Die Serie »4 Blocks« über einen arabischen Clan in Berlin-Neukölln

Hundertpro harte Hood

Progressiv, gut gemacht, lokal und global – die Serie »4 Blocks« über einen arabischen Clan in Berlin-Neukölln hebt sich wohltuend ab vom Durchschnitt deutscher Fernsehunterhaltung. Auch wenn der Authentizitätskult fragwürdige Züge hat.

Nicht irgendwo in Berlin, sondern zwischen Sonnenallee, Hasenheide und dem Görlitzer Park befinden sich die vier Blocks in denen die arabische Großfamilie Hamady lebt. Im Trendbezirk Berlin-Neukölln wachen die Hamadys über die Stadtteilentwicklung, regulieren die Ansiedlung von Kleinunternehmen, verständigen zwischen Alteingesessenen und Zugezogenen, kontrollieren das tägliche Geschäft. Kurz, es geht um Rough Boys, Schutzgeld, Drogen und die Frage, was das Leben außerdem noch bereithält. Diese Woche ist im Pay-TV-Sender TNT die Serie »4 Blocks« angelaufen.

»4 Blocks« erzählt eine klassische Story des Mafia-Genres und befolgt dabei das aktuelle Erfolgsrezept für Serien: je lokaler, desto globaler, heißt, desto profitabler.

Serien boomen seit Jahren. Allein in den USA werden jährlich mehr als 500 Neuproduktionen auf den Markt gebracht. Während das Format anfangs vom Feuilleton verlacht wurde, erntet es heute euphorische Anerkennung für seine Progressivität bei der Komplexität der Plots und Charaktere. Auch in Deutschland ist das so. Derzeit sorgt die Serie »4 Blocks« für besondere Aufmerksamkeit. Die zweite Staffel ist bereits in Arbeit, denn schon vorab schien ihr der Erfolg sicher. Die Serie beeindruckt, weil ihre Macher ihr Handwerk verstehen.

In zunächst sechs Episoden erzählten sie die Geschichte des Familien-Clans Hamady in Neukölln. Um die Hauptfigur Ali »Toni« Hamady (Kida Khodr Ramadan) entspinnt sich aus den Themen Familie, Freundschaft, Liebe, Treue und Verrat ein Action-Märchen. Ende April wurde Ramadan auf dem französischen Festival Séries Mania als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet. Eigentlich will Toni die kriminellen Geschäfte hinter sich lassen und ein bürgerliches Leben führen. Es kommt aber anders. Als sein Schwager Latif (Massiv) bei einer Drogenrazzia verhaftet wird, sieht sich Toni in der Verantwortung und übernimmt die operative Führung des Clans. Zudem muss er seinen unberechenbaren Bruder Abbas (Veysel Gelin) in Schach halten. Durch dessen unkoordinierte Alleingänge bringt er den Machtanspruch der Hamadys im Kiez in Gefahr. Dann taucht plötzlich der alte Jugendfreund Vince (Frederick Lau) aus der Versenkung auf. Mit ihm gemeinsam will Toni die Straße regeln, um schließlich den Absprung von ihr zu schaffen. Frauen kommen auch vor. Kalila (Maryam Zaree) und Amara (Almira Bagriacik) sind als Ehefrauen nicht direkt ins Geschäft involviert, sondern geben die moralische Instanz und sorgen sich in erster Linie um die Familie. Ewa (Karolina Lodyga) hat als einzige Nichtaraberin der Familie einen schweren Stand und wird kaum als vollwertiges Mitglied anerkannt, betrachtet ihren Gatten Abbas jedoch als das wahre Familienoberhaupt. Außer Ehefrauen treten auch Poletänzerinnen und Prostituierte in Erscheinung, die aber allesamt keinen Sprechtext haben.

»4 Blocks« erzählt eine klassische Story des Mafia-Genres und befolgt dabei das aktuelle Erfolgsrezept für Serien: je lokaler, desto globaler, heißt, desto profitabler. Der Neuköllner Kiez ist daher nicht zufällig das Setting. Der Berliner Bezirk ist in den vergangenen Jahren in den Medien präsent. Ist von Neukölln die Rede, werden Themen wie Multikulti oder scheiternde Integration, Trendkiez und Gentrifizierung, organisierte Kriminalität und Drogensumpf unweigerlich angesprochen. Auf die eine oder andere Weise ist Neukölln dem Publikum vertraut, sei es als heimatliche Hood, fancy Hotspot oder Ort des Schreckens. »4 Blocks« setzt auf diese Assoziationen und bekanntermaßen bringt die Kulturindustrie nicht nur Geschmäcker hervor, sondern kann diese auch direkt mit einem passenden Produkt bedienen.

