Susanne Schröter, Ethnologin und Islamexpertin, im Gespräch über Anhängerinnen des »Islamischen Staats«, die nach Deutschland zurückkehren

»Angst vor der Freiheit«

Seite 2 – Salafistische Gender-Ordnung
Interview Von

 

Welche Berührung haben Teenager aus Deutschland mit diesem Vorbild des 7. Jahrhunderts?
Die Rolle von Frauen in dieser idealisierten Gesellschaft wurde ganz ­konkret in einer Broschüre der al-Khansaa-Brigaden in arabischer Sprache unter dem Titel »Frauen im islamischen Staat« propagiert. Darin wird sehr klar beschrieben, dass die Aufgabe von Frauen darin besteht, zu Hause zu bleiben, ihren Männern zu Diensten zu sein, Kinder zu gebären und diese in der Ideologie des IS zu erziehen. Ein solches Leben entspreche der weiblichen Natur und sei aus diesem Grund für Frauen erfüllend. Emanzipation dagegen degeneriere sowohl Frauen als auch Männer. Interessanterweise fühlen sich etliche junge Musliminnen und auch viele Konvertitinnen von dieser Gender-Asymmetrie angesprochen.

 

Was ist der besondere Reiz, der dieses Leben für junge Frauen ­attraktiv erscheinen lässt?
Salafismus und Jihadismus sind jenseitsorientierte Ideologien, die stets betonen, dass das irdische Leben nur eine Prüfung für das eigentliche ­Leben nach dem Tod darstellt. Der salafistischen Gender-Ordnung ­Folge zu leisten, das Haus nur noch in blickdichter Verschleierung und in Begleitung des Ehemannes oder eines männlichen Verwandten zu verlassen und viele andere Einschränkungen gelten als gottgefälliges ­Leben, das sich am Tag des Jüngsten Gerichts bezahlt macht. Diejenigen, die sich Gottes Normen unterwerfen, meinen größere Chancen zu haben, nach dem Tod ohne Umschweife ins Paradies zu gelangen. Nur vor diesem Hintergrund wird auch das die Idee eines eschatologischen Endkampfes zwischen Muslimen und Ungläubigen verständlich, von dem man glaubt, dass er mit dem welt­weiten Sieg des Islam enden werde. Dabei gilt es, aktiv auf der richtigen Seite zu stehen, denn eine Nichtbeteiligung könnte von Gott bestraft werden. Diese Beteiligung sieht für Männer und Frauen unterschiedlich aus: Männer sollen Kämpfer sein, Frauen Gebärerinnen von Kämpfern. Allerdings erodiert diese Unterscheidung zurzeit, weil sich die militärische Lage geändert hat.

 

Welche ideologischen Überzeugungen teilen Männer und ­Frauen?
Ein Motiv, das für Männer und Frauen gleichermaßen wirksam ist, ist der Wunsch etwas gegen die Kriege des Westens tun zu wollen, den ­Muslimen in Krisengebieten zur Seite zu stehen, sie zu beschützen oder gegebenenfalls zu rächen. Hier gibt es ein nachvollziehbares Moment der ­Kritik an Kriegen, die von westlichen Staaten in der islamischen Welt geführt werden, an Waffenlieferungen oder an der westlichen ­Doppelmoral, die nur die eigenen Toten zählt. ­Allerdings ist das anti­imperialistische Moment dieser Erzählung bestenfalls halbherzig, da alles, was am Westen kritisiert, bei jihadistischen ­Milizen akzeptiert wird und selbst die Versklavung, Vertreibung und Ausrottung von Minderheiten wie den Jeziden als legitim verteidigt wird.

 

Islamischer Friedenskongress

Besucher beim »1. Islamischen Friedenskongress«: Arbeit an einer salafistischen Gegenkultur

Bild:
mauritius images / Jochen Tack

 

Wie werden nun aus Rückkehrerinnen Aussteigerinnnen? Unter welchen gesellschaftlichen Voraussetzungen kann Integration gelingen?
Es ist zunächst einmal unerlässlich, Jihadismus als Teil einer islamistischen Ideologie zu verstehen. Eine ausschließliche Delegitimierung von Gewalt bei gleichzeitiger Legitimierung des puristischen Salafismus oder anderer islamistischer Ideologien geht in die Irre. Auch die ­priorisierte Fokussierung auf Diskriminierungserfahrungen oder eine prekäre Lebenslage greift zu kurz.

