Entebbe ist ein zentrales Kapitel deutsch-israelischer Geschichte

Krieg gegen Israel

Von völlig fehlgeleiteter Gewalt zum Kampf gegen ein Narrativ. Entebbe ist ein zentrales, oft übersehenes Kapitel der deutsch-israelischen Geschichte

Zwei Ereignisse, die nur auf den ersten Blick zwei verschiedenen Nationalgedächtnissen angehören, jähren sich dieser Tage. In Deutschland sieht man dem 40. Jahrestag des »Deutschen Herbstes« entgegen. In Israel wird des 50. Jahrestags des Sechtagekrieges gedacht. In seinem Diskussionsbeitrag meint der Autor des Buchs »Legenden um Entebbe«, Markus Mohr, dass sich die Ereignisse, die sich Ende Juni und Anfang Juli 1976 zuerst in der von einem deutsch-palästinensischen Kommando entführten Air-France-Maschine und dann am alten Flughafenterminal von Entebbe abspielten, nicht umstandslos den Ereignissen von 1977 zuordnen ließen. Damit löst er den im Namen eines palästinensischen »Widerstands« und eines linken »Internationalismus« ausgeführten Gewaltakt aus seinem Erfahrungszusammenhang.

Tatsächlich ist Entebbe ein zentrales, heute jedoch vielfach übersehenes Kapitel der deutsch-israelisch-palästinensischen Geschichte. Ohne 1967 hätte es vielleicht kein Entebbe gegeben, wenngleich der Krieg gegen Israel auch ohne die Folgen des Sechstagekriegs sicherlich nicht minder intensiv geführt worden wäre. Entebbe war ein Teil dieses Krieges, der nicht erst 1967 begann und auch danach nicht beendet war.

Das Jahr 1977 begann mit mehreren militanten Aktionen gegen Kinos, die den US-amerikanischen Film »Unternehmen Entebbe« über die Ereignisse aus dem Vorjahr ins Programm genommen hatten. Diese Aktionen kulminierten in dem Versuch, in zwei Kinos in Düsseldorf und Aachen Brandbomben zu zünden. Das Jahr 1977 begann also mit einem Angriff auf die Verschränkung der Erinnerung an Entebbe mit der Erinnerung an den Holocaust, der als Vorgeschichte und damit Teil des Kriegs gegen Israel begriffen wurde.

Am 5. September 1977 entführte ein Kommando der RAF Hanns Martin Schleyer. Der Tag der Entführung scheint nicht zufällig gewählt. Genau fünf Jahre zuvor hatte ein Kommando der palästinensischen Organisation »Schwarzer September« das Quartier israelischer Sportler auf dem Gelände der Olympischen Spiele in München gestürmt und elf Israelis als Geiseln genommen. Mosche Weinberg und Josef Romano wurden ermordet, nicht ohne  auf grausamste Weise gequält worden zu sein. Die übrigen Geiseln wurden von den Entführern im Lauf einer missglückten polizeilichen Befreiungsaktion getötet. Auf der Forderungsliste freizulassender Gefangener standen auch Andreas Baader und Ulrike Meinhof von der RAF. Meinhof feierte später die Mordtaten von München und verglich israelische Politiker mit Nazis.

Einen Monat nach Schleyers Entführung kaperte ein Kommando der Volksfront zur Befreiung Palästinas – die »Landshut« auf dem Weg von Palma de Mallorca nach Frankfurt. Das Kommando gab sich den Namen »Martyr Halimeh«. Ihr Anführer nannte sich »Captain Mahmud«. Halimeh und Mahmud waren die palästinensischen Kampfnahmen, die sich Brigitte Kuhlmann und Wilfried Böse in Entebbe gegeben hatten.

