Die Rolle der Frauen bei den Protesten im Iran

Das gute Kopftuch

Eine Frau, die ihr Kopftuch schwenkt, ist zum Symbol der derzeitigen Proteste im Iran geworden. Dabei stand ihre Aktion in einem anderen Zusammen­hang. Trotzdem ist es ein passendes Bild.

Die Frau steht auf einem Podest, vielleicht einem Stromkasten, an einer vielbefahrenen Straße in Teheran. Ihr weißes Kopftuch hat sie abgenommen und an einen Stock gehängt, das sie über den Autos hin und her schwenkt. So ist es in einem Video der Online-Kampagne »White Wednesdays« zu sehen, das am 28. Dezember in den so­zialen Medien gepostet wurde – einen Tag vor den ersten großen Protesten gegen steigende Preise und Sozialkürzungen in Mashhad, der zweitgrößten Stadt Irans.

Die Frau aus dem Film befindet sich inzwischen als lilafarbenes Logo stilisiert auf zahlreichen Solidaritätsbekundungen und in Medienberichten zu der Protestwelle im Iran. Doch bei den Protesten seit Ende Dezember sind kaum Frauen zu sehen, sagen ­Beobachter. Auch auf den in sozialen Medien kursierenden Aufnahmen erkennt man vor allem junge Männer. Im Gegensatz zu den Protesten 2009 und 1999, als Frauen in großer Zahl demonstrierten, seien dies die »am wenigsten weiblichen Proteste der jüngeren Zeit,« sagte etwa Azadeh Moaveni, eine ehemalige Reporterin der New York Times, der US-Zeitschrift Newsweek.

Der Befund scheint plausibel. Während die Proteste 2009 maßgeblich von der iranischen Mittelschicht ausgingen, in der Frauen seit Jahrzehnten eine eher gleichberechtigte Rolle anstreben, gingen bei den derzeitigen Protesten zunächst Menschen auf die Straße, die nicht mehr genug zum ­Leben haben: Arbeitslose, Arbeiter und die untere Mittelschicht. Sie sind konservativer. Zwar gibt es auch in diesen Schichten inzwischen viele Frauen, die gegen ihre Unterdrückung aufbegehren, aber das Abstreifen des obli­gatorischen Kopftuches ist für sie weniger wichtig als für die Frauen der Mittelschicht.

Allerdings sind die Parolen der Proteste vielfältig. Schnell wurde klar, dass es keineswegs nur um die soziale Frage geht. Auch der Beginn des Aufstandes am 29. Dezember ist nur insofern präzise datiert, weil sich von diesem Tag an die Proteste rasant ausbreiteten und aufeinander bezogen. Im Iran gibt es jedoch seit Monaten wütende Proteste, die sich oft über Wochen hinziehen. Arbeiter demonstrieren, weil ihr Lohn nicht ausgezahlt wird, Lehrer demons­trieren für bessere Bezahlung.

Die Führung des Iran fürchtet nichts mehr als eine Verbindung der verschiedenen Proteste und damit den gemeinsamen Protest von Mittelschicht und Arbeiter.

Es gärt seit langem. Vieles löst Unmut in der Bevölkerung aus. Angefangen vom Preis für Eier und den angekündigten Kürzungen der Sozialhilfe, die vielen Kriege, die der Iran führt, Willkür und Korruption. Die Diskriminierung von Frauen ist ebenfalls ein wichtiges Thema – auch für Frauen der unteren Schichten.

Es mag Zufall sein, dass just am Tag des Ausbruchs der Proteste in Mashhad der Leiter der Polizei Teherans erklärte, es werde keine Strafen und ­Anklagen mehr gegen Frauen mit »schlechtem Hijab« geben. Fortan müssten sie stattdessen eine Weiterbildung zum Islam besuchen. Losgelöst von der allgemeinen Stimmung ist eine solche Ankündigung gewiss nicht zu verstehen. Die Führung des Iran fürchtet nichts mehr als eine Verbindung der verschiedenen Proteste und damit den gemeinsamen Protest von Mittelschicht und Arbeiter. Da lohnt es sich, einen kleinen Schritt auf die Anti-Hijab-Bewegung zuzugehen.

