Die ehemalige kolumbianische Guerilla Farc gründet sich als Partei neu

Aus Farc wird Farc

Die ehemalige kolumbianische Guerilla Farc hat sich als Partei neu gegründet. Sie schwankt zwischen Traditionalismus und Erneuerung.

Mit einem großen Konzert ging es los. Auf der Plaza Bolívar und vor dem Kongressgebäude feierten Mitglieder der Farc in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá am 1. September die Gründung ihrer neuen Partei. Zwischen den Auftritten kolumbianischer und internationaler Musiker liefen Parteiwerbespots. Als es dunkel wurde, projizierten Scheinwerfer Bilder roter Rosen an die umliegenden Gebäude. Die Blume ist das Symbol der Partei, deren Akronym ebenfalls Farc ist, nun aber für Fuerza Alternativa Revolucionaria del Común (Alternative Revolutionäre Kraft des Volkes) steht statt wie bislang für Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens). So hatte es die Mehrheit der über 1 000 Delegierten entschieden. Diese hatten in den Tagen zuvor in einem großen Kongress­zentrum die Auflösung sowohl der Farc als Rebellengruppe als auch ihrer Unterorganisationen – das Milizennetzwerk Movimiento Bolivariano und die Klandestine Kommunistische Partei Kolumbiens (PCCC) – beschlossen, das neue Parteistatut und ein Eckpunkteprogramm diskutiert und eine neue Führung gewählt.

Mit diesem Schritt endete die erste Phase des Friedensprozesses, nachdem sich die Farc-Kämpferinnen und -Kämpfer auf Grundlage der vor etwa einem Jahr getroffenen Friedensvereinbarungen in Übergangszonen gesammelt und ihre Waffen an eine UN-Mission übergeben hatten. Nun dürfen sie als neue politische Kraft den Marsch durch die Institutionen antreten. 2018 soll ein neues Parlament und Monate später ein neues Staatsoberhaupt gewählt werden. Dann muss sich die Partei Farc als neue politische Kraft an Wählerstimmen messen lassen, auch wenn ihr in den kommenden zwei Legislaturperioden je fünf Sitze in den beiden Kammern des Kongresses garantiert sind. Fernziel ist es, so hat es die Farc-Führung in den vergangenen Wochen mehrfach betont, irgendwann mindestens einer Regierung anzugehören. Dafür aber muss die ehemalige Guerilla erst ihr schlechtes Image loswerden, das sie nicht nur der Propaganda der politischen Gegner, wie des rechten ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe (2002–2010), und voreingenommener Berichterstattung verdankt, sondern auch ihren Taten. So gehörten zu ihrer Vorgehensweise Entführungen von Politikern und Zivilisten, die Beteiligung am Drogenhandel und ein kompromissloser Militarismus basierend auf einer holzschnitthaften, am Marxismus-Leninismus orientierten Ideologie.

Insbesondere bei der städtischen Bevölkerung hatten die Farc daher wenig Rückhalt. 84 Prozent der Bevölkerung haben einer Umfrage des Instituts Gallup von Ende August zufolge ein negatives Bild der Organisation. Andere Parteien schneiden mit einer negativen Bewertung von bis zu 87 Prozent aber noch schlechter ab.

Deshalb hat die Partei Farc auch rhetorisch abgerüstet. Klassenkampf und plumper Antiimperialismus sind bereits seit Monaten zumindest aus den offiziellen Äußerungen verschwunden und anschlussfähigere Themen wie Korruption, Genderfragen und soziale Ungleichheit sind in den Mittelpunkt gerückt.

Gleichwohl gehört die Überwindung der derzeitigen kapitalistischen Gesellschaftsordnung weiterhin zum politischen Programm der nun ehemaligen Guerilla, die 1964 von der der Sowjetunion nahestehenden Kommunistischen Partei Kolumbiens gegründet worden war, die Begriffe »Sozialismus« und »Kommunismus« nimmt man aber öffentlich nur noch selten in den Mund. Den Hinweis, die rote Rose sei ein Symbol der Sozialdemokratie, wies die Farc-Führung zurück. Sie stehe für Liebe, ein offenes Herz und Weiblichkeit, sagte Iván Márquez, ehemaliger Verhandlungsführer in Havanna. In seiner Eröffnungsrede zu Beginn des Parteikongresses hatte er betont, die Farc wolle Teil eines historischen-gesellschaftlichen Prozesses sein, »der den Aufbau einer alternativen Gesellschaft ermöglicht, in der soziale Gerechtigkeit, wirkliche und fortschrittliche Demokratie« herrsche, »wirtschaftliche, soziale, ethnische, religiöse und geschlechtliche Diskriminierung und Ausgrenzung überwunden« seien und ein würdevolles Leben in einer »neuen Art gesellschaftlicher Beziehungen in Kooperation, Brüderlichkeit und Solidarität« garantiert werde.

