Ralf Königs »Herbst in der Hose« ist ein reifes Comic-Werk

Altersgerecht altern

Ralf Königs neues Buch »Herbst in der Hose« nimmt eine Mittelstellung zwischen Comic und Graphic Novel ein.

Das Thema Rente gilt als gnadenlos unhip, aber was heißt das schon. ­Viele junge Menschen beteiligen sich zum Beispiel an der derzeitigen ­Alterssicherungskampagne der Gewerkschaften. Kein Wunder, sie ­müssen noch ein ganzes Leben schuften, da will man sich irgendwann ausruhen.

Die, die es in den Ruhestand geschafft haben, finden ihn wahrscheinlich auch ganz gut. Es sei denn, sie brauchen einen Nebenjob, um sich das altersbedingte Nichtstun zu ­finanzieren. Dann gibt es noch die Sandwich-Generation: Die ist, wie der Comiczeichner Ralf König, zwischen 50 und 60 Jahre alt und sagt sich schon ein Leben lang: »Ich bekomme sowieso nichts.«
Das stimmt. Nur dass dieser Umstand so langsam, aber sicher auch für diejenigen näherrückt, die ihr Leben dem Spaß gewidmet haben. Mit den Worten von Königs schwulen Figuren gesagt: »Ob wir uns später das Opernabo noch leisten können?«

Ins Bett gegangen ist Brigitte vor Mitternacht und es hat ihr nicht mal was ausgemacht. Allein ist sie damit nicht. Die Partys haben sich seltsam verändert.
Es gibt keine mehr.

Bald ist es so weit! Auch, dass das Leben für die älteren Semester dreimal so schnell vorübergeht wie für einen, der auf die Führerscheinzulassung wartet, ist Thema von Königs Prachtband mit dem sein Sujet etwas ins Alberne ziehenden Titel »Herbst in der Hose«.
Trotz der Brisanz des Themas: Viele Comics über die Rente gibt es wohl nicht. Dabei schafft es König spielend, daraus Funken zu schlagen. Die beiden Hauptfiguren des für seine Knollennasen berühmten Zeichners, Konrad und Paul, sind in die Jahre gekommen. Königs Helden, homo­sexueller Durchschnitt, erlauben ihrem Schöpfer eine drastische Sprache – ein Markenzeichen neben seiner zeichnerischen und dramatur­gischen Genialität. Und so begibt sich der Leser auf eine knapp 200seitige Abenteuerreise Richtung alters­bedingter Mittellosigkeit. Die macht sich zwar zunächst in der schwulen Hose bemerkbar, dabei wird es aber nicht bleiben. Das Altern ist universell.

Das Buch ist pointiert gezeichnet und mehraktig im Stil einer griechischen Tragödie erzählt. Lustig ist es mitnichten, aber zugespitzt. In der Welt gezeichneter Bücher nimmt es eine Mittelstellung ein. Ein anderer Zeichner machte neulich darauf aufmerksam, dass Graphic Novels vom gagorientierten Comic weg zum endlos-langweiligen Brabbeln führen. Dementsprechend ist Königs neues Werk eindeutig ein Comic. Im Zentrum des Geschehens steht die Andropause, die Zeit der Wechseljahre für den Mann: Die Lederhose passt nicht mehr, ich kriege keinen mehr hoch.

Heiligabend wurde mit einer Rotweinflasche und Sissi-Filmen verbracht. Und die Freunde? Brigitte hat Hitzewallungen. Sie sagt: »Silvester war ich allein, und jetzt bloß keine Betroffenheit.« Ins Bett gegangen ist sie vor Mitternacht und es hat ihr nicht mal was ausgemacht. Allein ist sie damit nicht. Die Partys haben sich seltsam verändert. Es gibt keine mehr.
Warum zieht es einen nicht mehr raus? Am schlimmsten sind die schleichenden Prozesse. Paul war im Club und musste entdecken, dass er kein Sexobjekt mehr ist. Da bleibt man gern zu Hause.

Königs Figuren, ob Mann oder Frau, sind sich einig: Frech ist, wenn hinter einem hergepfiffen wird. Schlimmer ist, wenn keiner hinter einem herpfeift. Dazu der Alltag: Wenn Paul und Konrad die heterosexuellen Freunde besuchen, kriegen sie die neue Gastherme gezeigt. Man wird nachlässig in der Öffentlichkeit. Die Knackarschhose für die Disko geht nicht mehr zu? Zieh doch einfach den Slip drüber! »Früher dachte ich: Schon eine Brille tragen ist der Tod«, heißt es an einer Stelle.