Eine Bewegung, die die Kopftuchpflicht ablehnt, gibt es schon seit 2014. Seitdem ist sie konstant gewachsen, größer und mutiger geworden. Damals rief die iranische Menschenrechtlerin Masih Alinejad die Kampagne »My stealthy freedom« (Meine heimliche Freiheit) ins Leben. Alinejad, die im Exil in den USA lebt, sammelt Videos und Fotos, die ihr Iranerinnen und Afghaninnen schicken und die die Absenderinnen dabei zeigen, wie sie ihr Kopftuch abnehmen. Alinejad stellt sie ins Netz. Andere Videos zeigen singende Frauen – als Protest gegen das im Iran bestehende Verbot für Frauen, allein zu singen –, Frauen auf Motorrädern oder Männer mit Hijab.

 

Heimliche Bilder

 

Die Bilder auf mystealthyfreedom.net sind jedoch, wie der Name sagt, heimlich entstanden. Die Frauen schwenken ihre Tücher über dem Kopf vor Wiesen und Wäldern. Außer der Fotografin hat das womöglich niemand gesehen – und es ist nicht klar, ob die Bilder überhaupt im Iran entstanden sind. Selbstredend warf die Regierung Alinejad vor, die Bilder seien alle gefälscht.

Auch wenn nur 100 Frauen in einem Land von 80 Millionen ihr Kopftuch öffentlich abnehmen und sich dabei filmen, kann dies Sprengkraft entfalten.

Im Mai vergangenen Jahres erdachte Alinejad die White-Wednesday-Kampagne, bei der es nicht mehr um heimliche Freiheit, sondern um offenen Protest geht. Darin laufen Frauen ohne Kopfbedeckung Teheraner Straßen entlang, unterhalten sich dabei mit Passanten oder fahren im Auto umher. Viele zeigen ihr Gesicht, andere agieren vorsichtiger: Ein Film zeigt die Reaktion einer Krankenhausmitarbeiterin, die einer Frau hinter der Kamera erklärt, sie habe ohne Tschador keinen Zutritt. In einem anderem beschimpft ein Mullah unflätig die Kamerafrau. In allen Filmen wird die iranische Öffentlichkeit mit barhäuptigen Frauen konfrontiert.

Bis zu einem halben Dutzend solcher Filme werden wöchentlich auf Twitter gepostet. Das ist noch keine Massenbewegung, aber angesichts der Risiken, die diese Frauen auf sich genommen haben, enorm mutig. Für einen unverhüllten Kopf gab es bis Ende Dezember harte Strafen. Noch im Frühsommer vorigen Jahres erklärte etwa der Staatsanwalt der Stadt Sari, es gebe kein Pardon wegen des heißen Wetters. Frauen mit »schlechtem Hijab« – also auch verrutschter Kopfbedeckung – seien mit bis zu zwei Monaten Gefängnis oder 74 Peitschenhieben zu bestrafen. Zusätzlich werde ihr Fahrzeug beschlagnahmt.

Auch wenn nur 100 Frauen in einem Land von 80 Millionen ihr Kopftuch öffentlich abnehmen und sich dabei filmen, kann dies Sprengkraft entfalten. Es waren genau solche Protestformen, die dem Umsturz in Ägypten 2011 vorausgingen. Fotos von Menschen, die irgendwo auf Wiesen oder in Wüsten standen, und dabei Schilder hochhielten mit den Worten »Wir alle sind Khaled Said« – der junge Mann, der von Polizisten ermordet worden war.

Darum ist es keineswegs so, dass die »westlichen Medien vom Feminismus besessen sind«, wenn es um den Iran geht, wie etwa das Magazin Newsweek im Titel eines Hintergrundartikels fragt. Der Kopftuchzwang ist seit 39 Jahren weit bedeutender für Irans Frauen, als so manche in Europa und den USA es sich überhaupt vorstellen können. Richtig ist aber auch, dass der US-amerika­nische Fernsehsender Fox News danebenlag, als er zu den Protesten titelte: »Frauen führen im Iran«. Es gibt zwar auch jenseits der Mittwochsproteste eine Handvoll Bilder, die Frauen in der ersten Reihe der Demonstrationen zeigen. Aber die gibt es immer – nicht zuletzt lassen sie sich besser an die Medien verkaufen.