Bei dem Terroranschlag in der Londoner U-Bahn explodierte die Sprengladung nicht

Die Bombe in der Lidl-Tüte

»Da hat wohl jemand versucht, in der U-Bahn Würstchen zu braten«, war einer der Kommentare, als die ersten Fotos des Terror­anschlags in London am Freitag voriger Woche auf Twitter erschienen. Die erhöhte Terrorgefahr, die Ohnmacht gegenüber Anschlägen und die Auswirkungen auf das Londoner Alltagsleben lassen sich nur mit englischem Humor ertragen. Die selbstgebastelte Bombe wurde in einem Eimer in einer Lidl-Tüte im letzten Wagen eines Zuges der District Line abgestellt, die viele Pendler morgens ins Stadtzentrum bringt. Als die Bahn in der Station Parsons Green im Westen der Stadt um 8.20 Uhr hielt, gab es nach Augenzeugenberichten einen lauten Knall. Ein Feuerball breitete sich im Wagen aus und verursachte bei mehr als 20 Menschen Brandwunden, tötete aber niemanden. Bei der darauffolgenden Panik gab es weitere Verletzte.

Nach Angaben von Sprengstoffexperten enthielt die Bombe einen »primitiven« Zeitzünder und als Sprengstoff TATP, das aber nicht explodierte. TATP (Triacetontriperoxid) wurde bereits bei mehreren Anschlägen des »Islamischen Staats« (IS) verwendet, unter anderem im November 2015 in Paris, im März 2016 in Brüssel und im Mai in Manchester, es gilt als Kennzeichen von IS-inspirierten Attacken. Kurz darauf reklamierte der IS den Anschlag für sich: »Soldaten des Kalifats« hätten fast 30 »Kreuzzügler« verletzt.

Am Samstag nahmen die Behörden im Hafen von Dover, in der Wartehalle für die Fähre nach Frankreich, einen 18jährigen fest. Am Abend desselben Tages wurde der 21jährige Yahyah Farroukh in Hounslow, einem Londoner Vorort, festgenommen. Die Polizei durchsuchte sein Wohnhaus in Stanwell und ein weiteres Haus in Sunbury-on-Thames, beides Orte nahe dem Flughafen Heathrow.

Das Anschlagsrisiko wurde kurzzeitig auf »kritisch« erhöht, nach den Festnahmen allerdings auf »ernst« zurückgestuft. Die kritische und damit höchste Terrorwarnstufe bedeutet, dass bis zu 5 000 Soldaten der britischen Armee an öffentlichen Orten eingesetzt werden können, um die Polizei zu entlasten und Ressourcen für die Antiterrorermittlungen freizustellen.

Wie bei einigen vorherigen Anschlägen in Großbritannien, etwa dem Selbstmordattentat am 22. Mai in Manchester, sind die mutmaßlichen Täter sehr jung. Noch ist nicht viel über sie bekannt. Farroukh stammt offenbar aus Damaskus und lebt seit mindestens vier Jahren in Großbritannien. Seinem Facebook-Profil zufolge ­besuchte er einen Englischkurs am West Thames College und arbeitete für eine Event-Firma in London. Zusammen mit dem bisher nicht namentlich bekannten 18jährigen soll er in der Vergangenheit zur Pflege bei Penelope und Ronald Jones gelebt haben, deren Haus in Sunbury durchsucht wurde. Aufnahmen einer Überwachungskamera zeigen einen Verdächtigen mit einer Lidl-Tüte beim Verlassen dieses Hauses am Morgen des Anschlags.

Der Inlandsgeheimdienst MI5 geht davon aus, dass es sich nicht um einen lone wolf-Anschlag handelte, sondern womöglich um eine Zelle des IS. Während die mutmaßlichen Täter nach den bisherigen Angaben in das Profil von IS-Rekruten passen könnten, ist die Ausführung des Anschlags neu. Bomben mit Zeitzünder wurden bislang nicht von Jihadisten in Großbritannien verwendet, sie waren der IRA und dem Neonazibomber David Copeland vorbehalten.