Rechtspopulismus ist kein ­ostdeutsches Problem

Mehr als absurdes Theater

Zu lange wurden die Pegida-Proteste als ostdeutsche Befindlichkeitsschau verkannt. Dabei zeigen die Wahlergebnisse der AfD, dass es Rechtspopulismus nicht nur in Sachsen gibt.

Ende Oktober inszenierten sich die Wortführer der »Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« (Pegida) wieder als Stimme des »deutschen Volkes«. Die AfD sei dessen »Schild, aber Pegida ist das scharfe Schwert«, verkündete Jürgen Elsässer, der Herausgeber der verschwörungsideologischen Zeitschrift Compact, auf dem Theaterplatz vor der Dresdner Semperoper.

 

Die Festredner: ein Panoptikum der deutschen politischen Kultur

Zur Pegida-Geburtstagsparty hatten sich etwa 3 000 Gratulanten versammelt, die zugleich den Erfolg der Partei »Alternative für Deutschland« (AfD) feiern wollten. Für den Pegida-Gründer Lutz Bachmann ist die AfD schon lange eine »Partnerpartei«. Pegida gefällt sich in der Rolle des außerparlamentarischen Kontrollorgans, das die Abgeordneten der AfD mit einem imperativen Mandat ausgestattet hat. Bei der wegen technischer Schwierigkeiten wenig feierlichen Zeremonie führte der für die AfD in den Bundestag eingezogene Dresdner Richter Jens Maier eine Delegation seiner Partei an. Die alten Unvereinbarkeitserklärungen zwischen der Partei und der Bewegung sind hinfällig. Maier zufolge, der sich selbst als »kleiner Höcke« bezeichnet, ist der Bundestagseinzug der AfD vor allem ein Verdienst der Pegida.

In den sozialen Netzwerken findet jeden Tag ein »Abend­spaziergang« statt.

Auch über drei Jahre nach der ersten, von ungefähr 350 Personen besuchten Pegida-Kundgebung mutet die Riege der Festredner wie ein Panoptikum der politischen Kultur an. Dass eine wie von Bertolt Brecht erdachte Figur wie Bachmann, der mehrfach vorbestrafte Impresario des apokalyptischen Spektakels, in Dresden ebenso wie der neurechte Verleger Götz Kubitschek als Repräsentant eines »bürgerlichen Widerstands« gilt, erscheint absurd.

Aber auch wenn Pegida nur in Dresden und Leipzig zeitweise Zehntausende auf die Straßen bringen konnte, ist der Protest ein Symbol für die keineswegs auf Sachsen beschränkte Repräsentationskrise der Republik. Die soziale Bewegung von rechts unterstützt ihre eigene »Gegenelite«. Auf dem Höhepunkt der Demonstrationen Anfang 2015 hätte Bachmann auch für das Verlesen seines Vorstrafenregisters frenetischen Beifall erhalten.

 

Der wutbürgerliche Furor hat ein bundesweites Forum

Der Identitätspopulismus von Pegida und AfD inszeniert sich als Widerstand gegen eine Bundesrepublik, die der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck zum »Land der Verschiedenen« erklärte. Aber die Gesellschaft dieses Landes ist nicht nur in Fragen der Flüchtlingspolitik gespalten. Der Fokus auf die Dresdner Verhältnisse verkennt, dass der Zorn auf den »politisch-medialen Komplex«, gegen den Kubitschek in seiner Pegida-Geburtstagsrede agitierte, längst nicht nur in Sachsen verbreitet ist. Der Erfolg von Pegida und AfD, die in Sachsen als parlamentarischer Arm der Bewegung bei der Bundestagswahl stärkste Partei wurde, speist sich aus einem rohen Ressentiment gegen »die da oben«, das sich nicht zuletzt gegen das Führungspersonal der Bundesrepublik richtet. Der Ruf »Wir sind das Volk« erschallt mit Vehemenz – ganz so, als solle das »Politbüro« der Bundesrepublik abgesetzt werden. Für diesen wutbürgerlichen Furor gibt es nun ein bundesweites Forum.

Die Pegida-Themen sind, von der Abschaffung der »Zwangsgebühren« für Rundfunk über die Furcht vor der »Islamisierung« bis hin zum Gutmenschenhass spätestens seit dem Essener Parteitag im Juli 2015 die Themen der AfD. Deren ehemalige Parteisprecherin Frauke Petry ging noch auf Distanz zu Pegida, wohl auch, weil sie in Bachmann einen unberechenbaren Konkurrenten mit eigenen Ambitionen vermutete. Petry verschweigt jedoch in ihrer derzeitigen Selbstdarstellung als bürgerliche Alternative zu einer sich radikalisierenden AfD, dass schon ihr Ehemann Marcus Pretzell die AfD als »Pegida-Partei« bezeichnet hat.

