Die Korruptionsermittlungen in der Operation »Lava Jato« in Brasilien ziehen weite Kreise

Im Vollwaschgang

Der Korruptionsskandal »Lava Jato« in Brasilien zieht Kreise bis zum Olympischen Komitee. Gegen den amtierenden Präsidenten Michel Temer wird wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt.

»Vor dem Gesetz sind alle gleich!« So lautet der Untertitel des Films »Lava Jato« (Autowaschanlage), der Anfang des Monats in den brasilianischen ­Kinos anlief. Thema des Films sind die Ermittlungen der Operation »Lava Jato«, die die Bundespolizei und die Bundesstaatsanwaltschaft seit über drei Jahren gegen korrupte Netzwerke in Politik und Wirtschaft führen. In dem Film werden unbestechliche Richter, Staatsanwälte und Bundespolizisten als Helden dargestellt, die der korrupten Regierung der Arbeiterpartei (PT) zu Leibe rücken. Mit der Realität habe der Film wenig zu tun, waren sich die meisten Kritiker einig. Auch die Zuschauer strömen nicht gerade massenhaft in die Kinos, um die tenden­ziöse Räuberpistole anzuschauen.

Präsident Michel Temer bestreitet alle Vorwürfe und behindert ungeniert die Untersuchungen der Operation Lava Jato.

Im echten Leben gehen derweil die Untersuchungen der Operation Lava Jato weiter und beschränken sich nicht nur auf Politiker der abgesetzten PT-Regierung. Inzwischen ist auch das ­Internationale Olympische Komitee (IOC) Gegenstand der Ermittlungen. Der brasilianischen Staatsanwaltschaft zufolge soll der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees, Carlos Arthur Nuzman, gemeinsam mit dem ehemaligen Gouverneur des Bundesstaats Rio de Janeiro, Sérgio Cabral Filho (PMDB), von Unternehmern Geld eingesammelt haben, um afrikanische IOC-Mitglieder zu be­stechen, damit diese für Rio de Janeiro als Austragungsort der Olympischen Spiele 2016 stimmen. Im Gegenzug sollen die Unternehmen lukrative Aufträge im Rahmen der Spiele erhalten haben.

Konservative Politiker im Zentrum der Ermittlungen

Im Zentrum der Ermittlungen der Operation Lava Jato stehen vor allem Politiker der konservativen Partei PMDB. Diese stellt den derzeitigen Präsidenten Michel Temer, war aber auch schon an der Regierung von Dilma Rousseff (PT) beteiligt. Temer war Rousseffs Vizepräsident, bis diese im April vergangenen Jahres abgesetzt wurde. Am Donnerstag vergangener Woche reichte der Bundesstaatsanwalt Rodrigo Janot eine Anklage gegen Temer wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ein.

Diesmal wirft die Generalstaats­anwaltschaft dem Präsidenten vor, ein Dekret zugunsten des Logistikunternehmens Rodrimar verändert zu haben. Der Abgeordnete und Vertraute des Präsidenten, Rodrigo Rocha Loures (PMDB), soll dies mit dem Chef von Rodrimar telefonisch vereinbart haben; die Bundespolizei hörte das Gespräch ab. Durch die Veränderung des Dekrets konnte das Unternehmen seine Konzession für den Hafen von Santos, den größten Südamerikas, erneuern. Zudem wird Temer Behinderung der Justiz vorgeworfen: Er soll ein Netzwerk kommandieren, um die Aufklärung des Korruptionsfalls zu verhindern.

Gegen Temer besteht noch eine ganze Reihe Korruptionsvorwürfe, doch der Präsident genießt Immunität. Nur das Oberste Bundesgericht kann gegen das Staatsoberhaupt Untersuchungen einleiten. Damit eine Klage vor Gericht verhandelt werden kann, muss das Parlament ihm zudem mit einer Zweidrittelmehrheit die Immunität entziehen. Bereits einmal hatte die Generalbundesanwaltschaft eine Klage gegen Temer angestrengt, doch das Parlament votierte am 2. August mit 263 zu 227 Stimmen dagegen, diese ­zuzulassen.

Dabei wiegen die Vorwürfe schwer. Auf einer Präsentation zeigte die Bundespolizei am Mittwoch vergangener Woche das Organigramm einer kriminellen Gruppe, die Mitglieder des PMDB und verbündeter Parteien im Parlament gebildet haben sollen. Im Zentrum zeigt es Michel Temer und den ehemaligen Präsidenten der Abgeordnetenkammer, Eduardo Cunha (PMDB), der seit Oktober vergangenen Jahres inhaftiert ist.

