Small Talk mit Betül Havva Yılmaz über den Hungerstreik türkischer Akademiker

»Auf der schwarzen Liste«

Nuriye Gülmen und Semih Özakça befinden sich in Ankara im Hungerstreik. Die Universitätsdozentin und der Lehrer protestieren so gegen ihre Entlassung durch den türkischen Staat. Die Organisation »Barış için Akademisyenler« (Akademiker für den Frieden) möchte in Deutschland auf die Lage der beiden und aller anderen entlassenen Staatsbediensteten aufmerksam machen. Betül Havva Yılmaz ­gehört zu der Gruppe und hat mit der »Jungle World« gesprochen.
Small Talk Von

Seit wann sind Nuriye Gülmen und Semih Özakça im Hungerstreik?
Sie demonstrieren seit mehr als 180 Tagen in Ankara auf der Straße, mehr als 60 Tage davon im Hungerstreik. Nuryie ist Dozentin, wir haben jahrelang zusammengearbeitet. Semih ist Lehrer. Sie wurden, wie ich und alle Entlassenen, ohne Gerichtsverfahren suspendiert und mit lebenslangem Berufsverbot belegt.

Wie geht es den beiden?
Sie befinden sich in einer gefährlichen gesundheitlichen Lage.

Ihre Organisation möchte in Deutschland auf den Hungerstreik und die Entlassungen aufmerksam machen?
Ja, wir haben am vergangenen Wochenende in Köln aus Solidarität einen eintägigen symbolischen Hungerstreik absolviert. Am Sonntag werden wir das Gleiche in Berlin am Pariser Platz tun.

Wie viele Menschen wurden seit dem gescheiterten Putschversuch aus dem Staatsdienst entlassen?
Per Notstandsdekret wurden mehr als 120 000 Wissenschaftler, Lehrer und andere Beamte entlassen.

Wie verdienen die Entlassenen seither ihren Lebensunterhalt?
Ich habe keine Ahnung. Diese Leute dürfen nie wieder im Staatsdienst tätig sein, sie wurden ohne jeglichen Gerichtsprozess mit lebenslangem Berufsverbot belegt. Und auch private Arbeitgeber ­geben ihnen keinen Arbeitsplatz, weil sie Angst davor haben, jemanden einzustellen, der auf der schwarzen Liste steht. Etwa 7 900 Akademiker und 33 900 Lehrer ­wurden entlassen. Wir haben aber zumindest die Bildungsgewerkschaft Eğitim Sen, die uns unterstützt. Die anderen 80 000 Entlas­senen haben diese Hilfe nicht.

Unterstützt die internationale akademische Welt die Kollegen in der Türkei?
Ich kann nur von Deutschland sprechen. Es gibt hierzulande Stiftungen, über die man Stipendien beantragen kann. Ich habe beispielsweise ein Stipendium der Rosa-Luxemburg-Stiftung erhalten. Das ist eine große Unterstützung, zumal es für uns sehr eilig war und die Stiftung den Prozess für uns erleichtert hat. Manche von uns befanden sich beispielsweise für Vorträge und andere Veranstaltungen in Deutschland, als sie von ihrer Entlassung erfuhren, und sind nicht in die Türkei zurückgekehrt. In Deutschland gibt es also Solidarität. Sie muss aber noch größer werden.

Kann man den Entlassenen in der Türkei finanziell helfen?
Ja, unsere Gewerkschaft hat gemeinsam mit der Bildungsinternationale ein Spendenkonto eingerichtet.

Denken Sie, angesichts der Lage sollte die Bundesrepublik mehr Menschen aus der Türkei Asyl gewähren?
Von uns Akademikern hat niemand einen Asylantrag gestellt. Meine Aufenthaltsgenehmigung beispielsweise ist an meine Promotion gekoppelt, ein Asylantrag ist nicht nötig. Zudem hoffen wir, dass sich die Situation in der Türkei eines Tages wieder zum Guten ­wendet. Dann wollen wir zurückgehen und unsere Arbeit dort wieder aufnehmen.

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