 

Die Verhüllung wird als Zeichen eingesetzt. Sie gilt zudem als Mutprobe, da die Reaktionen von Passanten nicht ­immer freundlich sind. Diejenigen, die Selfies im öffentlichen Raum von sich machen und ins Netz stellen, können daher viele Freundinnen ­gewinnen und ihren Status aufbessern. In diesem Sinne ist der Niqab ein Kommunikationsmittel

 

Kann Sozialarbeit überhaupt etwas bewirken?
Nur dann, wenn sie selbst Zweifel an der Legitimität des IS haben, wären Rückkehrerinnen für Gespräche offen. Ich halte den Einsatz guter muslimischer Theologinnen für unerlässlich, um die salafistisch-jihadistische Ideologie zu entkräften. Druck braucht es insbesondere, um die Kinder vor weiteren Instrumentalisierungen zu bewahren.

 

Sehen Sie in den Moscheeverbände potentielle Partner? Und ist die Stärkung der Religion im Hinblick auf die Gesellschaft insgesamt überhaupt wünschenswert?
Wenn man sich anschaut, was Moscheeverbände unter Präventionsarbeit verstehen, dann ist dies sicherlich nicht förderlich. Es handelt sich mehrheitlich um religiöse Jugendarbeit, die die Grundlagen der patriarchalischen und teilweise auch islamistischen Ideologie reproduziert. Eine theologische Entzauberung der IS-Ideologie halte ich durchaus für wünschenswert, doch es gibt zurzeit kaum Personen, die dafür geeignet wären. Jedes Islamverständnis, das sich unkritisch am 7. Jahrhundert oder einer wortwörtlichen Auslegung des Korans orientiert, arbeitet dem Salafismus und letztlich auch dem Jihadismus in die Hände.

 

Projekte zur Gewaltprävention junger Muslime wie das Heroes-Konzept von Ahmad Mansour sind auf Männer und deren problematisches Rollen- und Ehrverständnis zugeschnitten. Welche besonderen Angebote brauchen Frauen?
Viele muslimische Frauen haben Angst vor der Freiheit. Da sie stärker kontrolliert und sanktioniert werden als Männer, haben sie de facto mehr zu verlieren. Sinnvoll wäre der Aufbau von Peer-Gruppen unter Leitung erfahrener Frauen, nach dem Vorbild von Heroes. Offene Gespräche untereinander wären ein Anfang.

 

Muslimische Frauen sind die ersten Opfer von religiös motivierter Gewalt, etwa durch Ehrenmorde, Beschneidung, Zwangsheirat und strenge  Bekleidungsvorschriften. Zugleich tradieren Frauen als Mütter und Ehefrauen patriarchale Strukturen und verteidigen sie gegen die liberale Gesellschaft. ­Werden muslimische Frauen zu sehr auf die Opferrolle festgelegt?
Frauen sind in jeder patriarchalischen Gesellschaft Opfer und Täterinnen. Ohne die Zustimmung oder das aktive Mitwirken eines Teils der Frauen lässt sich keine frauenunterdrückende Ordnung aufrechterhalten.

 

Die IS-Propaganda setzt die Heroisierung der Jihadistin gezielt ein, um Frauen zu rekrutieren. Welche Rolle spielt der Schleier in diesen Bildinszenierungen?
Salafistinnen haben nur wenige Möglichkeiten in der Öffentlichkeit sichtbar zu werden, da sie »wie Perlen in der Muschel« vor neugierigen Blicken versteckt bleiben sollen. Nur in kompletter Verhüllung inklusive des Gesichtsschleiers können sie sich außer Haus bewegen, wenn sie die moralischen Grundsätze des Salafismus beherzigen. Da die Bildsprache allgemein verständlich ist, wird die Verhüllung als Zeichen eingesetzt. Sie gilt zudem als Mutprobe, da die Reaktionen von Passanten nicht ­immer freundlich sind. Diejenigen, die Selfies im öffentlichen Raum von sich machen und ins Netz stellen, können daher viele Freundinnen ­gewinnen und ihren Status aufbessern. In diesem Sinne ist der Niqab ein Kommunikationsmittel, ein Mittel, im internen Ranking der Gruppe aufzusteigen, und er ist natürlich auch subversiv, allerdings im Sinne einer totalitären, letztendlich sogar faschistoiden Ideologie. Dass Feministinnen Hijab- und Niqabträgerinnen zu Ikonen stilisieren, schadet nicht nur all den Frauen, die unter eine islamistische Ordnung gezwungen werden, sondern leistet einer menschenverachtenden Ideologie Vorschub.
 

 

Susanne Schröter ist Professorin für Ethnologie kolonialer und postkolonialer Ordnungen an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums ­Globaler Islam. Sie forscht über die Herausbildung moderner Geschlechterordnungen in der islamischen Welt. Zuletzt erschien von ihr im Campus-Verlag die Studie »Gott näher als der eigenen Halsschlagader. Fromme Muslime in Deutschland« (2016).