Der rechtsextreme schwedische Terrorist John Ausonius steht wegen des Mordes an einer Shoah-Überlebenden vor Gericht

Mordmotiv Antisemitimus?

In Frankfurt am Main steht der rechtsextreme schwedische Terrorist John Ausonius wegen Mordes an einer Shoah-Überlebenden vor Gericht. Der Angeklagte betrachtet sich selbst als Opfer.

War die Jacke des Täters dunkelgrün oder schwarz? Oder war es ein Anorak? Was ist überhaupt ein Anorak? Und die Mütze, ging die über die Ohren? Sie war grau, oder? Oder nicht eher schwarz? Dunkelgrau? Im Jahr 1992 wurde die Jüdin und Shoah-Überlebende Blanka Zmigrod in der Frankfurter Innenstadt mit einem Kopfschuss ermordet. Vor dem Landgericht Frankfurt am Main muss sich zurzeit, über 25 Jahre später, ein rechter schwedischer Terrorist verantworten. Insbesondere die Befragung der Zeugen erweist sich nach einer so langen Zeit als äußerst schwierig.

Angeklagt ist John Ausonius. In Schweden schoss er zwischen August 1991 und Januar 1992 auf mindestens neun ihm unbekannte Menschen, die er aus rassistischen Motiven auswählte. Acht von ihnen überlebten teils schwerverletzt, der iranische Student Jimmy Ranjbar starb. Für einige seiner Taten verwendete Ausonius eine Schusswaffe mit Laserzielvorrichtung, weshalb die schwedischen Medien ihn »Lasermann« nannten.
Der erste Bundestagsuntersuchungsauschuss zum »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) hatte 2013 in seinem Abschlussbericht darauf hingewiesen, dass Ausonius in einer Neonazipublikation für seine Anschlagsserie gelobt worden war. Wie später der NSU hatte er sich durch Banküberfälle finanziert und war nach den Taten per Fahrrad geflüchtet. War der »Lasermann« Vorbild für die Morde des NSU? Auch wegen solcher Fragen erschienen zum Prozess­auftakt zahlreiche Reporter und Fotografen.

Auf der Flucht vor der schwedischen Polizei hielt sich Ausonius Anfang 1992 in Deutschland auf, dem Herkunftsland seiner Mutter. Er spielte in Dutzenden Casinos, in Dresden kaufte er für 3000 Mark den deutschen Reisepass eines Mannes. Während eines Aufenthalts in Frankfurt am Main stieg er in einem Hotel an der Alten Oper ab – dem Arbeitsplatz der Garderobiere Blanka Zmigrod. Diese beschuldigte er Erkenntnissen der Polizei zufolge, seinen Casio-Rechner, eine Art elektronisches Notizbuch, gestohlen zu haben. Ausonius drohte der 68jährigen demnach mit den Worten: »Wir sehen uns noch.« Kurze Zeit später wurde Zmigrod per Kopfschuss getötet und ihre Handtasche geraubt – auf dem Heimweg von ihrer Arbeitsstelle.

Ausonius bestreitet die Tat. Die Anklage basiert lediglich auf Indizien. Ein Augenzeuge gab eine Täterbeschreibung ab, die durchaus zu Ausonius passt, aber eben nur sehr oberflächlich. Zudem verwendete dieser für die ­Anschlagsserie in Schweden dasselbe Kaliber und sogar dieselbe Munitionsmarke wie der Täter bei Zmigrods Ermordung. Ausonius, der sich 2000, mehrere Jahre nach seiner Verurteilung, zu der schwedischen Mordserie bekannt hatte, räumt ein, eine solche Waffe besessen zu haben, will sie jedoch verkauft haben, kurz bevor Zmigrod erschossen wurde.

Die Befragung der Zeugen erweist sich nicht nur als sehr kleinteilig, wie in Mordprozessen üblich, sondern als besonders schwierig. Nur wenige Zeugen erinnern sich an die Vorgänge, die über ein Vierteljahrhundert zurückliegen. Die Befragung verliert sich wie eingangs beschrieben in Einzelheiten, Antworten gibt es nur wenige. So ist der einzige Augenzeuge des nächtlichen Aufeinandertreffens von Zmigrod und dem Mörder mittlerweile 83 Jahre alt. Vor Gericht betont er immer wieder, sich nicht mehr an Details erinnern zu können, damals sehr verängstigt ge­wesen zu sein und auch heutzutage nur unter enormer psychischer und körperlicher Anstrengung aussagen zu können. Dennoch antwortet er mehrfach auf Fragen nach Kleidung und genauem Ablauf, woraus immer wieder Widersprüche resultieren.

