Rashad Beckers „Traditional Music of National Species

Tutti-Schläge aus dem Kriechtierorchester

Auf seinem zweiten Album erforscht der Musiker Rashad Becker weitere fiktive Spezies.

»Traditionelle Musik« von »Notional Species«? Das klingt einigermaßen abgehoben und könnte die Befürchtung wecken, hier wolle jemand die ganz große Konzeptkunst abliefern. Wenn Musiker ein »Konzeptalbum« ankündigen, wirkt es meist aufgeblasen und oft unfreiwillig komisch. Glücklicherweise liegt dem Berliner Musiker Rashad Becker so etwas fern. Mit den Titeln seiner Alben »Traditional Music of Notional Species Vol. I« und »Vol. II« macht er sich vielmehr einen Jux aus dem pseudoethnographischen Ton.
Traditionelle Musik aus allen Gegenden der Welt hat in den vergangenen Jahren einen kleinen Boom erlebt, den Labels und Institutionen wie Sublime Frequencies oder Smithsonian Folkways mit spezialisierten Samplern wie »Ethnic Minority Music of Southern Laos« oder »Music of Indonesia Vol. 7: Music from the Forests of Riau and Mentawai« bedienen. Für westliche, an Viervierteltakt und gleichstufiger Stimmung der zwölf Halbtöne in der Oktave geschulte Ohren lassen sich hier neue Klangwelten entdecken. Das gilt auch für Beckers Musik. Mit »Traditional Music of Notional Species« erweitert er die musikalische Weltkarte um bizarre, von fiktiven Wesen beheimatete Gegenden des Phantastischen.
Nach »Vol. I« aus dem Jahr 2013 erscheint dieser Tage, ebenfalls beim Berliner Label Pan, »Vol. II«. Dass der Nachfolger so heißt, passt nicht nur zur Idee, eine absurde Rubrik von library music ins Leben zu rufen. Es drückt auch die Verwandtschaft der beiden Alben aus. So ist »Vol. II« wie Beckers Debüt in vier themes auf der einen und vier dances auf der anderen LP-Seite unterteilt. Auch musikalisch schließt das neue Album an das vorangegangene an. Geben viele Musiker im Experimentalbereich dem Drang zu ausgreifenden Formen nach, sind Beckers Stücke konzentrierte Kompositionen im popkompatiblen Format von meist ungefähr vier Minuten.
Die Sounds, die man zu hören bekommt, sind ebenso fremdartig wie assoziativ. Man ist unweigerlich geneigt, zu phantasieren, wie die »notional species« wohl aussehen mögen, die dieses seltsame Klingeln und Tröten, Rumpeln und Gurgeln erzeugen. Das letzte Stück, »chants/dances VIII«, klingt wie eine eigenartige Insektensymphonie inklusive effektvollen Tutti-Schlägen des Kriechtierorchesters, während sich ein paar Heuschrecken in mongolischem Obertongesang versuchen. Was wirklich dahintersteckt, ist meist kaum auszumachen, es können ebenso gut Modularsynthesizer wie manipulierte Samples sein. Was Beckers Musik aber besonders faszinierend macht, ist, dass es ihm nicht nur gelingt, die merkwürdigsten Sounds zu produzieren, sondern diese auch so stimmig zu arrangieren, dass die Songs bei aller Abstraktheit überaus rhythmisch und eingängig klingen. Dass das den Stücken einen ganz eigenen Humor verleiht, hebt Becker aus der verkrampften Ernsthaftigkeit der meisten Klangforscher nur umso mehr heraus.
Wollte man die Musik zur Orientierung mit ein paar Etiketten versehen, dann ließe sich vielleicht sagen, dass Beckers Stücke den Bogen zwischen Musique concrète à la Bernard Parmegiani, den leichtfüßigen Synthesizerkonstrukten von Ursula Bogner (a.k.a. Jan Jelinek) und den unheimlichen Klangzaubereien von Nate Young schlagen. Das Schöne ist aber, dass die Vergleiche alles nur sehr ungefähr hinhauen, denn genaugenommen klingt nichts so wie diese wundervolle Musik.
Rashad Becker: »Traditional Music of Notional Species Vol. II« (Pan)