Streit um den neu gestalteten »Platz der Alten Synagoge« in Freiburg

Erinnern, um zu vergessen

In Freiburg wurde kürzlich der »Platz der Alten Synagoge« nach langem Umbau wieder für die Öffentlichkeit freigegeben. Die Neugestaltung war städtebaulich umstritten. Was nun herausgekommen ist, ist erinnerungspolitisch äußerst fragwürdig.

Der »Platz der Alten Synagoge« befindet sich mitten in der Freiburger Innenstadt. Es ist eine große quadratische Freifläche. Wie der Name andeutet, stand dort von 1870 bis zu ihrer Zerstörung im Novemberpogrom von 1938 die Synagoge der jüdischen Gemeinde Freiburgs. Ein Denkmal in Form eines Brunnens, der den Grundrissen der Synagoge nachempfunden ist, erinnert seit Anfang des Monats an sie. Bereits als bei den Bauarbeiten für das Denkmal Reste des Fundaments der Synagoge gefunden wurden, kam es zu kontroversen Diskussionen. Die beiden jüdischen Gemeinden der Stadt sprachen sich für deren Erhalt auf dem Platz aus. Die Stadtverwaltung lehnte das jedoch ab. Ein Teil der Mauerreste wurde abgetragen und soll konserviert werden, ein anderer Teil wurde jedoch einfach versiegelt. In einem Interview mit Radio Dreyeckland kritisierte der Freiburger Historiker Heinrich Schwendemann diese Entscheidung: »Es war von Beginn an klar, dass sich noch Mauerreste im Boden befinden. Diese Steine sind das Letzte, was von der Synagoge übrig ist. Man hätte hier einen Erinnerungsort mit einem Orginalrelikt schaffen können.« Stattdessen habe man sich für einen Brunnen entschieden, der gut gemeint sei, bei dem es sich aber letztlich »um eine Ästhetisierung« handle. »Die Grundmauerreste wären dagegen ein sehr viel sperrigeres Erinnerungsrelikt gewesen«, sagte Schwendemann.

So steht nun dieser Brunnen, der die ehemaligen Grundrisse der Synagoge nachzeichnet, am Rand des Platzes. Eine Gedenktafel, die bereits vor der Umgestaltung an dem Platz an die Synagoge erinnerte, ist in den Brunnen eingelassen worden – allerdings unterhalb des Wasserspiegels und kaum lesbar. Wenn man es dennoch schafft, den Text zu entziffern, liest man allgemein gehaltene Formulierungen von einer »Herrschaft der Gewalt und des Unrechts«, der die Synagoge zum Opfer gefallen sei. Schwendemann hält die gesamte Planung des historisch bedeutendsten Orts der Stadt für völlig misslungen. Der Brunnen lade geradezu dazu ein, ihn als Planschbecken zu benutzen, so der Historiker. Würdiges Gedenken sei so nicht möglich. »Wir werden sehen, wie sich das gerade auch in den Nächten entwickelt, ich befürchte das Schlimmste.«

Noch am Eröffnungstag zeigte sich, wie recht Schwendemann mit seinen Befürchtungen hatte. Bei Temperaturen über 30 Grad planschten zahlreiche Kinder, aber auch Erwachsene in dem Brunnen. Freiburgs Oberbürgermeister Dieter Salomon (Die Grünen) schien das nicht zu stören: Bei der Übergabe zeigte er sich erfreut, dass der Platz sogleich von der Bevölkerung angenommen worden sei, und sagte mit Blick auf den Brunnen, dieser sei ein würdiger Gedenkort – einerseits ein Mahnmal, andererseits auch ein lebendiger Ort, denn »Wasser symbolisiert Leben«. In der zweiten Nacht nach der Eröffnung fand auf dem Platz eine »Silent Disco« statt, bei der die Musik über Funkkopfhörer anstatt über Lautsprecherboxen kommt. Viele der Besucherinnen und Besucher tanzten glückselig und selbstvergessen in dem Brunnen. Größtenteils dürfte es sich um Studierende gehandelt haben, die durchaus in der Lage sein sollten, sich mit der Geschichte des Ortes auseinanderzusetzen.
Das Hauptproblem liegt in der Planung. Die Grundidee des Denkmals ist nicht schlecht und orientiert sich in der Gestaltung an neueren, teilweise hochgelobten Denkmälern wie beispielsweise dem »9/11 Memorial«, dem Denkmal für die Opfer der Terroranschläge vom 11. September 2001 in New York. Die Kombination aus schwarzem Stein und Wasser erzeugt optisch den Effekt einer Leerstelle und verweist so auf das Fehlende. Auch das Nachzeichnen von Grundrissen ist ein beliebtes Stilmittel beim Bau von Denkmälern, da dadurch leicht ersichtlich wird, was zerstört wurde. Die Ausführung in Freiburg ist jedoch aus mehreren Gründen misslungen: Mangels Gedenktafeln, die klar benennen, an was der Brunnen erinnert, wird vielen Besucherinnen und Besuchern die Geschichte des Ortes nicht bewusst. Während diese Zurückhaltung der derzeit üblichen Herangehensweise an Denkmäler entspricht, stellt sie in diesem Fall ein Problem dar. Theoretisch soll durch den Verzicht auf eine ausbuchstabierte Botschaft eigenständiges Nachdenken über ein Denkmal stimuliert werden. Das kann jedoch nur funktionieren, wenn den Besuchern des Orts bewusst ist, dass sie sich an einem Denkmal befinden und an welches Ereignis dieses erinnert – beides scheint in Freiburg bei vielen nicht der Fall zu sein. Zudem ist der Brunnen an einer Seite abgeflacht, damit man zumindest die Chance hat, die kryptische Gedenktafel unter dem Wasserspiegel zu lesen. Diese Architektur lädt jedoch geradezu dazu ein, in den Brunnen zu steigen.

