Sabine Küper-Büsch, Türkei-Korrespondentin, im Gespräch über ihr Leben und ihre Arbeit nach dem Putschversuch

»Irgendwann kommen sie leider immer drauf«

Sabine Küper-Büsch berichtet seit 25 Jahren für deutsche Medien aus der Türkei. Ihre Arbeit ist nach dem Putsch schwieriger geworden. Dieser Tage erscheint ihr Buch »Schluss mit lustig«, eine Auswahl türkischer Karikaturen.
Interview Von

Du gibst bei einem deutschen Verlag ein Buch mit türkischen ­Karikaturen heraus. Wen wollt ihr mit »Schluss mit lustig« er­reichen?
Das Buch ist zunächst einmal eine Geste der Solidarität gegenüber den unter schwierigen Bedingungen ­produzierenden Zeichnern. Noch nie war die Pressezensur in der Türkei so scharf wie heute. Es gibt keine Medien mehr, die frei und unabhängig berichten können. Die Satirezeitschriften hatten bislang immer eine Sonderstellıung. Doch weil die Karikatur nun mal von Übertreibung, Spott und Kritik lebt, ecken auch die Karikaturisten vermehrt an. Die ­Szene versucht die Zensur zu unterlaufen, indem sie metaphorisch wird. Zeichner erfinden notgedrungen ­Allegorien und phantastische Geschichten, oft schaffen sie damit künstlerisch und politisch außergewöhnliche Bilder. Die Karikaturen sind ungebrochen witzig, nur die dort karikierte Wirklichkeit ist nicht mehr lustig. Ich versuche das auf unterhaltsame Art und Weise mit einigen Texten zu vermitteln, in denen ich Kontexte herstelle. Manche Zeichnungen sind nicht zu verstehen, wenn man die Hintergründe nicht kennt. Das Buch vermittelt so auch einen Einblick in die Entwicklungen in der Türkei.

2008 erschien als Reaktion auf den Streit über die Mohammed-­Karikaturen deine Kulturgeschichte türkischer Karikaturen. Was verbindet dich mit dem Genre?
Als ich Anfang der Neunziger von Hamburg in die Türkei ging, war für mich das Satiremagazin Gırgır enorm wichtig. Es war wie ein Schlüssel zum Verständnis all der gegensätzlichen Entwicklungen und Milieus, mit denen ich es in der Türkei zu tun bekam. Die Zeitschrift zeigte das ganze Spektrum an Figuren und Akteuren der türkischen Gesellschaft und das Nebeneinander von Vielfalt, Witz, Krieg, sozialer Ungerechtigkeit, linkem Patriotismus, Fanatismus und Grausamkeit.
Als Studentin hatte ich eine Freundin in Diyarbakır besucht, die dort an der Universität Deutsch unterrichtete. In Diyarbakır tobte der Kurdenkrieg, die Reise war eine einschneidende Erfahrung. In den drei Wochen dort traf ich Studenten, die mit der PKK sympathisierten, ich begnete französischen Waffenhändlern, die der türkischen Armee Hubschrauber verkauften. Sie berichteten damals von Gräueltaten. Beim Probeflug seien kurdische Gefangene mit den ­Füßen an den Helikopter gehängt worden. Freunde nahmen uns dann mit in die Kaserne der Luftwaffe an ­einen luxuriösen Swimmingpool. Ausgerechnet in diesem Ambiente kam ich zum ersten Mal mit der Satirezeitschrift Gırgır in Berührung. Mein Interesse an türkischen Cartoons war damit geweckt.

Wie passte das zusammen – oppositionelle Satire und Militärangehörige, die das Blatt lesen?
Die Militärs haben die Zeitschrift sicher nicht aus Spionagegründen ­gelesen, sondern zur Bildung und Unterhaltung. Gırgır war nach dem Militärputsch 1980 zu einer der meistverkauften Publikationen geworden. Die Starzeichner der heutigen Szene sind durchweg bei Gırgır sozialisiert worden. Die Zeitschrift ist längst eingestellt worden, aber sie hat Charaktere erschaffen, die zur Ikonographie der türkischen Populärkultur ge­hören, wie Ramize Erers »böses Mädchen« oder Tuncay Akgüns »mürrischer Bekir«. All diese Figuren haben bis heute Kultcharakter.

