Daniel Cohn-Bendits Buch »Wir haben sie so geliebt, die Revolution«

Die Linke nimmt zu

Alle Jahrzehnte wieder ereilt die Veteranen der Achtundsechziger das salbungsvolle und kitschige Erinnern an die schöne alte Zeit. Die Rhetorik dieses Zirkus wurde schon 1987 von Wolfgang Pohrt am Beispiel Daniel Cohn-Bendits unter die Lupe genommen. Die Worthülsen sind seitdem dieselben geblieben.

Im Mai 1977 schon erschien der Jubiläumsband »Was wir wollten, was wir wurden. Studentenrevolte – zehn Jahre danach«. Wie abzusehen war, ist mit dem nächsten Fälligkeitstermin das Unausweichliche nun abermals eingetreten. Pünktlich zum zwanzigsten Jahrestag hat Daniel Cohn-Bendit fürs Fernsehen die alten Kameraden aufgesucht, in Paris und New York, in Amsterdam und Rio, in Frankfurt und Rom, nicht in Stammheim, wie er mehrmals betont, um mit den happy few, zu denen er selbst gehört, vor der Kamera über vergangene Zeiten zu plaudern und darüber, wie denn später alles ganz anders kam. Das Buch zur Serie – ein Unglück kommt selten allein – ist jetzt unter dem Titel »Wir haben sie so geliebt, die Revolution« zu erwerben. Wer den O-Ton schon auf Kassette hat, wird seine besondere Aufmerksamkeit dem neu hinzugekommenen Vorwort widmen, welches einige erstaunliche Einsichten enthält und viel Stoff zum Grübeln für Tüftler, die des Kreuzworträtselratens müde sind und daher in der Freizeit gern den verborgenen Sinn von Kohl-Reden erforschen.

»1968 fing der Planet Feuer«, klärt beispielsweise Daniel Cohn-Bendit den verdutzten Leser auf, der den Weltuntergang bloß als eine für das Jahr 1983 angesetzte und dann ausgefallene Veranstaltung erinnert, die nicht mit Dutschke, sondern mit Pershing II zusammenhing. Wo aber die Flammenmetaphorik wabert, läßt auch der Wasserschaden nicht auf sich warten, weil der vor sich hindenkende schwache Geist immer Himmel und Hölle zusammenreimt. »Unterstützt von einer rasanten Entwicklung der Medien«, fährt daher Cohn-Bendit fort, »waren wir die erste Generation, die durch die Flut von Ton und Bild die physische und tägliche Totalität der Welt erlebte«, was eine beachtliche Leistung war, weil der Normalmensch nichtmal den Apfel essen kann, den er auf der Mattscheibe sieht, und noch viel weniger in der Lage ist, hingefläzt in den Fernsehsessel gleich die »physische und tägliche Totalität der Welt« zu erleben, was immer man sich unter dem Monstrum vorstellen soll. Mitten im Flammenmeer, und dazu noch von Bild und Ton überflutet, stellt sich alsbald die Hoffnung aufs rettende Ufer ein, und Cohn-Bendit versteht es, den Leser nicht zu enttäuschen: »Diese Ansammlungen von Erfahrungen aller Art, von Enttäuschungen und Freuden, von Liebe und Hass, von Poesie und Platitüden war wohl unumgänglich, um uns in die Lage zu versetzen, neue Ufer zu erreichen.« Zum neuen Ufer wiederum gehört der richtige Menschenschlag: »Die Lust am Leben und der Sinn für Geschichte, dies war der Schlüssel für unsere herausfordernde Haltung«, und wenn das Abenteuer dann durchgestanden ist, können die Veteranen in Erinnerungen schwelgen. »Ich denke, wir haben eine berauschende und beängstigende Epoche erlebt.«

 

»Ich esse nie Fleisch oder Dickmacher. Ich kümmere mich um meinen Körper, als ob es um die Revolution ginge. Ich esse für die Ernährung und nicht zum Vergnügen.« Jerry Rubin

 