Auch die Bildsprache der Serie suggeriert eine Nähe zu Ort und Sujet. Gedreht wurde an Originalschauplätzen mit einer Art dokumentarischer Kamera. Die Ästhetik erinnert stellenweise an Youtube-Clips, es ­wackelt, die professionellen Amateur­aufnahmen sollen an die Unverfälschtheit der Bilder glauben lassen. Nicht nur wegen ihrer Aufmachung wird »4 Blocks« vom deutschen Feuilleton für seine Authentizität gelobt. Die Rede ist etwa von einem »geglückten Experiment«, das eine Story »vor unserer Haustür« (Zeit Online) erzählt, oder gar von einem »authentischen Juwel für deutsche Serienfans« (Musikexpress). Dass das Ideal des Natürlichen nach der ­Dekonstruktion des Dualismus von Wirklichkeit und Repräsentation ­etwas naiv Anachronistisches hat und die verklärte Suche nach Echtheit ­zudem Bestandteil des kulturindustriellen Fetischismus ist, steht dabei nicht zur Debatte. Überhaupt wird von den Authentizitätsfanatikern nicht reflektiert, was daran so spaßig sein sollte, sich zum Feierabend die wirkliche Tristesse reinzuziehen.

Ihren eigenen Authentizitätsanspruch, der auch als Abgrenzung zu rassistischen Wahrnehmungen in der Gesellschaft verstanden werden soll, sehen die Macher der Serie in erster Linie durch die Lebensgeschichten ihrer sehr unterschiedlichen Darsteller garantiert, darunter die deutschen Gangsta-Rapper Massiv und Veysel. In einem Interview sagt der Regisseur Marvin Kren, er habe als Österreicher »Jungs wie Kida oder Veysel Gelin« gebraucht, »um diese Authentizität glaubhaft zu erzählen« (RBB). Er erklärt aber nicht, wieso ein Schauspieler wie Ramadan, dessen Eltern aus dem Libanon nach Deutschland kamen, besonders authentisch den Boss eines Drogen­imperiums spielt, nur weil diese Figur ein libanesischer Einwanderer ist. Dies versteht sich nur dann von selbst, wenn man Menschen aufgrund ihrer Herkunft als Kollektiv betrachtet, in dem individuelle Unterschiede verschwinden. Ramadan stellt im gleichen Interview die sinnvollere Forderung, spezifische Erfahrungen von Migranten sollten in deutschen ­Medien mehr vertreten werden.

Dass sich die Protagonisten von »4 Blocks« neben dem harten Business auch mit der Ausländerbehörde herumschlagen und um Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis kämpfen müssen, ist ein Schritt in diese Richtung. Auch bricht die Serie zuweilen mit stereotypen Bildern: Die Hamady-Brüder geraten mit ihrem libanesischen Drogenzulieferer in einen Konflikt. Toni beschwört sein Gegenüber mit den Worten »Wir sind doch Brüder«, was dieser zurückweist. Denn seine Familie habe in Beirut den Bürgermeister gestellt, während die Hamadys Ziegenhüter gewesen und dann feige nach Deutschland geflohen seien. Die vermeintliche arabische Bruderschaft wird hier als Phantasma dechiffriert, das der Realität ökonomischer und politischer Differenzen nicht standhält. Auch der starre Männlichkeitskult wird stellenweise beweglich. Issam (Emilio Sakraya), ein jugendlicher Handlanger der Bande, inszeniert den Machismo lieber in seinen Rap-Texten als in bru­talen Straßenkämpfen und verweist so auf einen sublimierenden Ausweg aus Unmittelbarkeit und Gewalt.

Trotz einiger Ambivalenzen bleiben die Figuren letztlich in der schein­baren Naturwüchsigkeit des Milieus befangen. Klischees, die sich in der Wirklichkeit reproduzieren und so ein Wahrheitsmoment haben, werden keiner feineren Betrachtung unterzogen, sondern bleiben ebenso schablonenartig wie die Texte der Rapper auf dem Soundtrack. Apropos Rap: Bei Typen wie Massiv, der für die Street Credibility zuständig ist und somit als Role Model der arabischen Jungs erscheinen soll, kann man froh sein, dass er in »4 Blocks« nicht hundertprozentig authentisch ist. Denn sonst würde er bestimmt auch hier Gelegenheit finden, den Jihad gegen Israel zu glorifizieren, wie er es in seinen Texten, Musikvideos und zusammen mit seiner Fangemeinde im Internet gerne tut.

»4 Blocks« ist deswegen unterhaltsam, weil die Serie ihr Publikum ­weder über- noch unterfordert. Als mustergültige Gangster-Erzählung bedient sie alle Erwartungen an das Genre, ohne dabei ausschließlich ausgetretenen Pfaden zu folgen, und bereichert das Ganze durch die geschickte Verwertung popkultureller Elemente. Im Titelsong heißt es: »Selbes Schicksal, gleicher Fluch, sitz im Gerichtsaal im Nikeanzug«. Keine Frage, derartiges Pathos ist allemal amüsanter als die ZDF-Serie »Soko Kitzbühel«.