Meine erste Anfrage nach diesem Interview hast du nicht erhalten, weil dein Account gehackt wurde. Was bedeutet das und wie gehst du damit um?
Das Hacken unserer Websites und Accounts ist eine Schikane, die mir und meinem Mann (der Filmemacher Thomas Büsch, Anm. d. Red.) schon seit Jahren die Arbeit erschwert. Der Server steht in Hamburg und die Techniker dort kennen das Problem längst. Sie helfen uns, die Hackcodes aus unseren Systemen zu entfernen. Das dauert meist einige Tage, ist ­lästig, gehört aber mittlerweile zur Routine. Ich bin inzwischen auch sehr gewandt darin, neue Software zu finden, mit der ich wieder eine Weile ungestört arbeiten kann. Aber irgendwann kommen sie leider ­immer drauf.

Wen genau meinst du mit »sie«?
Es gibt Hinweise, dass die Hacks politisch motiviert sind, aber beweisen kann ich nichts. Schon 2014 wurde in unser Redaktionsbüro eingebrochen und das gesamte Equipment geklaut. Wir hatten zu dieser Zeit für das deutsche Fernsehmagazin »TTT« einen Bericht über Internetzensur ­gemacht und einen türkischen Kollegen interviewt, der dann wegen angeblicher Unterstützung der Gülen-Bewegung angeklagt wurde. Wir wurden nicht rechtlich belangt, aber unserer Produktionsmittel beraubt. Es hat Monate gedauert, bis wir die Kameras, Computer, Smartphones und so weiter ersetzt hatten. Für uns als Freiberufler war das ein enormer wirtschaftlicher Schaden.

Hast du manchmal Angst?
Ja, hatte ich. Mein Mann und ich wurden vergangenen Sommer bei Dreharbeiten in der Altstadt von Diyarbakır von Spezialeinheiten der Polizei ­festgenommen und verdächtigt, Agenten zu sein. Eine Horde sehr junger Polizisten in Tarnanzügen sprang mit ungesicherten Maschinengewehren um uns herum und lud unter Drohgebärden mehrfach durch. Ich fand es auch sehr unheimlich, dass wir nicht auf eine Polizeistation gebracht, sondern auf eine abgelegene Baustelle im Sperrgebiet geschleppt wurden. Zum Glück hatte man vergessen, uns unsere Handys abzunehmen, so dass ich den deutschen Presseattaché an einem Freitagabend an seinem Urlaubsort erreichen konnte. Er wurde unmittelbar aktiv, so dass wir nach zwei Stunden wieder gehen durften.

Unterstützt die Bundesregierung deutsche Journalisten in der Türkei ausreichend?
Die deutsche Botschaft und das Konsulat setzen sich zum Glück sehr für uns ein. Wir haben eine Whatsapp-Gruppe, über die Probleme mitgeteilt werden können.

Musst du um deine Akkreditierung als deutsche Journalistin fürchten?
Neuerdings werden die Akkreditierungsverfahren von der türkischen Regierung als ein politisches Druckmittel eingesetzt, seit 2016 wurden die Presseausweise mit bis zu zwei­monatiger Verspätung erteilt, ohne jede Begründung. Da unsere Aufenthaltsgenehmigung daran hängt, muss man bei jeder Ausreise Strafen bezahlen und darf eigentlich auch nicht arbeiten. Dieses Jahr haben wir die Akkreditierungen erst nach dem Besuch von Angela Merkel im Februar erhalten, als der Flüchtlingsdeal klargemacht worden war.

Ein Jahr nach dem Putsch: Was hat sich seitdem geändert?
Positiv fällt auf, dass sich die Sicherheitslage stabilisiert. Zum Glück hat es in Istanbul schon lange keinen Bombenanschlag mehr gegeben. Der Terror hat uns seit 2015 wirklich mürbe gemacht. Nach dem Putsch haben sich andere Formen der Bedrohung in den Alltag geschlichen. Die ständige Präsenz von Regierungspropaganda im Stadtbild, in den ­Medien und Institutionen wirkt gleichermaßen narkotisierend. Der ­Präsident ist omnipräsent, bei denjenigen, die damit nicht einverstanden sind, entsteht ein Gefühl der Hilflosigkeit.

Was kann die Kampagne »Marsch für Gerechtigkeit« bewirken?
Das passiert viel zu spät. Worauf haben die gewartet? Mit vielen Kollegen teile ich die tiefe Besorgnis über die sich zuspitzende politische Situ­ation.

