In Italien tobt seit Monaten eine Impfdebatte

Die Angst vor der Spritze

In Italien ist die Zahl der Masernerkrankungen deutlich angestiegen. Die Behörden erwägen deshalb, die Impfpflicht für Kindergarten- und Schulkinder wiedereinzuführen. Insbesondere Vertreter des Movimento 5 Stelle polemisieren gegen staatliche Impfkampagnen.

In seinen Bühnenprogrammen polemisierte der italienische Komiker Beppe Grillo schon früh gegen staatliche Impfkampagnen. Als der britische Arzt ­Andrew Wakefield 1998 mit einer Studie über einen angeblichen Zusammenhang zwischen dem Kombinationsimpfstoff Mumps-Masern-Röteln (MMR) und Autismus für Aufsehen sorgte, verallgemeinerte Grillo dessen These zu der Behauptung, Impfungen machten grundsätzlich krank. Knapp 20 Jahre später ist seine politische Bewegung zu einem Sammelbecken für italienische Impfgegner geworden. Obwohl der unwissenschaftliche Charakter von ­Wakefields Untersuchung längst nachgewiesen wurde, schüren parlamen­tarische Vertreter des Movimento 5 Stelle (M5S) weiterhin den Verdacht, Impfkampagnen seien nichts anderes als gesundheitsgefährdende Geschäfte­macherei der Pharmaindustrie.

Dass sich Grillo nicht entschieden auf die Seite der radikalen Impfgegner stellt, dürfte der Rücksicht auf seine rechte Wählerschaft geschuldet sein.

Dagegen betonen die Gesundheitsbehörden die gefährlichen Auswirkungen der Impfskepsis. Im März legte das Gesundheitsministerium einen Bericht vor, dessen Zahlen die Öffentlichkeit aufschrecken ließen: Seit Beginn des Jahres waren in Italien 700 Masernfälle registriert worden, während es im ersten Quartal des Vorjahres nur 220 Fälle gegeben hatte. Gesundheits­ministerin Beatrice Lorenzin führte den alarmierenden Anstieg darauf zurück, dass immer mehr Eltern die staatlich empfohlene und kostenlose Schutzimpfung für ihre Kinder ablehnten. Nicht nur sei die MMR-Impfungsrate auf 85 Prozent der Bevölkerung gesunken, sondern auch bei den Pflichtimpfungen gegen Diphtherie, Tetanus, Polio und Hepatitis B sei die angestrebte 95-Prozent-Marke nicht erreicht worden. Impfquoten unter diesem Wert könnten die sogenannte Herdenimmunität nicht mehr garantieren, es könne also nicht mehr sichergestellt werden, dass innerhalb der Bevölkerung auch nichtimmune Personen vor Ansteckung geschützt seien. Gleichzeitig mit dem Bericht wurden Agenturmeldungen veröffentlicht, denen zufolge in Rumänien, wo die MMR-Impfquote noch niedriger liegt als in Italien, in den vergangenen sieben Monaten über 3 000 Menschen an Masern erkrankt und 17 daran gestorben waren.

Durch einen Bericht des populären Fernsehmagazins »Report« erfuhr die anlaufende Impfoffensive der italienischen Regierung jedoch schon Mitte April einen ersten Rückschlag. In einem Kurzbeitrag klagten mehrere junge Frauen über starke Nebenwirkungen der Impfung gegen Humane Papillomviren (HPV). Dabei wurde nicht nur der ita­lie­nisch­en Arzneimittelbehörde vorgeworfen, sie propagiere die HPV-Impfung zu unbedarft als bestmögliche Vorbeugung gegen Gebärmutterhalskrebs. »Report« zitierte außerdem die im vergangenen Jahr bekannt gewor­dene Kritik des dänischen Nordic Coch­rane Centre, wonach die Europäische Zulassungsbehörde für Arzneimittel (EMA) bei der Überprüfung der HPV-Impfstoffe Cervarix und Gardasil wissenschaftliche Standards nicht eingehalten und der Öffentlichkeit wesentliche Test­ergebnisse verheimlicht habe. Unmittelbar nach der Ausstrahlung der Sendung kritisierte die Vereinigung der italienischen den Bericht als einseitig, das Gesundheitsministerium bezeichnete den Beitrag schlicht als Desinformation, verschiedene PD-Abgeordnete forderten die Absetzung des Programms, da man nicht zulassen könne, dass über das öffentlich-rechtliche Fernsehen unwissenschaftliche, populistische Propaganda gegen das Impfen verbreitet werde.

Beppe Grillo erklärte sich in seinem Blog solidarisch mit der »Report«-­Redaktion, schlug aber zugleich einen ungewöhnlich verhaltenen Ton an. Der M5S sei nicht grundsätzlich gegen Impfungen, die Bürgerinnen und Bürger sollten allerdings frei entscheiden dürfen und sich auf eine verstärkte Kontrolle der Arzneimittelaufsicht verlassen können. Dass sich Grillo nicht rückhaltlos auf die Seite der entschiedenen Impfgegner stellt, dürfte der Rücksicht auf seine rechte Wählerschaft geschuldet sein. Italiens Rechte ist seit Jahren von der Angst besessen, »Fremde« und »Illegale« könnten Krankheiten ins Land schleppen und längst über­wunden geglaubte Epidemien auslösen.

Das Impfthema ist so emotional besetzt, das kleinste Stimmungsschwankungen zu erheblichen Meinungswechseln führen: Erst im Januar war nach Bekanntwerden mehrerer Todesfälle infolge bakterieller Hirnhautentzündungen eine Massenhysterie ausgebrochen. Für einige Tage erlebten die Impfstationen der Krankenhäuser einen kaum zu bewältigenden Andrang und die Regierung musste sich vorwerfen lassen, im Notfall nicht genug Impfstoff zur Verfügung stellen zu können.

Vier Monate später konzentriert sich im derzeitigen Impfstreit alles auf die Frage, ob bestimmte Impfungen zukünftig gesetzlich verpflichtend werden oder freiwillig bleiben sollten. Eine Gesetzesinitiative, die das Gesundheitsministerium vor einigen Wochen gemeinsam mit den Regionen vereinbart hat, sieht vor, die 1999 aufgehobene Pflicht zur Mehrfachimpfung vor der Aufnahme in öffentliche Kindergärten und Schulen wiedereinzuführen und auf diese Weise die MMR-Impfquote wieder zu erhöhen. Gegen den geplanten obligatorischen Impfnachweis regt sich jedoch nicht nur bei den Impfgegnern Widerstand, auch Impfbefürworter warnen vor Zwangsmaßnahmen und Sanktionen gegen Eltern, die die Impfung ­ihrer Kinder verweigern. Sie fordern eine Verbesserung der Aufklärungs­arbeit,die eine Art moralischer Impfpflicht durchsetzen soll. ­Gewerk­schaften des Gesundheitssektors betonen außerdem, dass nicht nur ­kostenfreie Impfungen bereitzustellen, sondern auch andere Angebote zur Prävention und Gesundheitsförderung landesweit und dauerhaft zu garantieren seien.