Die Schwäche der anderen
Angela Merkel sieht müde und genervt aus. Ihre berühmten Mundwinkel sind noch tiefer eingegraben als sonst. Sie sieht aus wie ein Nußknacker, der die Nuß nicht knacken konnte, aber zu müde ist, um wütend zu werden. Es ist Sonntagnacht, Ende November, und gerade sind die Koalitionsverhandlungen zwischen der Union, den Grünen und der FDP geplatzt. Schwarze Ampel, Jamaika, »Schwampel« sind die gängigen Bezeichnungen für das Bündnis, das erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ernsthaft angestrebt wurde. Dass es ein Mitte-rechts-Bündnis werden sollte, dass es nicht an inhaltlichen Differenzen scheiterte und dass die Grünen mit ihrer unerschöpflichen Kompromissfähigkeit bei den Wählern und Wählerinnen noch gewinnen konnten – nun ja, das alles sagt sehr viel über Deutschland und den Zustand der Republik.
November war ein politisch ereignisreicher Monat. Die FDP, also Christian Lindner, hat eine grundsätzliche Entscheidung getroffen. Eine weitreichende Entscheidung, denn Lindner bläst zum Angriff gegen niemand Geringeren als Angela Merkel. Mit der Entscheidung, nicht mit den Grünen in eine Regierung zu gehen, hat er sich den Weg eines Sebastian Kurz offengehalten – einer rechtsliberal-nationalkonservativen Volksbewegung mit einem charismatischen Anführer an der Spitze.
Eine Koalition mit den Grünen hätte die Klientel, die von einer solchen Bewegung angesprochen würde, als Verrat auf Jahre hinweg übelgenommen. Der Traum der Kanzlerschaft wäre in einer knirschenden Koalition mit schwacher FDP wohl eher ein Albtraum gewesen. Das bedeutet für Angela Merkel ganz konkret, dass nicht nur die AfD, sondern auch die FDP, der traditionell verlässlichste Regierungspartner der Union, sie vom Thron stoßen möchte. Ob die AfD in die Regierung will, weiß diese zwar selbst noch nicht, aber sie weiß, dass sich diese Frage mit Angela Merkel gar nicht erst stellt.
Merkel ist also so schwach wie schon lange nicht mehr. So schwach wie zu Beginn ihrer Kanzlerinnenschaft. Die derzeitigen Konflikte, die tiefgreifenden Veränderungen lassen sie nicht mehr unberührt. Ihr visionsloser Pragmatismus, ihre sachliche und unsentimentale Art haben sie zur mächtigsten Frau der Welt werden lassen. Aber wie es so oft ist, könnten genau diese Eigenschaften auch ihren Untergang bedeuten. Denn die Koalitionsverhandlungen scheiterten nicht zuletzt daran, dass es keine Idee gab, die die auseinanderstrebenden Kräfte hätte zusammenhalten können. Alles, was Angela Merkel politisch anzubieten hatte, war »Verantwortung für das Land«. Das reicht nicht, um einer Allianz aus Claudia Roth, Horst Seehofer und Christian Lindner ein gemeinsames Projekt zu verschaffen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Merkel das vergangene Jahrzehnt wirklich politisch zu verantworten hat und dass viele Menschen unter »Verantwortung für das Land« nur verstehen, dass sie weniger Geld in der Tasche und mehr Existenznot haben.
Es wird also wieder eine große Koalition werden, was sonst? Für eine Minderheitsregierung ist Merkel in der eigenen Partei zu schwach und die Flanke zur AfD nicht geschlossen genug. Eine Große Koalition jedoch könnte diesmal bedeuten, dass die SPD in einer so starken Position wäre wie lange nicht mehr. Es steht allerdings zu befürchten, dass sie diese Position nicht nutzen würde. Dann würde Merkel nochmal davonkommen. Wie immer dank der Schwäche der anderen.