20 JAHRE Gender Trouble: Frauen und Männer in der Jungle World

Es bleibt kompliziert

Schon seit geraumer Zeit ist das Verhältnis zwischen Frauen und Männern in der Redaktion ausgeglichen. Das war nicht immer so. Katja Leyrer erinnert sich an die wenig feministische Gründungsphase der »Jungle World«.

Ich bilde mir ein, zu den Geburtshelfer­innen dieser Zeitung zu gehören. Immerhin war ich die erste aus der damaligen Redaktion der Jungen Welt, die in den frühesten Stunden der Besetzung mit einer Isomatte und einer Kosmetiktasche dort ankam, weil mir klar war, dass nicht nur Arbeitskampf gespielt wurde, sondern harte Tage und Nächte auf uns warteten. Auf dem Fußboden neben den Schreibtischen schlafen zum Beispiel. Die sanitären Verhältnisse vor Ort waren ein Elend und durchaus ungeeignet, um sich fein zu machen für die nun bald eintrudelnden Gäste, Fotografen und vereinzelten Fernsehteams. Ich war die Zweitälteste im Team, nur Klaus Behnken, der Chefredakteur, war etwas älter als ich, doch der hatte sein eigenes kleines Chef-Stübchen und seinen schönen lauten Bob-Dylan-Sound, von dem er uns manchmal etwas abgab in den Flur, ob wir wollten oder nicht.

Trotz schwulem Chef, revolutionärem Habitus und hohen Ansprüchen, ich war immer nur der Nebenwiderspruch.

Ich war bald 50 Jahre alt damals. Und ich hatte drei halbwüchsige Kids in Hamburg, für die ich zumindest finanziell, aber ab und an auch noch direkt, sorgen musste. Diese Lebenslage allein passte schon ganz und gar nicht. Sie hatte schon vorher nicht gepasst, aber als es dann wie häufig in der Anfangsphase überhaupt kein minikleines Honorar mehr oder dies viel zu spät gab und nur noch von der Hand-in-den-Mund angesagt war, die Arbeit jedoch immer umfangreicher und intensiver wurde, habe ich kapituliert. Irgendwann während der Anfangszeiten der Jungle World habe ich Kontakt mit der Berliner Schuldnerberatung aufnehmen und auch meinen ersten und einzigen Offenbarungseid vor einem Berliner Notar schwören müssen. Aber, wenn ich mich recht erinnere, habe ich das alles fast zwei Jahre durchgehalten. Aus Liebe. Aus Liebe zu diesem Projekt Jungle World. Ich hatte glücklicherweise Freunde und Liebste, sogar eine Kollegin aus der alten Jungen Welt, die mir das finanzielle Desaster verziehen, mir viel Geld liehen oder im Einzelfall sogar schenkten. Ohne diese Unterstützung hätte ich mir das keine zwei Monate lang erlauben können.

Doch es ging mir keineswegs immer gut in dieser Zeit. Auch nicht mit den meisten meiner meist wunderklugen, vor Ideen sprudelnden und emsig werkelnden Kolleginnen und Kollegen bei der neuen Dschungel-Zeitung. Ich gewann den Eindruck, dass ich die einzige sei – und ich war es wohl auch –, die Kinder und Alltagsverpflichtungen hatte, die neben der Redaktionsarbeit auch noch eine große Rolle spielten. Und das wurde nicht im mindesten angemessen akzeptiert. Es galt als mein Ding, es sollte unsichtbar und unerwähnt bleiben. Dazu kamen erhebliche Diskrepanzen im Lebens- und Arbeitsstil: Wenn nachts um 23 oder 24 Uhr endlich die Debatte, die Seite oder das Blatt fertig waren, gingen die meisten Kollegen noch einen draufmachen (und alles Wichtige besprechen!) und ich fand gerade nur noch den Weg in mein Bett und konnte und wollte nicht mehr daran teilhaben.

Ich war schon bei der Jungen Welt sozusagen als Vorzeigefeministin eingestellt worden. Ich hatte diesen Ruf, berechtigt wohl, alldieweil ich als damals politisch aktive feministische Autorin allerlei veröffentlicht und gearbeitet hatte. Leider hat sich das – in den Gründungszeiten der Jungle World – überhaupt nicht netter, klüger oder verständnisvoller gestaltet, beinahe im Gegenteil. Trotz schwulem Männerchef, revolutionärem Habitus und hohen Ansprüchen. Ich war immer und immer nur der Nebenwiderspruch mit meinen Problemen und die Frau für frauenpolitische oder soziale Themen. Innenpolitik konnte und durfte ich auch ab und zu, vor allem wenn es um Soliarbeit für Gefangene oder die Entschädigung für ehemalige NS-Opfer ging. Ich wurde aber nie im »internen« Kreis der Entscheidungsfinder ernst genommen, sondern war vor allem auch die Problemfrau, die seltsame Ansprüche auf ein freies Wochenende und Geld-für-Arbeit stellte.

Ich bereue jedoch nichts. Es war eine hinreißende, ganz wunderbare Erfahrung, bei der Gründung der Jungle World dabei gewesen zu sein. Die es gar nicht geben sollte, die es nicht geben konnte, der niemand auch nur ein Jahr Lebenszeit usw. prophezeien wollte, und die heute immer noch da ist. Und wie! Lächelnd wie ein kleiner, feister Buddha sich breitgemacht hat im deutschsprachigen Zeitungsgewerbe, was ihren Einfluss angeht. Ich bin stolz darauf, immer wieder, wenn ich am Kiosk stehe.

Einer alten Liebe zum Geburtstag zu gratulieren, ist eine große Freude. Dass sie keine ausgewiesene Feministin ist, macht ja nichts. Sie ist erst zwanzig! Und oftmals lernbereit. Das wünsche ich ihr von Herzen neben vielen anderem.


Es war kompliziert und es ist kompliziert.