Reza Mohajerinejad, Vorsitzender der NGO Political Prisoner Watch, im Gespräch über die Gründe, die soziale Zusammensetzung und die Zukunft der Proteste im Iran

»Die Mittelschicht muss sich anschließen«

Seite 2 – »Die Bewegung im Iran hat eine neue Hoffnung geweckt.«
Interview Von

 

Hat die Bewegung eine bestimmte politische Richtung oder wird sie nur aus Wut auf das Bestehende angetrieben? Lässt sich da bereits ­etwas erkennen, etwa aus den verwendeten Parolen?
Um das richtig zu verstehen, darf man nicht nur zehn Jahre zurückschauen. Man muss mindestens 40 Jahre, also die Geschichte der Islamischen Republik seit ihrer Gründung, in den Blick nehmen. Die Ideologie war immer »Nieder mit den USA, nieder mit Israel«. Die Leute können das nicht mehr ­hören. Wenn sie heute rufen, »Nicht für Libanon, nicht für Gaza, mein Leben nur für den Iran«, bedeutet das schlicht, dass sie diese Ideologie satthaben. Das hat nicht zwangsläufig mit nationalem Dünkel zu tun. Sie sehen ihre Regierung ständig zu Solidarität mit den Palästinensern und der Hizbollah auf­rufen und riesige Summen in den Konflikt in Syrien investieren. Sie fragen sich, warum sich ihre Regierung nicht zunächst einmal um die Not im eigenen Land kümmert. Sie wollen einen neuen Gesellschaftsvertrag, der sich der Probleme der iranischen Nation annimmt und nicht, wie es die Ideologie der Islamischen Republik vorschreibt, das Interesse der Nation dem Interesse der islamischen Revolution unterordnet.

»Ich erwarte von Regierungen weltweit moralische Unterstützung, wenn es zu Menschenrechtsverletzungen kommt.«

In Los Angeles fand am Sonntag eine große Demonstration statt, die Sie selbst mitorganisiert haben. Wer nahm daran teil?
Es gab schon seit Tagen jeden Abend Kundgebungen in Los Angeles in Solidarität mit der Bewegung im Iran. Am Sonntag fanden in mehreren US-Städten Demonstrationen für eine säkulare Demokratie im Iran statt. Mehrere Tausend Personen haben hier in Los Angeles demonstriert.

Wie ist die Stimmung unter Iranerinnen und Iranern in den USA?
Sie zeigen eine überwältigende Sympathie mit den Protesten, es ist ein wunderbares Gefühl. Die Bewegung im Iran hat eine neue Hoffnung geweckt. Die Iranerinnen und Iraner, die hier leben, leben hier nicht aus freier Entscheidung, sondern weil sie kein besseres Leben im Iran haben konnten. Darum freuen sie sich, wenn Menschen auf der Straße für Freiheit und gegen die Islamische Republik kämpfen. Das wollen sie selbstverständlich unterstützen.

Wie können sie denn momentan die Bewegung unterstützen?
Sie können Geld geben, sie können die persischsprachigen Medien und die sozialen Netzwerke nutzen. Es geht um mehr Solidarität und internationalen Zusammenhalt. Das hier kann nur der Anfang sein. Bis unser Ziel erreicht ist, wird es noch ein langer Weg sein. Wir müssen uns viel besser organisieren, als es bisher der Fall war, um diese Bewegung zu unterstützen.

Soziale Netzwerke wie Facebook und Telegram werden im Iran momentan unterdrückt, das Internet wird vom Staat stark kontrolliert. Inwiefern können sie effektiv benutzt werden?
Selbst ein repressives Regime wie das im Iran kann nicht für lange Zeit auf die Nutzung des Internets verzichten. Die iranische Gesellschaft und vor ­allem die Wirtschaft sind viel zu sehr darauf angewiesen. Man muss nur vergleichen, was in Ägypten unter Mubarak passiert ist, wo jeder Tag ohne Internet der Wirtschaft gigantische Schäden zugefügt hat.

Während der Proteste im Jahr 2009 haben Sie einen offenen Brief an den damaigen US-Präsidenten Barack Obama geschrieben. Was war der Inhalt dieses Briefes?
Ich habe dem Präsidenten vorgeworfen, dass seine Politik gegenüber der »Grünen Bewegung« falsch sei. Dabei war ich zunächst durchaus ein Unterstützer Obamas, wegen seiner Position zu den Menschenrechten. Als die Menschen gewaltfrei demonstrierten und lediglich fragten »Wo ist meine Stimme?«, hätte er sie mindestens moralisch unterstützen können.

Präsident Donald Trump hat nun auf Twitter versprochen, dass die Bewegung sich »zu gegebener Zeit« auf die Unterstützung der USA verlassen könne. Wie wird das von den Iranern aufgenommen? Der von Trumps Regierung initiierte »travel ban« hat ihn bei Iranern schließlich nicht sehr beliebt gemacht, weil auch sie von den Einreisebeschränkungen betroffen sind.
Was internationale Unterstützung betrifft, können wir nicht wählerisch sein. Zu diesem Zeitpunkt frage ich mich nicht, ob ich mich mit jemandem, der die Bewegung unterstützt, in anderen Punkten politisch verstehe oder nicht. Ich erwarte von Regierungen weltweit moralische Unterstützung, wenn es zu Menschenrechtsverletzungen kommt. Für mich war Nelson Mandela immer ein großes Vorbild. Er wurde einmal gefragt, warum er auf einer seiner ersten Reisen Präsident George H. W. Bush, den Vater von George W. Bush, getroffen habe. Er antwortete, dass er für die Freiheit seines Volkes alles tue, was nötig sei. Im Augenblick brauchen wir die Unterstützung von Menschen und Regierungen der ganzen Welt im Kampf für Freiheit und Menschenrechte. Und nicht zuletzt brauchen wir Medien, die ­darüber berichten, was im Iran vor sich geht.
 

 

Nachtrag vom 11.1.2018Nachträglich wünscht Reza Mohajerinejad ausdrücklich zu betonen, dass er moralische Unterstützung einfordert, jegliche militärischen Aktionen gegen den Iran grundsätzlich ablehnt.