Der Eintrag des Geschlechts im Geburtenregister ist nicht nötig

Drei, vier, viele Geschlechter

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum dritten Geschlecht ist von historischer Bedeutung. Die Verfassungsrichter fordern eine dritte Option für den Eintrag des Geschlechts im Geburtenregister.

»Höchstes Gericht beschließt das dritte Geschlecht«, titelte großspurig die Bild-Zeitung, nachdem das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am 8. November sein Urteil über die sogenannte dritte Geschlechtsoption verkündet hatte. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wird bei Geburt eines Kinds in Deutschland ins Geburtenregister entweder »männlich« oder »weiblich« eingetragen und nur unter bestimmten Umständen bleibt der Eintrag erst einmal offen. Mit der dritten Option sollen Menschen die Möglichkeit bekommen, eine dritte Bezeichnung zu wählen. »Ich war von dem großen und überwiegend positiven Medien­echo überrascht«, sagt die Verfassungsrechtlerin Friederike Wapler, selbst Prozessbevollmächtigte der klagenden Person im Verfahren. Die Entscheidung sei ein Meilenstein für die Rechte jener Menschen, denen nicht auf den ersten Blick und in der Regel nicht unmittelbar nach der Geburt das männliche oder weibliche Geschlecht zugeordnet werden kann. Über die Bedeutung für intergeschlechtliche Menschen hinaus habe das Urteil jedoch das Potential, »die ganze verrechtlichte Geschlechterordnung in Deutschland« neu zu definieren.

 

Initiative Dritte Option: »Bestmögliches Ergebnis erreicht«

Es ging um die Klage der intergeschlechtlichen Person Vanja. Vanja hatte sich 2013 entschlossen, den Wunsch nach einem Geschlechtseintrag, der weder männlich noch weiblich ist, juristisch prüfen zu lassen. »Das Ziel«, schreibt die Initiative Dritte Option auf ihrer Homepage, »war eine Änderung des Eintrags im Geburtenregister und daran anschließend in allen anderen offiziellen Dokumenten«. Die Initiative gründete sich, um gemeinsam mit Vanja den Weg der Verfassungsbeschwerde zu gehen und mit Öffentlichkeitsarbeit für das Thema Intergeschlechtlichkeit zu sensibilisieren. »Die großartige Nachricht ist«, sagt Wapler, die die Initiative juristisch beraten hat, »dass das Gericht uns in allen wesentlichen Punkten bis zum Wortlaut gefolgt ist.« Damit habe die Initiative das bestmögliche Ergebnis erreicht.

Bei Intergeschlechtlichkeit oder Intersexualität stehen meist die äußeren Geschlechtsmerkmale im Vordergrund der Betrachtung. Inter­geschlechtlichkeit liegt aber auch dann vor, wenn hinsichtlich der Hormone, Chromosomen oder der inneren anatomischen Merkmale keine eindeutige Zuordnung zu einem der beiden Geschlechter möglich ist. Präziser wäre es, anzuerkennen, dass eine Vielzahl von Geschlechtsvariationen hinsichtlich aller Kriterien und Kombinationen existiert, die man zur Bestimmung des Geschlechts in den Blick nehmen sollte. Eben das hat nun auch das Bundes­verfassungsgericht bestätigt.

Die Konsequenz wäre beispiels­weise, dass die Eintragung von Vater- und Mutterschaft entfiele. Wahrscheinlich träte eine neutrale Kategorie wie »Elternschaft« an deren Stelle.

Noch vor einigen Jahren sah das Personenstandsgesetz vor, dass unmittelbar nach der Geburt des Kindes eines der beiden Binärgeschlechter in das Geburtenregister eingetragen werden musste. Seit einer Änderung im Jahre 2013 kann der Eintrag auch offen bleiben, wenn das Kind weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen ist. Betroffene und Interessenverbände intersexueller Menschen kritisieren jedoch, dass ein Weglassen des Eintrags eben keine vollständige Anerkennung des Geschlechts Intersexueller bedeutet. Deshalb argumentiert die Initiative Dritte Option, dass das Weglassen auf unzulässige Weise in jene Grundrechte eingreife, die die geschlechtliche Identität des Menschen schützen.