Der Hass auf Israel war spätestens seit den sechziger Jahren grundlegender Bestandteil der Motivation linksradikaler und terroristischer (übrigens auch rechtsextremer) Gruppen in Deutschland. Mohr glaubt, indem er den Begriff »Israel-Hass« als Erfindung der neunziger Jahre denunziert und so zurückweist, auch die Realität des linken Kriegs gegen Israel aus der Welt zu schaffen. Diesem Ansatz folgt auch der Grundgedanke seines Buchs. Gelänge es nachzuweisen, dass es in Entebbe gar keine Selektion von Juden und Nichtjuden gegeben habe, fiele also das von Kritikern aufgebaute »Selektionsnarrativ«, dann wäre auch der Schatten des Antisemitismus verflogen, der seit der gescheiterten Geiselnahme über der Nachkriegsgeschichte der deutschen Linken liegt.

Zur Untermauerung seines Ansatzes liefert Mohr eine Art wissenschaftlichen Vorsatz, der jede institutionelle Bindung zurückweist. Die einzige »Institution«, der diese scheinbar unabhängige Studie dienen soll, ist die deutsche Linke selbst. »Überprüft« werden solle die Behauptung einer Selektion in Entebbe, die von Politikern, Wissenschaftlern und Antideutschen sowie – man beachte die Wortwahl – »gerissenen Geheimdienstlern« und »mitteilungsinteressierten Journalisten« aufgestellt worden sei.
Das Ergebnis der Untersuchung besagt, »dass die bislang allerorten als Tatsache erhobene Behauptung, in Entebbe habe es durch die Luftpiraten eine Selektion der Juden von Nichtjuden gegeben, Unfug ist«. Gestützt werden soll diese Behauptung durch »Stellungnahmen und Zeugnisse einiger israelischer Geiseln aus Entebbe«. Und hier liegt das Kernproblem des »Untersuchungsdesigns«. Nicht nur werden die Aussagen der Israelis und anderer Passagiere selektiv betrachtet, also im Hinblick auf die Bestätigung des Untersuchungsergebnis ausgewählt. Die Berichte der vermeintlichen »Kronzeugen« werden auch verkürzt dargestellt.

Tatsächlich haben Überlebende von Entebbe mehrfach darauf hingewiesen, dass die Situation nicht mit der in Auschwitz vergleichbar war. Und tatsächlich war in den meisten zeitgenössischen Zeitungsberichten, aber auch in internen Papieren staatlicher Stellen zu lesen, dass de facto israelische Staatsbürger und Doppelstaatler von Nichtisraelis getrennt worden waren. Unter den separierten rund 100 Geiseln befanden sich aber auch zwei nichtisraelische Paare, die äußerlich als religiöse Juden erkennbar waren.

Susanne Benöhr-Laqueur und Yael Pulë haben in ihrer umfassenden Kritik im Onlinemagazin Hagalil an der Rede vom »Selektionsnarrativ« den damals bekannten und von Mohr ignorierten Fall des Ehepaares Karfunkel zurück ins Bewusstsein gebracht. Nach ihrer Befreiung klagten Georg und Renee Karfunkel gegen die Fluglinie. Sie waren amerikanische Juden und hatten, wie ein weiteres orthodoxes Ehepaar aus Belgien, das im Terminal zurückbleiben musste, keine israelischen Pässe. Benöhr-Laqueur und Pulë betonen: »Die Entführer wussten zwar aufgrund der Reisepässe und anderer Unterlagen, dass die Karfunkels amerikanische Staatsangehörige waren, dies spielte aber bei der Selektion keine Rolle.« Offenbar hatten sie sich in den Augen der Entführer so »jüdisch« verhalten, dass sie den Israelis zugeordnet wurden.