Dabei will die Farc vor allem Nichtwähler mobilisieren. »Die vom politischen System Betrogenen«, nannte sie der ehemalige Oberkommandierende Rodrigo Londoño, genannt Timochenko vor Tausenden Konzertbesuchern. Ein »neues Kolumbien« bleibe »kein Traum mehr«, wenn »Millionen von Kolumbianern sich dafür einsetzen, es zu ermöglichen«. Als Vorbild für ein am Gemeinwohl ausgerichtetes Staatswesen nannte er Norwegen.

Wie dieses Ziel erreicht werden soll, ist parteiintern umstritten. Zwar ist man sich einig, dass man 2018 ohne eigenen Präsidentschaftskandidaten antreten und denjenigen unterstützen will, der für die Umsetzung der Friedensvereinbarungen von Havanna eintritt. In diesen hatten Farc und Regierung unter anderem vereinbart, Maßnahmen zur Besserstellung der Kleinbauern zu ergreifen und mit einer Übergangsjustiz die von beiden Seiten im Bürgerkrieg begangenen Verbrechen aufzuarbeiten. Doch inwiefern sich die neue Partei politisch und ideologisch neu ausrichten und für andere linke Kräfte öffnen soll, darüber bestand unter den Delegierten ebenso wie in der Führung ein erheblicher Dissens. Während des unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindenden Parteikongresses habe es heftige Debatten und teils wüste Beschimpfungen zwischen den camaradas gegeben, berichten Teilnehmer. Der Konflikt hängt auch mit der Organisationsstruktur und der mit der Parteigründung einhergehenden Demokratisierung zusammen. Wurden die großen strategischen Entscheidungen der früher streng hierarchisch organisierten Guerilla bislang von einem neunköpfigen, alle militärischen Abteilungen repräsentierenden Sekretariat beziehungsweise einem 31 Personen umfassenden Generalstab getroffen und weitestgehend unhinterfragt umgesetzt, offenbart sich in dem neuen 111köpfigen Führungsorgan der Partei, dem Nationalrat der Kommunen, die Heterogenität der Organisation. In Bogotá liefen sich erstmals Farc-Mitglieder über den Weg, deren Alltag und Politisierung sehr unterschiedlich verlaufen sind. So trafen vor allem über militärische Verdienste in der Hierarchie aufgestiegene Delegierte aus den Kerngebieten der Farc auf ehemalige Mitglieder der PCCC, die sich teils jahrzehntelang in sozialen Organisationen für die Farc engagierten und dabei ihre Parteizugehörigkeit verbargen. Sie wurden nicht selten an öffentlichen Universitäten ausgebildet, sind ideologisch vielfältiger geprägt und brennen nun darauf, sich politisch für die neue Partei zu engagieren und ihre Ideen einzubringen.

So wurde lange darüber debattiert, ob im Parteistatut ausdrücklich auf Marx und Lenin und den Bolivarianismus, ein von den Farc erdachter Antiimperialismus unter Bezug auf den Unabhängigkeitshelden Simón Bolívar, verwiesen werden sollte. »Einige scheinen nicht verstanden zu haben, dass wir an einem neuen Punkt unserer Geschichte angekommen sind und hier nun auch einen Sprung machen müssen. Viele in unserer Organisation behandeln den Marxismus-Leninismus, als wäre er eine Religion«, sagte der Schriftsteller Gabriel Ángel, ein Berater Londoños, im Gespräch mit der Jungle World.
Letztlich setzte sich in diesem Punkt der Flügel Londoños durch, der die Partei lieber »Nueva Colombia« (Neues Kolumbien) genannt hätte. Die knappe Entscheidung der Delegierten für die Beibehaltung des Akronyms Farc, das viele mit den Verbrechen der Guerilla verbinden, ist ein Votum für Kontinuität und die Bewahrung des historischen Erbes, das vor allem für die soziale Basis der Farc in den ländlichen Regionen identifikationsstiftend ist. Für sie ist Norwegen sehr weit entfernt.
Mehr Kontinuität als Erneuerung gibt es auch beim Personal. Tonangebend im Nationalrat bleiben vorerst die bekannten Gesichter. Von den 111 Mitgliedern des Nationalrats sind einige wenige soziale Aktivisten und insgesamt nur 24 weiblich. Vier von ihnen sind in die Parteispitze aufgerückt. Sie haben seit den Verhandlungen in Havanna den feministischen Charakter der neuen Farc betont und sich für entsprechende politische Positionen stark gemacht.