Altersgerecht altern, das wär’s. Der Verfall des eigenen Körpers ist jetzt alltägliche Realität. Die einzige Chance, der Depression zu entgehen. ­besteht darin, das Alter vorzuziehen. »Ich bin in einer Seniorenwandergruppe und es stört mich nicht« – so lauten die neuen Strategien der Entlastung. Mit Jack-Wolfskin-Sandalen und North-Face-Jacke sieht man nur dann doof aus, wenn man auch wahrgenommen wird. Aber alte Menschen sieht man nicht. Wer jünger ist, schaut schon aus Gründen der Scham einfach woanders hin. Nicht nur draußen, sondern auch im House-Club.

Zwischen den Kapiteln nehmen die Jammergestalten von Königs antikem Chor ihren Platz ein. Bald ist nur noch ein schmerzverzerrter Mund zu sehen, der die ganze Seite einnimmt. Eine Schreckensmaske, ein Abbild des Alters. Ein Mund, der ­keine Zähne hat.

König hat eine philosophische Comic Novel geschaffen. Am Ende steht der Tod, das wissen wir zwar alle, aber man spürt es erst im höheren Alter. König lässt den Tod – noch – nicht richtig heran an seine gezeichnete Alterskohorte 50 plus. Es sind die Hochbetagten, die im ­Altersheim, denen es richtig schlecht geht. Die Eltern der Knubbelfiguren übernehmen diesen Job, sie leben noch, so gerade. »Ich empfinde ­sogar mein Ableben als spannenden Vorgang«, lässt König einen 90jährigen sagen. Ebenso beiläufig lässt er mitteilen, dass man sich ab 80 die Hoden in den Hintern stecken kann, das habe er durch Zufall entdeckt (»Das geht jetzt«). Viel wird von dem berichtet, was sonst in der Hose los beziehungsweise nicht mehr los ist. Die Witze schließen häufig unter der Gürtellinie ab.

Ich habe das Buch mitgenommen ins »Bateau Ivre«, eine schön-schrammelige, semihippe Kneipe in Berlin-Kreuzberg. Man sitzt dort draußen an der Hauswand; wer unter 30 ist, nimmt sein Frühstück um 17 Uhr flüssig ein und trägt die mit prekären Jobs finanzierten Tattoos zur Schau. Am Nebentisch sitzen die Comic­figuren in echt, sie sind jung und haben zerrissene Hosen. Man redet über Jobs, in denen weder Hosenlöcher noch Tätowierungen gebraucht werden. Sie wissen nicht, wie man den Job kriegt, geschenkt. Sie wissen auch nichts von den Nierensteinen und kaputten Knien von Königs ­Figuren. Beziehungsweise von meinen. Haben die es gut.

Auf Seite 89 fühle ich mich direkt angesprochen: »Jürgen rief gerade an. Georg hatte einen Herzinfarkt. Die Einschläge kommen näher.« ­Gerade kommt einer, es ist ein recht alter Einschlag. Er ist schon der Zehnte, der binnen kurzer Zeit den Mülleimer nach Pfandflaschen durchwühlt.

Ein Blick zurück ins Buch: »Es gibt nicht mal schwule Altenheime«, ­werfen Konrad und Paul dazwischen. »Wir könnten sie auch gar nicht ­bezahlen.« – »Sei sparsam – mit Geburtstagen, davon wird man alt.« Für das Alter gibt es in Königs Buch sogar eine Definition: wenn aus ­Drogen Medikamente werden. »Wusstest du, dass viele Schwule im Alter entweder depressiv werden – oder gleich Suizid begehen?«

Ich muss eine Pause machen, lege das Buch weg und schaue mir den Facebook-Account an. Ein Kollege hat Folgendes gepostet: Auf einer indonesischen Insel werden alle drei Jahre die Toten aus den Gräbern geholt, abgestaubt und fein angezogen. Dann feiert man ein Fest mit ihnen. Gut zu wissen, dass es ein Leben nach dem Leben gibt.

»Ein Werk der Reife also und eine ganz unverlogene Auseinander­setzung mit dem Unvermeidlichen«, schreibt der Verlag zu Königs Buch. Manchmal wünscht man sich mehr Härte von ihm, aber er ist eine freundliche Frohnatur. Für sein ­Lebenswerk wird der Comizeichner Ralf König mit dem diesjährigen ­Wilhelm-Busch-Preis ausgezeichnet. Zu Recht.

Ralf König: Herbst in der Hose. Rowohlt, Hamburg 2017, 176 Seiten, 22,95 Euro