Die Linke und das Recht, Teil 6: Enteignung

Aus Mangel enteignen

Im Paragraphendschungel – eine Kolumne über das Recht im linken Alltag, Teil 6
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Enteignung – das Wort schürt Emotionen in Deutschland, im bürgerlichen Milieu durchweg negative. Wird es ins Spiel gebracht, sehen viele Menschen Omas kleines Häuschen in Gefahr, ein Nebeneffekt jahrzehntelanger antikommunistischer Propaganda. In linken Kreisen ist das Wort in den vergangenen Jahren wieder ein wenig in Mode gekommen. In Berlin zum Beispiel wird darüber diskutiert, mit der gezielten Enteignung leerstehender Wohnhäuser Entspannung am Wohnungsmarkt herbeizuführen. Aber was ist eigentlich so eine Enteignung und ist sie überhaupt dazu geeignet, die Lage auf dem Wohnungsmarkt zu verbessern?

Ein Wohnhaus ist Eigentum im Sinne des Artikels 14, Absatz 1 des Grundgesetzes und daher auch grundrechtlich geschützt. Aber alle Grundrechte, mit Ausnahme der Menschenwürde aus Artikel 1 des Grundgesetzes, sind beschränkbar. So finden sich in Artikel 14, Absatz 3 Bestimmungen zur Enteignung und ihren Voraussetzungen. Sie muss zum Wohle der Allgemeinheit erfolgen und gesetzlich geregelt sein, wobei auch eine angemessene Entschädigung festzulegen ist. Es wird häufig darüber gestritten, was das Wohl der Allgemeinheit ist. Rechtlich ist man sich allerdings insoweit einig, dass es um die Interessen einer größeren Anzahl von Menschen gehen muss. Letztlich bleibt es aber, auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, den Parlamenten überlassen, dies zu konkretisieren. Tatsächlich ist im Interesse der Allgemeinheit in der Bundesrepublik vieles enteignet worden, allerdings selten, um Wohnraum zu schaffen. Entsprechende Enteignungsbefugnisse werden eher für infrastrukturelle Belange und im Bereich der Landwirtschaft oder des Bergbaus erteilt. Das liegt auch nahe, da solche Großvorhaben nicht daran scheitern dürfen, dass sich einzelne Eigentümer sperren. Die Übernahme eines leerstehenden Hauses ist allerdings kein Großvorhaben, so dass die Abwägung zwischen Allgemeinwohl und Eigentümerinteresse nicht zwangsläufig die Notwendigkeit einer Enteignung ergeben muss.
In Berlin plant man bislang nicht, Eigentum dauerhaft zu entziehen, sondern Gebäude, die aus Gründen der

Immobilienspekulation leerstehen, vorübergehend treuhänderisch zu verwalten, so dass diese saniert und vermietet werden können. Zwar ist auch ein teilweiser Entzug von Eigentum unter Umständen eine Enteignung, aber Ziel der Maßnahme ist ja nicht der Entzug des Eigentums, sondern dessen vorübergehende Verwaltung. Auch dürfte sich die Anzahl der in Betracht kommenden Objekte in Grenzen halten. Nicht jeder Leerstand kann den vorübergehenden Entzug des Eigentums nach sich ziehen. Denn sicher wollen die Behörden nicht riskieren, von den Gerichten in ihre Schranken verwiesen zu werden. Darüber hinaus sind die Handlungsmöglichkeiten wegen der Eigentumsgarantie in Artikel 14, Absatz 1 des Grundgesetzes beschränkt. Flächen für den städtischen Wohnungsbau zum Beispiel dürfen im Regelfall nicht durch Enteignungen beschafft werden. Zwar ist der Wohnraummangel in Berlin ein großes Problem, aber schon wegen der oben beschriebenen Interessenabwägung müsste die Enteignungsbehörde darlegen, warum genau eine bestimmte Fläche enteignet werden soll, wo doch Flächen im Stadtgebiet zum Verkauf stehen. Will der Staat einen Autobahnabschnitt bauen, ist alles einfacher, denn es kommt dann auf ganz konkrete Flächen an. Für jemanden, der in Berlin eine erschwingliche Wohnung sucht, ist das allerdings kein Trost.