Wie hat sich deine Arbeit geändert?
Bis zum Referendum konnte ich mich vor Aufträgen kaum retten. Seitdem ist es ruhiger geworden. Das kommt mir entgegen, weil ich mittlerweile mehr als Filmemacherin und Kuratorin arbeite. Journalistische Tagesaktualität ist in der Türkei ein mühseliges, frustrierendes Geschäft geworden. Es gibt Gesetze und viele ungeschriebene Regeln. Ich darf keine Interviews mit mutmaßlichen ­Kadern der Gülen-Bewegung oder PKK-Mitgliedern führen. Da immer noch der Ausnahmezustand herrscht, würde ich Gefahr laufen, mich der Propaganda für eine Terrororganisation schuldig machen. Obwohl ich noch immer recht kompromisslos bin, führe ich solche Interviews nicht. Man darf auch nicht vergessen, dass die Verfolgung der Opposition bereits mit den Gezi-Park-Protesten einsetzte. Davon war und ist vor ­allem die politisch aktive türkische Zivilgesellschaft betroffen. In meiner Fernseharbeit achte ich deshalb darauf, meine türkischen Interviewpartner nicht zu gefährden.

Sind von den Verhaftungen ­Freunde oder Kollegen von dir ­betroffen?
Ja, mehrere. Nach all den Jahren in diesem Land kenne ich eine Vielzahl Betroffener und fühle mich oft sehr machtlos, weil ich nicht mehr tun kann. Ein Cartoonist der Cumhurriyet sitzt seit November in Untersuchungshaft. Ich wollte ihn natürlich in das Buchprojekt einbeziehen und auch einen Solidaritätsaufruf auf der Caricatura in Kassel machen. Das hat er sich aber ausdrücklich verbeten, solange er noch in Untersuchungshaft sitzt. Ich konnte über seine Frau mit ihm kommunizieren, die ihn im Gefängnis besuchen kann. Als Kollegin hat man gar keine Chance, da reinzukommen. Das ist wie bei Deniz Yücel, der auch nur von Angehörigen besucht werden kann. Er sitzt seit Februar in Einzelhaft. Es ist wirklich unfassbar.

Gibt es einen Plan B für dich ­außerhalb der Türkei?
Ich habe immer schon Film- und Kulturarbeit in anderen Ländern gemacht und habe auch noch einen Wohnsitz in Berlin. Es bräche also nicht alles zusammen, wenn ich hier weggehen müsste. Im Herbst bin ich zusammen mit Thomas Büsch Kuratorin eines internationalen Festivals namens »Mahalla« (deutsch: das Viertel, die Siedlung) in Istanbul. Da geht es um Kunst und Kultur­arbeit im Kontext der weltweiten Migrationsbewegungen. Das Thema ­Migration wird mein Schwerpunkt für die nähere Zukunft sein, was mich standortmäßig dann auch flexibler macht. Wünschen würde ich mir allerdings, meinen Hauptwohnsitz hier behalten zu können und vom Bosporus aus international tätig zu sein. Nach 25 Jahren soll ich endlich eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung bekommen. Das würde vieles erleichtern.
 

Zeichnungen mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus: Sabine Küper-Büsch (Hg.): Schluss mit lustig.Aktuelle Satire aus der Türkei. Avant-Verlag, Berlin 2017, 80 Seiten, 15 Euro

Die Ausstellung »Schluss mit Lustig – Aktuelle Satire aus der Türkei«, kuratiert von Sabine Küper-Büsch (Künstlerinitiative Diyalog Derneği, Istanbul), präsentiert im Rahmen der diesjährigen Caricatura aktuelle Beiträge der Istanbuler Satiremagazine LeMan und Uykusuz sowie Karikaturen weiterer türkischer Zeichner. Eröffnung: Mittwoch 19. Juli 2017, 18 Uhr, Ort: Werner-Hilpert-Str. 1, Kassel, täglich von 12 Uhr bis 19 Uhr Podiumsgespräch mit Kuratorin und Zeichnern der Ausstellung am Donnerstag 20. Juli, 19 Uhr, Ort: Weinkirche, Werner-Hilpert-Str. 22, Kassel Eintritt frei nach Anmeldung unter info@caricatura.de oder 0561-776499