Darüber, wie moderne Denkmäler an öffentlichen Orten »genutzt« werden, gibt es immer wieder Diskussionen, in Deutschland zuletzt in größerem Ausmaß in Bezug auf das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte seinerzeit gefordert, das Mahnmal müsse ein Ort sein, »an den man gerne geht«. Auch innerhalb der Forschung gibt es die Ansicht, dass ein Denkmal von der Bevölkerung jenseits der Funktion als Erinnerungsort »genutzt« werden sollte. Das bezieht sich jedoch in der Regel auf Denkmäler, die nicht am historischen Ort eines Verbrechens errichtet wurden. Ist dies jedoch der Fall, sollte die Würde des Ortes im Vordergrund stehen. Ob diese in Einklang mit planschenden Kindern und »Silent Disco« im Brunnen gebracht werden kann, ist fraglich.

Unabhängig von der Diskussion über die tatsächliche Nutzung des Platzes erscheint zudem die Motivation hinter dem Freiburger Denkmal problematisch. Eigentlich sollte es die Funktion erfüllen, das Leid der Opfer und ihrer Hinterbliebenen anzuerkennen und zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit anzuregen. Denkmäler können allerdings auch das Gegenteil bewirken und ein Ende dieser Auseinandersetzung begünstigen. Mit Verweis auf die Existenz eines Denkmals kann die Fortsetzung der Auseinandersetzung abgewehrt und können die Ansprüche von Opfergruppen delegitimiert werden. Genau das scheint in Freiburg der Fall zu sein. Durch die Errichtung des Brunnens kann man sich rühmen, ein Denkmal für die Verbrechen des Nationalsozialismus an einem prominenten Ort in der Stadt geschaffen zu haben. Doch die beiden jüdischen Gemeinden der Stadt waren nicht in die Planung einbezogen, ihre Wünsche wurden im Zuge der Bauarbeiten vollständig ignoriert. Stattdessen sollte ein Denkmal errichtet werden, das keinen Anstoß erregt; eines, mit dem sich ein liberales Bürgertum schmücken kann, ohne sich wirklich mit der NS-Vergangenheit der Stadt und deren Implikationen für die Gegenwart auseinandersetzen zu müssen. Daher hatte die Stadtverwaltung auch keine Probleme damit, die letzten Überreste dessen abzutragen, an das man eigentlich erinnern wollte, nämlich die Grundmauern der alten Synagoge.

Weiterer Streit über den Platz steht ins Haus. Derzeit wird diskutiert, ihn in »Platz der zerstörten Synagoge« umzubenennen, was die historischen Ereignisse zumindest etwas klarer benennen würde. Aus der Freiburger Bevölkerung sind die bekannten Abwehrreflexe zu vernehmen – man solle nicht immer schuldgeplagt in die Vergangenheit schauen. Aber auch die orthodoxe Israelitische Gemeinde lehnt die Umbenennung ab. Zudem ist die feierliche Einweihung des Platzes für den 14. Oktober geplant – ein Samstag, also der im Judentum heilige Sabbat.