Zeit gefallen: Alle Moden des Kinos prallen an Aki Kaurismäki von jeher ab. Auch sein neuestes Werk »Die andere Seite der Hoffnung« ist von sympathischer Eigenbrötelei und einem originellen Regiestil geprägt. Skurrile Szenen, kauzige Charaktere und Großaufnahmen, die wie gemalt wirken, werden mit Detailbeobachtungen zum cineastischen Gesamterlebnis verquickt. Und dabei nimmt sich Kaurismäki keinesfalls der Leichtigkeit des Seins an, sondern bearbeitet ein dringliches Thema.
»Eira« – der Schriftzug rückt in der Eingangsszene ins Bild. Er ziert einen Kohlefrachter. In der nächsten Einstellung wird ein Kokshaufen sichtbar, darin rührt sich etwas, ein Mensch befreit sich daraus. Später sitzt der Passagier auf einer Polizeistation. In dazwischen eingeblendeten Szenen betritt ein Mann sein Zuhause. Koffer und Hausschlüssel legt er ab, lässt seinen Ehering in einen Aschenbecher plumpsen. Seine Frau drückt darauf ihre Kippe aus.

Zwei Erzählstränge führt der Film erst parallel und schließlich zusammen. Der syrische Geflüchtete Khaled landet mit einem Frachter in Helsinki. Er beantragt Asyl, ist aber chancenlos. Obwohl er in seiner Heimat Aleppo Vater, Mutter, den kleinen Bruder und die Verlobte verloren hat, ist sein Fall für den finnischen Beamten klar. Während Khaled in der Flüchtlingsunterkunft vor sich hin dämmert, sorgt er sich um seine Schwester. Auf der Flucht über die Balkan-Route hat er sie in Ungarn aus den Augen verloren, wo sie an der nunmehr geschlossenen Grenze strandete. Der drohenden Abschiebung entkommt er durch neuerliche Flucht und schlägt sich als Papier­loser durch. Auf dem Hinterhof einer Gaststätte findet er Unterschlupf. Das Lokal gehört Wikström, einem fliegenden Handelsvertreter für Herrenoberbekleidung – er ist der Mann mit dem Ehering. Die Beziehung der Eheleute steht kurz vor dem Aus. Jetzt will Wikström was verändern in seinem Leben. Er übernimmt das Lokal »Goldener Krug«. Dort begegnet er Khaled. Kurz und schmerzvoll fällt das erste Zusammentreffen aus, beide fühlen sich vom jeweils anderen gestört. Sie prügeln sich. Doch Wikström hat ein gutes Herz und nimmt Khaled im »Krug« auf. Er gibt ihm dort eine Unterkunft und eine Anstellung nicht ganz uneigennützig, denn in seinem schlecht laufenden Laden kann er eine steuerfreie Arbeitskraft gut gebrauchen. Zusammen mit seinen drei anderen merkwürdigen Mitarbeitern bilden der Wirt und sein Flüchtling eine Notgemeinschaft, die bald eine Solidargemeinschaft der Randständigen und Gestrauchelten ist. Für die vier Männer und eine Frau wird der »Goldene Krug« zum Asyl. Mit Pragmatik statt großer Geste agieren die Figuren. Kahled blickt immer wieder sehnsüchtig gen Meer. Die fünf entwickeln einen Zusammenhalt gegen die feindliche Außenwelt mit all ihren Ansprüchen. Diese dringt natürlich in den Schutzhafen ein. Ende offen.

Zusammen mit seinen drei anderen merkwürdigen Mitarbeitern bilden der Wirt und sein Flüchtling eine Notgemeinschaft, die bald eine Solidargemeinschaft der Randständigen und Gestrauchelten ist.