Immer mehr Vertraute Temers sitzen im Gefängnis oder in Untersuchungshaft. Rocha Loures wurde am 3. Juni in flagranti ­festgenommen, als er umgerechnet 130 000 Euro Schmiergeld entgegennahm. Der ehemalige nationale Integrationsminister Geddel Vieira Lima (PMDB) wurde am 8. September verhaftet. In einem seiner Apartments hatte die Bundespolizei 51 Millionen Real (umgerechnet 13,7 Millionen Euro) in bar gefunden, die mutmaßlich aus verschiedenen Schmiergeldzahlungen stammten. Vermutlich waren diese Geldmittel auch dazu bestimmt, Schweigegelder zu zahlen, um die strafrechtliche Verfolgung zu behindern.

Während die Lage für die Regierung immer schwieriger wird, stellt sich ­Temer konsequent stur. Er bestreitet alle Vorwürfe und behindert ungeniert die Untersuchungen der Operation Lava Jato. Er kürzte die Mittel für die Bundespolizei, so dass die Beamten kaum noch ermitteln können. Das von rechten Parteien dominierte Parlament hält weiter zur Regierung. Gegenüber Temers Amtsvorgängerin Dilma Rousseff war es viel strenger. Sie wurde wegen angeblicher Haushaltstrick­sereien – deren Illegalität umstritten ist – vom Parlament abgesetzt. Konkrete Korruptionsvorwürfe gegen Rousseff bestehen bislang nicht.

Schwere Vorwürfe gegen »Lula« und Roussef

Dies könnte sich allerdings bald ­ändern. Der ehemalige Kabinettschef der Regierung Rousseff, Antonio ­Palocci (PT), hat vor Gericht schwere Vorwürfe gegen den ehemaligen Prä­sidenten Luiz Inácio »Lula« da Silva (PT) und gegen dessen Nachfolgerin Rousseff erhoben. Palocci war eine ­enger Vertrauter da Silvas und dessen Finanzminister; im Juni wurde er zu zwölf Jahren Haft wegen Korruption und Geldwäsche verurteilt. Am 6. September sagte er vor dem Untersuchungsrichter Sérgio Moro im Korruptionsfall um den Baukonzern Odebrecht aus. »Die Verbindungen zwischen Lula und Odebrecht waren immer sehr flüssig und informell«, sagte Palocci.

Insbesondere in der Zeit des ­Regierungswechsels von da Silva zu Rousseff sei die Unternehmensführung sehr besorgt gewesen, dass diese guten Beziehungen erhalten bleiben. Odebrecht habe die Aufträge für den Bau zweier großer Wasserkraftwerke an der Grenze zu Bolivien erhalten wollen, der Staudämme Santo Antônio und Jirau, so Palocci. Das Unternehmen habe deshalb für den Wahlkampf Rousseffs 300 Millionen Real (80,4 Millionen Euro) gezahlt. Am Mittwoch vergangener Woche sagte Lula da Silva ebenfalls vor Moro aus; erwartungsgemäß wies er alle Anschuldigungen von sich.

In der PT-nahen Onlinezeitung Brasil 247 kritisierten mehrere hochran­gige Politiker der Arbeiterpartei die Aussagen Paloccis und die Korruptionsermittlungen. Die Senatorin und PT-Vorsitzende Gleisi Hoffmann schrieb, die Operation Lava Jato diene »den Eliten« nur dazu, die Linke zu diskreditieren. In verschiedenen Kommentaren auf Brasil 247 ergehen sich Anhänger des PT in Verschwörungstheorien: Lava Jato sei ein Instrument des US-Imperialismus, um das Baugewerbe und die Agrarindustrie des Landes zu schwächen. Von Selbstkritik ist nichts zu spüren.

Deutlich wird hier auch das fundamentale Problem der PT-Regierungen: Lula da Silva und Rousseff glaubten, ein Bündnis mit der nationalen Bourgeoisie bilden zu können. Doch gerade große Bau- und Agrarunternehmen verletzen immer wieder Menschenrechte: Anwohnerinnen und Anwohner werden für Agrarbetriebe und große Infrastrukturprojekte vertrieben, Proteste dagegen werden kriminalisiert. Anstatt gegen solche Methoden vorzugehen, suchte der PT das Bündnis mit diesen Unternehmen. Auch zur neuen Regierung hegen diese beste Beziehungen, um straflos agieren zu können. In Brasilien sind eben bis auf weiteres nicht alle vor dem Gesetz gleich.