Doch eigentlich spielt es keine Rolle, ob es sich bei den Geiseln um israelische oder nichtisraelische Juden handelte. Die Tat musste, wie gezeigt, Erinnerungen an die Nazi-Selektionen aufrufen. Der antisemitische Charakter der Aktion lag bereits darin, dass das Kommando in seiner Erklärung die Beseitigung Israels in jeder Form forderte und Überlebende der Shoah als »Fremde« denunzierte. Vollständig offensichtlich wurde er, als das Flugzeug mit den überwiegend jüdischen Passagieren geradewegs in das Land des Hitler-Bewunderers Idi Amin gesteuert wurde. Den entführten Geiseln drängten sich die Erinnerungen an Auschwitz und an die Behandlung von Juden während des Holocaust förmlich auf. Dies bestätigen auch jene Überlebenden, die den Vergleich zwischen Entebbe und Auschwitz zurückwiesen. Der Bezug zur deutschen Vergangenheit war zudem Gesprächs- und Diskussionsthema zwischen Geiseln und dem Entführer Böse.

Selektionen von Israelis und Nichtisraelis hatte es zwar bereits vorher mehrfach gegeben. Sie schienen zum Standardrepertoire palästinensischer Entführungsaktionen zu gehören. Bereits bei der ersten Entführung eines El-Al-Flugzeuges in Rom 1968 wurden die Passagiere aufgeteilt. Dasselbe passierte bei der Entführung einer Sabena-Maschine von Wien nach Tel Aviv im Jahr 1972. Aber nur im Fall von Entebbe wurden Assoziationen zu den Selektionen während des Holocaust offenbar, da nur in diesem Fall die Aufteilung der Passagiere von zwei Deutschen vollzogen wurden und dabei die deutsche Sprache zu hören war. Daher verknüpfte sich die direkte Gewalt gegen Juden mit Deutschland als Urheber des präzendenzlosen Massenmordes, insbesondere weil die Entführer am Ziel ihrer Aktion keinen Zweifel ließen. So durchzieht die Geschichte des bewaffneten Kampfs in der Bundesrepublik vom Anschlag auf das jüdische Gemeindezentrum am 9. November 1969 in Berlin bis zur Auflösungserklärung der RAF von 1998 das ungebrochene Resentiment gegen Israel.

Diese Tradition läßt sich zu Recht als »Erbe des Dieter K« bezeichnen. Ein Erbe kann man im Übrigen auch ausschlagen und muss es nicht um jeden Preis retten. Bei der Konferenz »Von Entebbe nach Mogadischu« an der Hebräischen Universität in Jerusalem hat der Historiker Jeffrey Herf gefragt, warum man sich überhaupt an so gewöhnlichen und mittelmäßig interessanten Akteuren wie Wilfried Böse orientiere. Stattdessen solle man jene in den Vordergrund rücken, die bereit waren, Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen. Das tat beispielweise Hans-Joachim Klein, der sich vom Krieg der RZ mit direktem Verweis auf deren Antisemitismus und Israel-Feindschaft lossagte.

Die Erinnerung an die Selektion von Entebbe verblasst. Sie hat sich weder in Deutschland noch in Israel als »Masternarrativ« durchgesetzt. Weltweit durchgesetzt hat sich ein anderes »Narrativ«, das auch Mohr prominent in seiner Autorendarstellung bedient. Der ebenso falsche wie historisch abwegige Vergleich der Situation in den besetzten Gebieten mit dem südafrikanischen Apartheidssystem wurde zum »Masternarrativ« des Nahostkonflikts. Mit dem Rückgriff auf das »Apartheids-Narrativ« offenbart sich auch die von Mohr eingeforderte »Kritik an der Politik der israelischen Regierung in den besetzten palästinensischen Gebieten und am Zionismus« lediglich als weiterer Versuch einer Israel-Kritik auf der Höhe der Zeit, die sich nicht mehr vorwerfen lassen möchte, dass sie die »notwendigen historischen Proportionen missen« lasse. Zwischen erkaltetem Historismus und wissenschaftlichem Duktus, der selbstreferentiell nur die Linke beeindrucken soll, verschwindet damit auch der letzte Rest von Empathie mit den Opfern des sich bis in die Gegenwart fortsetzenden Kriegs gegen Israel.