Die Afrika-Politik der G20 unter der deutschen Präsidentschaft

Zum Anlegen nach Afrika

Im Rahmen der deutschen G20-Präsidentschaft hat das Finanz­ministerium eine Initiative für ökonomische Abkommen mit ­afrikanischen Ländern vorgelegt. Gesucht wird vor allem nach ­lukrativen Anlagemöglichkeiten.

»Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst«, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel kurz vor dem Gipfel – und verkündete gleich darauf, man habe sich auf ein neues Hilfsprogramm für Afrika geeinigt. Rund 44 Milliarden Euro sollen zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten bereitgestellt werden, der 2005 vereinbarte Schuldenerlass solle fortgeführt und die öffentliche Entwicklungshilfe weiter erhöht werden.

Das war 2007. Damals hatte Deutschland den Vorsitz der G8 inne, der Gruppe der acht größten Wirtschaftsnationen – und die Regierung erklärte Afrika zum Schwerpunkt ihrer Präsidentschaft. Ähnlich wie beim G8-Gipfel zwei Jahre zuvor im schottischen Glen­eagles diente der Fokus auf Afrika vermutlich dazu, dem Gipfel einen moralischen Anstrich zu geben und der wachsenden Kritik den Eindruck entgegenzusetzen, man handele nicht nur Verträge aus, die die eigene globale Vorherrschaft zementierten, sondern kümmere sich auch um die Ärmsten weltweit. Verantwortung war denn auch ein Wort, das in keiner Gipfelansprache zum Treffen in Heiligendamm 2007 fehlen durfte – bei der Partnerschaft für Af­rika ging es um Entschuldung, gute Regierungsführung, stabile Finanzen und die Milleniumsziele der Vereinten Nationen.

Nun, zehn Jahre später, findet der Gipfel erneut in Deutschland statt, wieder hat die deutsche Präsidentschaft das Jahr zum »Afrika-Jahr« erklärt. Und doch ist alles anders. Statt der G8 trifft sich die G20, am Tisch sitzen somit auch aufsteigende Wirtschaftsnationen wie China und Brasilien. Von Verantwortung allerdings ist nur noch am Rande die Rede. Wo heute von Afrika geredet und geschrieben wird, weht ein anderer Wind: Es geht um Sicherheit, um Migration – und um Anlagemöglichkeiten.

Vorbei ist die Zeit, in der Afrika, als Kontinent »der Ärmsten der Armen«, den moralischen Kitt liefern sollte für den Schulterschluss der Industriena­tionen. Die schwere Hungersnot in Ostafrika wird von der G20-Präsidentschaft bisher ignoriert. Spätestens seit China sich mit riesigen Summen auf dem afrikanischen Kontinent eingekauft hat, ist auch Deutschland aufgefallen, dass Afrika nicht nur ein Wildpark und rückständiger Hort von Bürgerkriegen ist, sondern ein Kontinent mit einem seit Jahren überdurchschnittlichen Wirtschaftswachstum sowie einer jungen und stark wachsenden Bevölkerung. Je nach Perspektive ist es also ein viel­versprechender Markt, den es zu erschließen gilt, eine attraktive Möglichkeit, die verfügbaren Arbeitskräfte und die Renditechancen zu nutzen – oder eine latente Drohung von weiterer und verstärkter Migration.

So verwundert es nicht, dass gleich drei deutsche Ministerien ihr je eigenes Programm für Afrika vorgelegt haben. Diese Programme überschneiden sich wiederum mit anderen Abkommen, die Deutschland und die EU derzeit vor allem im Bereich Migration mit afrikanischen Ländern aushandeln und bei denen es meist darum geht, dass afrikanische Länder Hilfszahlungen erhalten, wenn sie ihre Grenzen stärker kontrollieren oder Migrantinnen und Migranten zurücknehmen. Es ist ein Thema, das so direkt nicht in die Schwerpunkte der G20-Präsidentschaft einfließt, schließlich sind nicht alle G20-Staaten in gleicher Weise von Migration aus afrikanischen Ländern betroffen.

In den Initiativen der Bundesregierung geht es indirekt um die Themen Sicherheit und Migration. So hat das Entwicklungsministerium unter Gerd Müller (CSU) einen »Marshallplan mit Afrika« vorgestellt. Es ist kein großangelegtes Programm zum Ausbau der Infrastruktur, wie der Name nahelegt, sondern es geht um eine langfristige Neuorientierung der deutschen Entwicklungspolitik, »eine völlig neue Dimension der Zusammenarbeit mit ­Afrika«, wie Müller verkündete. Sollten die vorgestellten »Eckpunkte« so rea­lisiert werden, dürfte das den Umbruch in der Entwicklungszusammenarbeit beschleunigen, der sich seit Jahren andeutet. Die »Geber-Nehmer-Mentalität« soll überwunden werden. Staatliche Entwicklungsförderung allein sei keine Lösung. Stattdessen soll künftig vor ­allem auf Eigenverantwortung und private Geldgeber gesetzt werden; auch die Staaten selbst sollen Eigenmittel mobilisieren, etwa durch ein höheres Steueraufkommen. Zentral ist die Abkehr vom »Gießkannenprinzip«: Geld soll nun vor allem an »Reform-Champions« fließen, also einzelne Staaten, die sich in Bereichen wie Menschenrechte, Geschlechtergerechtigkeit und Marktöffnung besonders hervortun. Deutlich wird betont, dass Entwicklungshilfe nach nationalen Interessen vergeben wird und nicht nach Bedürftigkeit. »Die Chancen in Afrika sind riesig, gerade auch für die deutsche Wirtschaft«, heißt es in der Presseerklärung zum »Marshallplan«.