 

Neuregelung bis Ende 2018 erwartet

Das sieht auch das Bundesverfassungsgericht so. In seinem Urteil hält es fest: »Personen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen, werden in ihren Grundrechten verletzt, wenn das Personenstandsrecht sie dazu zwingt, das Geschlecht zu registrieren, aber keinen anderen positiven Geschlechtseintrag als weiblich oder männlich zulässt.« Das geltende Personenstandsgesetz ist also hinsichtlich dieser Normen verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb den Gesetzgeber verpflichtet, bis zum 31. Dezember 2018 für eine Neuregelung zu sorgen. Entweder muss eine dritte Bezeichnung neben männlich und weiblich eingeführt werden, oder – und das wäre ein historischer Wendepunkt im deutschen Recht – es wird generell auf einen personenstandsrechtlichen Eintrag verzichtet.

Welche Folgen dieses Urteil haben wird, hängt maßgeblich davon ab, wie der Bundestag entscheidet. Eine neue Bezeichnung als dritte Option für das Geburtenregister wie »inter«, »divers« oder »X« käme wahrscheinlich der Wahrnehmbarkeit und der gesellschaftlichen Akzeptanz von intergeschlecht­lichen Personen zugute. Eine komplette Streichung des Geschlechtseintrags im Geburtenregister würde dagegen bedeuten, dass alle auf diesen Eintrag rekurrierenden Regelungen geändert werden müssten. Dieser Schritt würde die derzeitige Bedeutung von Geschlecht im Recht radikal in Frage stellen.

Die Konsequenz wäre beispiels­weise, dass die Eintragung von Vater- und Mutterschaft entfiele. Wahrscheinlich träte eine neutrale Kategorie wie »Elternschaft« an deren Stelle. Die Öffnung der Ehe für alle hat die Frage nach dem Geschlecht bei einer Heirat bereits gelöst. Relevant bliebe das Geschlecht dann nur noch in den Bereichen des Rechts, die Diskriminierung verhindern oder ausgleichen sollen.

 

Intergeschlechtliche Menschen: gesund geboren und von der Medizin als krank eingestuft

»Das Ziel Nummer eins von intersexuellen Menschen ist nach wie vor, ihre körperliche Unversehrtheit und Integrität sicherzustellen«, sagt Lucie Veith vom Verein Intersexuelle Menschen. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts sei ein wichtiger Etappensieg. Intergeschlechtlichen Menschen widerfahre in der Medizin »nach wie vor eine enorme Pathologisierung«. Sie seien schließlich gesund geboren, würden aber von der Medizin als krank eingestuft. Schlecht oder gar nicht informiert, stimmten Eltern von Ärzten empfohlenen irreversiblen chirurgischen und medikamentösen Eingriffen zu, um die Kinder einem der beiden Binärgeschlechter anzupassen.

Medizinisch begründet werden diese Praktiken damit, dass den Kindern durch die Herstellung eines vermeintlich eindeutigen Geschlechts eine ungestörte Entwicklung der Geschlechtsidentität und Sexualität ermöglicht werde. De facto handelt es sich dabei um besonders schwere Eingriffe, die meist keinerlei medizinische Indikation haben. Schwere physische und psychische Traumatisierung, Unfruchtbarkeit und die Notwendigkeit einer lebenslangen Medikamenteneinnahme sind häufige Folgen. Intergeschlechtliche Menschen weisen seit Jahrzehnten darauf hin, dass es sich dabei um ein grausames und unmenschliches Vorgehen han­dele. »Es gibt eigentlich keinen Forschungsbedarf mehr, um zu zeigen, wie grausam diese Operationen sind«, sagt Ulrike Klöppel vom Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität Berlin (HU), die zu dem Thema forscht.

Die Eingriffe erfüllten, so Anette Grünewald, Professorin für Strafrecht an der HU, mindestens den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung. Auch könnten solche Operationen gegen das Verbot von Folter und anderer grausamer und unmenschlicher Handlungen verstoßen. Grünewald sieht eine Parallele zur erzwungenen Sterilisation und sagt, dass es nicht an recht­lichen Grundlagen für ein Verbot fehle, sondern vielmehr die Verwirklichung scheitere. Zwar wurden in den vergangenen Jahren weniger Fälle von Intergeschlechtlichkeit diagnostiziert, aber in einer Studie geht Ulrike Klöppel ­davon aus, dass der Befund nur deshalb vermieden wird, um dieselben Opera­tionen mit anderslautenden Diagnosen zu begründen.

Wie die zukünftige Bundesregierung diesen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts umsetzen wird, ist offen, ebenso wie die Frage, ob sie ihn zum Anlass nehmen wird, endlich die grausamen Eingriffe zu verbieten. Denn es geht um das Recht auf körperliche Unversehrtheit intergeschlechtlicher Menschen und darum, allen eine freie geschlechtliche Entfaltung zu ermög­lichen. Der Gesetzgeber hat ein Jahr Zeit, eine Entscheidung zu treffen.