Zudem werden mehrere Polizisten befragt, die damals im Dienst waren. Während sich die Streifenpolizisten, die am Tatort eingesetzt waren, nur noch an grobe Abläufe erinnern können, sagt der Beamte, der die Ermittlungen in dem Fall leitete, sehr detailliert aus. Nach dem anfänglichen Verdacht eines Streits im Drogenmilieu – darauf hätten die dunkle Haarfarbe des Täters und der Kopfschuss hingedeutet – sei der Hinweis auf Ausonius gekommen, der im Juni 1992 in Schweden festgenommen worden war. Die Ermittlungen verliefen jedoch im Sande und der Fall blieb liegen.

Ausonius’ Verteidiger Joachim Bremer hob diese Vagheit und die Lücken ­minutiös hervor. Schwedische Ermittler hatten Ausonius bereits 1993 und 1996 im Zuge der Ermittlungen wegen der Anschlagsserie in Schweden zu dem Mord in Frankfurt befragt. Da Ausonius nicht nach deutschem Recht über den Tatvorwurf und sein Recht zu schweigen belehrt worden war, beantragte Bremer, die schwedischen Vernehmungsprotokolle nicht als Beweismittel zu­zulassen. Am letzten Prozesstag 2017 stellte der Verteidiger Beweisanträge, die Polizei- und Pressemeldungen von 1992 zu einem möglichen Hand­taschenräuber zu verlesen. Zudem soll eine Frankfurterin geladen werden, die kurz vor Zmigrods Tod Opfer eines Handtaschenraubs geworden war.

In seinen Einlassungen zu Prozessbeginn beschrieb Ausonius sein Leben. Er habe unter zerrütteten Familien­verhältnissen sowie schulischen und beruflichen Misserfolgen gelitten. Dies habe ihn zu Gesetzesbrüchen bewegt: Ausonius fuhr illegal Taxi, wurde spielsüchtig und verübte Überfälle, die er jedoch nicht als Kriminalität ­betrachtete. Den medial oft gezogenen Vergleich mit demrechtsextremen ­norwegischen Terroristen Anders Breivik lehnte Ausonius vehement ab, er habe ausschließlich erwachsene Männer und keine Frauen und Kinder ermordet.

Seine rassistische Anschlagsserie in Schweden bettet er in diese selbstvik­timisierende Erzählung ein. Für seine Geldprobleme, die immer weiter ausufernde Spielsucht und persönliche Kränkungen habe er einen Sündenbock gebraucht. Diesen habe er in den »nichteuropäischen Einwanderern« ausgemacht, den »Fremden«. Erst beim fünften Versuch gelang es ihm, ein Opfer tödlich zu verletzen. Vor Gericht in Frankfurt beschrieb Ausonius seine Enttäuschung darüber, die ihn oft tagelang nicht habe schlafen lassen und seine Selbstzweifel bestärkt habe.

All das mutet konstruiert an. Sicher ist nach vielen Jahren in Haft denkbar, dass Ausonius seine Gewalttaten aufgearbeitet und Selbstreflexion ge­leistet hat. Doch gerade die Entpolitisierung und die kleinen Relativie­rungen in seinen Aussagen sind auffällig. Der mittlerweile 64jährige sagte, er befürchte aufgrund »politischen Drucks« durch eine Anfrage der »Linkspartei unter Gregor Gysi«, in dem Prozess »als Sündenbock geopfert« zu werden. Insbesondere die Tatsache, dass Ausonius’ Opfer Blanka Zmigrod Jüdin war und vier Konzentrationslager überlebt hatte, sollte vor dem Hintergrund der rassis­tischen Anschlagsserie in Schweden nicht vernachlässigt werden – Anti­semitismus als Tatmotiv schien auch deutschen Ermittlern nicht abwegig. Die Staatsanwaltschaft geht allerdings von einem Mord aus Habgier aus. Ein Urteil wird Mitte Februar erwartet. Sollte Ausonius freigesprochen werden, könnte er demnächst ein freier Mann sein – in Schweden hofft der Rechts­terrorist nach 25 Jahren Gefängnis auf seine baldige Haftentlassung.