Auf den Ausbau von Wirtschaftsbeziehungen zielt auch die Initiative »Pro! Afrika« des Wirtschaftsministeriums, das mit 100 Millionen Euro etwa Afrika-Reisen der Handelskammern, den Aufbau von internationalen Start-ups und die »Heranführung« junger afrikanischer Medizinerinnen und Mediziner an deutsche Medizintechnik und Pharmaprodukte fördern will.

Die bedeutendste Initiative, »Compact with Africa«, kommt aus dem Finanzministerium. Das ist kein Zufall – ganz oben auf der Agenda des G20-Gipfels steht die »Stabilität der Weltwirtschaft und der Finanzmärkte«. Die offiziellen Publikationen zum Gipfel klingen weniger optimistisch als in den Jahren zuvor, aus ihnen spricht die Angst vor weiteren Wirtschaftskrisen. »Compact with Africa« ist mehr als ein neues Entwicklungsprogramm. Es geht um Investitionen in großem Maßstab in Infrastruktur, Landwirtschaft, Tourismus und Energiesektor. Aber auch hier sollen keine öffentlichen Gelder fließen. Stattdessen tritt die G20 als Vermittlerin auf: Länder können in einem Brief an die G20-Präsidentschaft ihr Interesse bekunden, am Programm teilzunehmen. In Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank wird der Bereich identifiziert, in den investiert werden soll, und es wird festgelegt, welche Reformen erfolgen müssen – wo es also gilt, »Investitionshürden« abzubauen. Anschließend wird ein »Compact«, ein Vertrag oder Pakt, geschlossen – zwischen dem jeweiligen Land, dem IWF und privaten Investoren und gegebenenfalls einem Land der G20, das den Vertrag unterstützt. Der IWF, andere internationale Insti­tutionen oder Banken vergeben die Kredite, die zur Finanzierung nötig sind. Sieben Staaten haben bisher ihr Interesse bekundet, einen »Compact« einzugehen: Côte d’Ivoire, Marokko, Ruanda, Senegal, Tunesien, Ghana und Äthiopien.

Dass internationale Finanzinstitutionen wie der IWF und die Weltbank im Gegenzug für Kredite neoliberale Reformen vorschreiben – Abbau von Subventionen, Zöllen und Regularien, manchmal auch Gesetzesänderungen oder Kürzungen im Sozialsystem –, ist ein Muster, das sich seit den achtziger Jahren ungebrochen fortsetzt. Neu ist, dass die treibende Motivation dieses Mal weniger die Aussicht auf neue Produktionsstätten und Absatzmärkte ist – auch wenn der Ausbau afrikanischer Infrastruktur manchem Unternehmen attraktive Aufträge verschaffen könnte –, sondern eher die dringende Suche nach Anlagemöglichkeiten für Unternehmen und Banken, vor allem aber Rentenfonds aus der Europäischen Union und den USA. Die Nullzinsen, die in der Euro-Zone weiterhin gelten und die die Europäische Zentralbank nicht zu beenden wagt, bringen den Rentenfonds nicht genug Rendite, um die Verpflichtungen, die sie eingegangen sind, langfristig zu erfüllen, also vereinbarte Zinsen auch auszuzahlen. Afrikanische Länder, die ein starkes Wirtschaftswachstum aufweisen, könnten da ein Notnagel sein. Darum geht es auch in der Studie, die der IWF, die Weltbank und die Afrikanische Entwicklungsbank für die G20-Präsidentschaft erstellt und im März beim Treffen der G20-Finanzminister vorgestellt haben. Demnach habe die »Compact«-Initia­tive unter anderem das Ziel, »makroökonomische Stabilität« und einen zuverlässigen Schuldendienst zu garantieren, die Infrastruktur für den Aufbau von Kreditmärkten zu etablieren und »private Finanzierung auszuweiten, indem unnötige Einschränkungen für Investitionen in Afrika abgebaut werden, und Instrumente für institutionelle Investoren zu schaffen«.

Investitionen könnten dem einen oder anderen Land in Afrika durchaus zugute kommen. Offen bleibt, wem im Land sie nutzen – den Ärmsten, die durch die vom IWF vorausgesetzten neoliberalen Reformen vermutlich weiter an Sicherheiten verlieren, sehr wahrscheinlich nicht. Um tatsächlich eine dauerhafte Entwicklung zu erreichen, wäre das Gegenteil nötig: Nachhaltige und kontinuierliche Veränderungen in Richtung größerer sozialer Sicherheit und einer gerechteren Verteilung der Ressourcen – etwas, das internationalen Investoren keine kurzfristigen Gewinne beschert. Allein die Tatsache, dass die Kredite des »Compact with Africa« nicht wie sonst in der Entwicklungszusammenarbeit langfristig vergeben werden, sondern zu Marktkonditionen, mit hohen Zinsen und kurzen Laufzeiten, ist für Geld­geber, vor allem aber für die afrikanischen Länder riskant – und führt im schlimmsten Fall in die nächste Schuldenkrise oder Staatspleite. Wirtschaft­liche Stabilität, wie sie die G20 vorgeblich anstreben, wird so nicht erreicht.