Kaurismäkis kleine Parabel der Mitmenschlichkeit ist formal und ästhetisch eigensinnig, wie man es von diesem Regisseur erwartet. Ein leiser Symbolismus kommt zum Tragen. Wie der Frachter »Eira« etwa, auf dem sich Khaled versteckt, heißt auch ein Stadtteil Helsinkis, in dem sich viele ausländische Botschaften befinden. Der Name geht auf Eir, die nordische Göttin der Heilung, zurück. Die ersten Worte im Film dringen aus dem Off: »Ich werde bald sterben.« Überall ist altes Mobiliar zu sehen, überholte technische Apparate. Auf dem Polizeirevier thront eine mechanische Schreibmaschine zwischen dem nichtssagenden an­gestaubten Bürointerieur. Nur kurz kommen Laptop und Fingerabdrucknehmer ins Bild, fast wie Störenfriede. Die Ästhetik – die Bilder werden von den drei Grundfarben Rot, Blau, Gelb dominiert – versucht, eine allgemeingültige Zeit darzustellen. Trotz kurz eingeblendeter Nachrichtenbilder aus Syrien geht es dem Regisseur nicht darum, hochaktuell zu sein.
Mit den Klischees von den Geflüchteten will Kaurismäki brechen, schreibt er im Presseheft. Sie sind weder edle Menschen noch vergewaltigende Kriminelle; nur Menschen. So wie die anderen Protagonisten auch. Statt einen Kulturkampf zu inszenieren, zeigt er einen Kampf um Kultur und Würde. Melancholischer Idealismus tropft aus jeder Szene, die Hoffnung, das Steuer am Kohlenkahn Europa doch noch herumreißen zu können. Hier kämpfen noch Obdachlose gegen Nazis, die Khaled verfolgen.

Dass der Film nicht ins Melodramatische abrutscht, liegt an seinem feinen, absonderlichen Humor. Spröde sind die Dialoge – »In schlechten Zeiten trinken die Leute, in guten mehr«, das mimische und gestische Spiel wirkt verhalten. Das lässt Auftritte wie den einer grimmigen Altherrenpokerrunde umso lustiger ­erscheinen. Regelmäßig tritt eine abgewrackte Rock ’n’ Roll-Kapelle auf. Weil das kulinarische Konzept bestehend aus Kartoffeln mit Büchsenfisch nicht mehr ankommt, versuchen Wikström und sein Team den Geschmack der Zeit zu treffen und bieten Sushi an. Blöd nur, dass ausrechnet eine japanische Reisegruppe die ersten Gäste im neuen »Imperial Sushi« sind.

Man kann die »Die andere Seite der Hoffnung« als Ergänzung des vorherigen Films Kaurismäkis ansehen. Thema und Perspektive gleichen sich: Auch in »Le Havre« (2011) geht es um einen Flüchtling, der in einer Gemeinschaft aus skurrilen Typen Aufnahme findet. Der einstige Clochard Marcel Marx hat sich in die französische Hafenstadt zurückgezogen. Hier geht er einer nicht ­gerade lukrativen, aber ehrlichen Arbeit als fliegender Schuhputzer nach. Mit seinem mageren Einkommen sorgt er auch für seine Frau, beide scheinen glücklich zu sein. Als die Frau ins Krankenhaus muss, tritt plötzlich der afrikanische Flüchtlingsjunge Idrissa in Marx’ Leben. Auf dem Weg zu seiner Mutter nach London ist er in Le Havre gestrandet. Ohne zu zögern, setzt Marx alles daran, Idrissa zu helfen. Weder Denun­zianten noch Polizei halten ihn auf. Hier ist Solidarität wirklich eine Waffe: Der Zusammenhalt der Nachbarn im Quartier machen das Unmögliche möglich und der Staat beißt sich die Zähne aus. »Le Havre« ist eine hochpoetische Ode an die Mitmenschlichkeit genauso wie sein Nachfolger »Die andere Seite der Hoffnung«. Sechs Jahre Zeit hat sich Kaurismäki zwischen beiden Filmen gelassen, die eigentlich Teile einer »Hafentrilogie« werden sollten, die aber auf der Berlinale spontan in »Flüchtlingstrilogie« umbenannt wurde. Mit der Ruhe – fast ist man versucht, Behäbigkeit zu sagen –, die seine Werke ausstrahlen, geht er offenkundig auch seine Projekte an. Beide Filme appellieren an die Menschlichkeit nicht mit Pathos und Rührseligkeit. Die Humanität wird einfach als das Selbstverständlichste überhaupt dargestellt. So gelingt ein wunderschöner Film, der sich trotz seines ernsten und grausamen Hintergrunds Leichtigkeit bewahrt.

Die andere Seite der Hoffnung. (Finn­land/D 2017). Buch und Regie: Aki Kaurismäki, Darsteller: Sherwan Haji, Sakari ­Kuosmanen. Start: 30. März