 

Außerhalb Sachsens eine Miniatur

Obwohl Pegida sogar Kundgebungen in Wien, Sydney oder Edinburgh (hier mit vier Teilnehmern) inspirierte, blieb die Straßenbewegung außerhalb Sachsens meist eine Miniatur. Während auf den Dresdner »Abendspaziergängen« die sprichwörtlichen »besorgten Bürger« zusammen mit Hooligans und Neonazis durch die Straßen flanierten, waren die Gida-Aufmärsche im Westen fast nur von letzteren geprägt. Obwohl in Städten wie Duisburg zeitweise größere Kundgebungen stattfanden, funktionierte hier noch die Politik der Stigmatisierung. Das Milieu der extremen Rechten blieb weitgehend unter sich. Aber in den sozialen Netzwerken findet jeden Tag ein »Abend­spaziergang« statt. Und der lautstarke Ruf »Merkel muss weg!« ertönte während des Bundestagswahlkampfs ebenfalls in Städten wie München oder Heilbronn. Öffentliche Plätze sollen besonders für Regierungspolitiker zur No-Go-Area werden, Magazine wie Compact liefern dafür monatlich die passenden Losungen und Titelbilder.

Pegida ist die laute Spitze einer unzufriedenen Menge. Auffällig werden in der öffentlichen Debatte jene Vorläufer von Pegida verdrängt, die in den am besten situierten Ecken des Schwabenlandes entstanden. Als Angela Merkel im Oktober 2012, also zwei Jahre vor dem ersten Auftreten von Pegida, zusammen mit dem damaligen Stuttgarter CDU-Oberbürgermeisterkandidaten auf die Wahlkampfbühne trat, demonstrierten Tausende gegen die Kanzlerin. Statt der Losungen »Lügenpresse« oder »Volksverräter« ertönte der ressentimentgeladene Ruf vom »Lügenpack«. Es ist bezeichnend, dass die demonstrierenden Gegner von »Stuttgart 21« im Gegensatz zu den Claqueuren eines Thilo Sarrazin zur grün-liberalen Edelversion des Wutbürgertums verklärt wurden. »Es ist schön laut hier«, rief die Kanzlerin den schwäbischen Demonstranten damals entgegen. Inzwischen aber irritiert die nicht nur sächselnde Stimme des demos auch die Bewohner des Schlosses Bellevue. Im letzten Sommer seiner Amtszeit äußerte Joachim Gauck einen bemerkenswerten Satz. »Die Eliten sind gar nicht das Problem, die Bevölkerungen sind im Moment das Problem, dass wir stärker wieder mit denen das Gespräch suchen«, sagte der damalige deutsche Bundespräsident im Juli 2016 im »Bericht aus Berlin«. Offenbar werfen die gegenwärtigen Legitimationskrisen für Repräsentanten wie Gauck lediglich Fragen zur richtigen Vermittlung ihrer Regierungspolitik auf.

 

Die hasserfüllte Seite der gespaltenen Republik

In den grellen Parolen gegen die »Flüchtlingskanzlerin« Merkel äußert sich die hasserfüllte Seite der gespaltenen Republik. Gauck hatte im August 2015 in einer Rede vor Flüchtlingshelfern vom »hellen Deutschland« des ehrenamtlichen Engagements gesprochen, »das hier sich leuchtend darstellt gegenüber dem Dunkeldeutschland« der Flüchtlingsfeinde. Deren Selbstbild ist völlig anders: Pegida wähnt sich nicht als die dunkle Seite der deutschen Zivilgesellschaft, sondern als hell leuchtende Bürgerrechtsbewegung, die gegen den politisch korrekten Block aus Regierung und öffentlich-rechtlichen Medien die Volksherrschaft einfordert. Anklang findet sie längst über Pegida und AfD hinaus. In der November-Ausgabe von Compact forderte der sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete Alexander Krauß eine stramm konservative Politik der Union. Und der sächsische CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer, der Wunschnachfolger des zurückgetretenen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich, will seine Partei als »Original der AfD« präsentieren. Dabei zeigt gerade Sachsen die Wirkungslosigkeit eines Überbietungswettbewerbs. Die Sächsische Union – wie sich die CDU dort nennt – steht traditionell rechts von der CSU und doch konnte die AfD gerade dort stärkste Partei werden.

Auf ihrem Bundesparteitag in Hannover wird die AfD Anfang Dezember über ihre künftige Politik debattieren. Solange sie sich nicht dem parlamentarischen Betrieb anpasst, kann sie eine »Bewegungspartei« bleiben. Sicher ist zudem, dass der Pegida-Wutschrei »Wer Deutschland nicht liebt, muss Deutschland verlassen« auch im Bundestag nachhallen wird. Alexander Gaulands rassistische Polemik gegen die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoğuz (SPD), die der AfD-Spitzenkandidat »in Anatolien entsorgen« wollte, war nur ein Vorgeschmack. Zu lange wurden die Pegida-Proteste als ostdeutsche Befindlichkeitsschau verkannt. Zwar zeigt sich in Dresden gegenwärtig vor allem der mobilisierungsfähige rechte Flügel der Zivilgesellschaft. Aber die »Pegida-Partei« prägt längst bundesweit die politische Debatte. Und die Wahlergebnisse der AfD in so unterschiedlichen westlichen Städten wie Gelsenkirchen oder Heilbronn zeigen, dass das »Volk« des Rechtspopulismus nicht nur in Sachsen seine Stimme erhebt.