Anne Renzenbrink, Pressesprecherin von Reporter ohne Grenzen, im Gespräch über den Zustand der Pressefreiheit in den USA

»Sorge, dass jemand Gewalt gegen Journalisten anwendet«

Die US-amerikanische NGO Committee to Protect Journalists warnte kürzlich, einzelne Journalisten oder Medien ins Visier zu nehmen, »nährt ein Umfeld, in dem weitere Belästigung oder sogar physischer Angriff als akzeptabel« aufgefasst werden könnte. Diese Befürchtung teilen auch die Reporter ohne Grenzen (ROG). Über den Zustand der Pressefreiheit in den USA sprach die »Jungle World« mit Anne Renzenbrink, Pressesprecherin von ROG.
Interview Von

ROG

Vor wenigen Wochen hat Donald Trump ein altes Wrestling-Video von sich getwittert, in dem er einen Mann zu Boden reißt. Auf dessen Kopf war das Logo des Fernsehsenders CNN montiert. Was sagt uns das über den Stand der Pressefreiheit in den USA?
Es zeigt, dass der US-Präsident – nicht zum ersten Mal – versucht, die Grenzen dessen zu verschieben, was im Bezug auf den Umgang mit der Presse als hinnehmbar  oder als aussprechbar gilt. Das ist eine gefährliche Entwicklung. Gleichzeitig war es nur ein vorläufiger Höhepunkt immer weiterer Schimpftiraden gegen die Presse. Es ist auch ein Signal an autokratische Regierungen und die Diktatoren dieser Welt, dass sie nun nicht mehr mit Kritik aus den USA rechnen müssen, wenn sie ­Medienvertreter in ihren Ländern bedrohen.

Im letzten Ranking von Reporter ohne Grenzen zur globalen Pressefreiheit rangierten die USA im ­oberen Mittelfeld. Im Vergleich zum Vorjahr sind sie um zwei Plätze ­abgerutscht. Wie kam es dazu?
Die USA stehen derzeit auf Rang 43 von 180 Staaten in unserer Rangliste der Pressefreiheit. Die Rangliste 2017 ist eine Momentaufnahme. Sie basiert auf einem Fragebogen, der Ende 2016 an 100 Experten auf der ganzen Welt verschickt wurde. Das heißt, sie bildet bis in den Januar 2017 vor allem den Wahlkampf in den USA ab. Auch letztes Jahr hat Trump schon systematisch Medien attackiert, doch der Index bezieht sich größtenteils auf die Amtszeit von Barack Obama.
Wir haben immer wieder kritisiert, dass die Regierung Obama einen Feldzug gegen Whistleblower geführt hat. Ein prominentes Beispiel ist Chelsea Manning, sie wurde jetzt zwar aus der Haft entlassen, trotzdem bleibt das Urteil bestehen. In den Augen der Justiz ist sie eine Verbrecherin. Und das ist nur ein Beispiel von mehreren Whistle­blowern, gegen die in den USA juristisch vorgegangen wurde. Unter Obama wurden mindestens acht Whistleblower angeklagt. Die Basis dafür ist ein ­Spionagegesetz von 1917. Das wurde von allen vorherigen Regierungen ­zusammen nur in drei vergleichbaren Fällen angewendet.

Obama hatte erklärt, die Pressefreiheit besser schützen zu wollen. Kam dann eine Kehrtwende?
Chelsea Manning hat natürlich Material enthüllt, das zu einer großen Diskus­sion über den Krieg im Irak und über die Afghanistan-Politik geführt hat. ­Offenbar war das der Grund, dann knallhart gegen Whistleblower vorzugehen.

In ihrem Pressefreiheits-Ranking werden auch Übergriffe auf Pressevertreter für das vergangene Jahr berücksichtigt. Worum geht es bei den Übergriffen?  
Für die Rangliste werden einerseits Experten befragt – das sind 70 bis 80 Fragen, aufgeteilt in acht verschiedene Kategorien –, andererseits sammeln wir für jedes Land verbale und tätliche Übergriffe auf Pressevertreter. Und da sehen wir seit Beginn der Präsidentschaft von Trump, aber auch schon im Wahlkampf, eine systematische Verunglimpfung der Presse, etwa durch den Vorwurf, CNN würde fake news verbreiten. Das schafft einen Präzedenzfall für ­andere Länder, weil autokratische Herrscher weltweit Blogger verhaften mit dem Vorwurf, sie würden »falsch berichten«. Ein Beispiel ist der Blogger Raif Badawi, der in Saudi-Arabien zu zehn Jahren Haft und 1 000 Peitschenhieben verurteilt wurde. Einer der Vorwürfe war, das er falsche Informationen veröffentlicht haben soll, mit dem Ziel, dem Staat zu schaden. In den USA hat Trump kritische Medienveröffentlichungen mit regelrechten Schimpf­tiraden beantwortet. Zum Beispiel verunglimpfte er einen CNN-Reporter als »Teilzeit-Möchtegern-Journalist.« Der Washington Post und mehreren anderen Medien hatte Trumps Tross im Wahlkampf wegen kritischer Berichte die Presseakkreditierungen entzogen.

Wie ist die Stimmung gegenüber der Presse in den USA selbst?
Wir haben natürlich die Sorge, dass etwa nach dem Wrestling-Video ein »Eiferer« Trump beim Wort nimmt und tatsächlich Gewalt gegen Journalisten ­anwendet. Gleichzeitig wehren sich die Journalisten in den USA aber auch. Die »White House Reporters« haben im Januar einen offenen Brief veröffentlicht, in dem sie ankündigen, künftig geschlossen zu reagieren, wenn Trump in Pressekonferenzen Journalisten ­beschimpft oder ihre Fragen ignoriert, was ja schon mehrfach vorgekommen ist. Wir sehen eine gewisse Resilienz der Medien in den USA.

Wie sieht die aus?
Es wurden ja auch Medien während der Wahlkampfes von der Trump-Kampagne ausgeschlossen. Die Washington Post ist ein Beispiel dafür. Sie hat dann mehr über das berichtet, was auf der Straße passiert, aber auch ihre Abteilungen für investigativen Journalismus gestärkt. Das haben mehrere Medien getan. In der Folge sind dann – auch als Teil von Machtkämpfen unter Mitarbeitern im Weißen Haus – immer wieder Informationen auf inoffiziellem Wege durchgesickert.
Ein Beispiel für eine kleine erfolgreiche Medienrebellion gab es auch vorige Woche. Der ehemalige Kommunikationschef im Weißen Haus, Anthony ­Scaramucci, hat es wieder erlaubt, zu filmen und ­Aufzeichnungen zu machen. Vorher war das mehrere Wochen lang verboten, eine Reporterin sendete aber trotzdem per Livestream, in einem ­weiteren Fall ist ein Reporter vor dem Ende der Pressekonferenz aus Protest gegangen, weil es nicht erlaubt war zu filmen.

Was tut Reporter ohne Grenzen gegen Bedrohungen der Pressefreiheit in den USA?
Wir haben seit kurzem ein Büro in Washington. Von dort publizieren wir nun eine wöchentliche Zusammenfassung von Übergriffen sowie von den neuesten Entwicklungen und Äußerungen zur Pressefreiheit im Land.