Redezwang im Zustand der Gedankenlosigkeit

Die Schleimspur, welche der routinierte Politprofi unter dem Vorwand, die Vergangenheit zu erinnern, über sie legt, wenn er vom Kapitalverhältnis so wenig spricht wie vom knallharten Geschäft, in der Frankfurter Szene einen der heiß umkämpften Spitzenplätze zu erobern, die unwahre Rührseligkeit also, die sich in der geschwollenen Sprache verrät, leitet zu einer Reihe von Interviews über, die beispielsweise so beginnen: »Dany Cohn-Bendit: Hallo Abbie! – Abbie Hoffman: Hey Dany! Ist das lange her … . – D.: Oh ja! Sieben Jahre!«, und die sämtlich an jene besonders unangenehmen und langweiligen Talkshows erinnern, bei welchen die falsche Intimität, die plumpe Vertraulichkeit zwischen Moderator und Gast diese bräsige, muffige Wohnzimmeratmosphäre schafft, in der alle unfähig sind, einen klaren Gedanken zu fassen. Auf Redezwang im Zustand der Gedankenlosigkeit reagiert man mit dem Hersagen abrufbereiter Standardfloskeln, und das konfektionierte Frage-Antwort-Spiel mit rund zwanzig häppchenweise vorgeführten Personen beweist am Ende nur Cohn-Bendits Talent, aus Leuten verschiedenster Provenienz vor der Kamera in zehn Minuten exakt die gleichen anödenden Belanglosigkeiten herauszukitzeln, die freilich im Einzelfall durchaus symptomatisch sind, so, wenn etwa der neuerdings auf der Mattscheibe wie eine Kreuzung zwischen Börner und Bangemann wirkende Joschka Fischer sein Glück kaum fassen kann und gesteht: »Ich wundere mich immer noch, daß ich jeden Tag mit den Verantwortlichen dieses Landes zu tun habe und man von gleich zu gleich miteinander umgeht.«

Von solchen seltenen unfreiwilligen Geständnissen abgesehen, ist das ganze Buch von der Absicht durchtränkt, alle wirklichen Beweggründe und Fakten zu vertuschen. Weit entfernt davon, entweder zuzugeben, daß Fernsehhonorare Argumente sind, denen sich nur ein Millionär ganz verschließen kann, oder jede Begründung einfach wegzulassen, rührt Cohn-Bendit aus fünf Gemeinplätzen eine schwammige Rechtfertigung für die unergiebige Abgraserei zusammen, mit dem Effekt, daß an die Stelle nüchterner Einschaltquotenkalkulation der Herzenswunsch eines Ehemaligen tritt, seine – Cohn-Bendit wörtlich – »politische Familie« zu besuchen. Cohn-Bendit weiter: »Die Gesprächspartner, die ich ausgewählt habe – ob sie die Titelseiten der Zeitungen geziert hatten oder ob sie weitab vom großen politischen Geschehen (auf den Titelseiten der Zeitungen, W. P.) lebten – verkörpern einzigartige und exemplarische politische, soziale oder kulturelle Möglichkeiten innerhalb der Vielfalt von Erfahrungen, die wir gelebt (nicht etwa gemacht, W. P.) haben. Als Autor dieser Folge bin ich weder Journalist, der eine Reportage von vielen zusammengewerkelt hat, noch Richter, der sein Urteil fällen soll. Ich wollte durch die Konfrontation mit Erfahrungen und Personen meinen eigenen Weg beleuchten. Ich bin überzeugt davon, daß wir trotz unserer Verschiedenheit, unserer Widersprüche, unserer Niederlagen und unserer Irrtümer neue Formen sozialen Lebens entwickelt und andere Verhaltensweisen in den politischen Beziehungen durchgesetzt haben, die besser geeignet sind, die Probleme zu bewältigen, vor denen wir heute stehen.«

Wie ein fernes Echo aus besserer Zeit wirkt neben dem Gemeinnützigkeit vortäuschenden Gesinnungskitsch, neben dem Abklatsch aller Politikerreden, neben den gewundenen Stilübungen des vermeintlich um die großen Probleme unserer Zeit besorgten Eiertänzers jene Botschaft, die Jerry Rubin verkündet, der einzige wirkliche Renegat im Kreis der interviewten Ehemaligen und der einzige zugleich, der sich im Wahn noch die Klarheit des Ausdrucks, die Kraft zur Erkenntnis und die Festigkeit des Willens bewahrte, die damals dem Widerstand gegen das falsche gesellschaftliche Verhältnis seine Entschiedenheit und seine Schärfe gaben und die heute, wie Cohn-Bendits tranige Rückschau beweist, unwiederbringlich vergessen und verloren sind: »Ich habe den Kampf um die maximale Verlängerung meiner Lebensdauer aufgenommen. Ich nehme Vitamine und Mineralsalze. Ich esse Getreidekost zum Frühstück und Salat zum Mittag. Ich esse nie Fleisch oder Dickmacher. Ich kümmere mich um meinen Körper, als ob es um die Revolution ginge. Ich esse für die Ernährung und nicht zum Vergnügen.«

 

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus: Wolfgang Pohrt: Ein Hauch von Nerz. Kommentare zur chronischen Krise. Edition Tiamat, Berlin 1989

Die Edition Tiamat arbeitet zurzeit an der Herausgabe einer elf Bände umfassenden Werkausgabe von Wolfgang Pohrt. Das Erscheinen des ersten Titels ist für das Frühjahr 2018 angekündigt.