Habib Kazdaghli, Professor für Geschichte, im Gespräch über Antisemitismus in Tunesien

»Es gab eine Manipulation wie in der Nazizeit«

Seite 2 – Tabuthema Holocaust?
Interview Von

 

Gab es Drohungen gegen oder Druck auf Sie nach diesen Vorfällen?
Drohungen gegen mich erscheinen in Beiträgen jener Gruppen auf Facebook, vor allem in denen, die auf Arabisch geschrieben sind. Aber die seriösen intellektuellen Milieus wissen, dass all das wertlos ist. Dennoch denken viele, dass die jüngsten Vorschläge von Prä­sident Trump nur das Feuer anfachen und extremistischen Milieus einen Vorwand für Aktionen liefern.

Bereits seit mehr als vier Jahren stehe ich unter staatlichem Personenschutz. Nach dem 15. Dezember ist dieser Schutz ein bisschen stärker geworden. Ich bin diese Pressionen gewohnt, sie zielen vor allem auf unsere Forschungen über die reiche und pluralistische Vergangenheit Tunesiens, die sie nie zur Kenntnis genommen haben.

Es existiert eine gewisse Selbstzensur: Weil die Geschichte der Massaker und die Vernichtung der jüdischen Gemeinschaften hierzulande nie die gleiche Bedeutung wie in Europa gehabt haben, werden solche Themen in Dissertationen kaum behandelt

 

Ist die Geschichte des Holocaust ein Tabuthema in Tunesien?
Offen gestanden werden weder die Frage des Gedenkens von Minderheiten noch insbesondere die Juden in den Schulbüchern behandelt, gemäß dem Sprichwort: »Die Abwesenden ­haben immer unrecht.« De facto sind die Juden in Tunesien nur noch auf Djerba sichtbar, die Jugendlichen sehen künftig die Juden in Gestalt der israelischen Soldaten. Diese Situation begünstigt Reduktionismus, Schematismus und Vereinfachungen und trägt dazu bei, dass ein Teil der öffentlichen Meinung hierzulande maßlos Produkte der europäischen extremen Rechten konsumiert. Viel von dieser hasserfüllten Literatur wurde ins Arabische übersetzt und wird preiswert verkauft.

An den tunesischen Universitäten gibt es seit langem kein offizielles Tabu. Ich selbst habe meine Doktor­arbeit über die Geschichte der Kommunistischen Partei geschrieben, andere haben die Geschichte von Parteien studiert, die nicht anerkannt waren. Aber es existiert eine gewisse Selbstzensur: Weil die Geschichte der Massaker und die Vernichtung der jüdischen Gemeinschaften hierzulande nie die gleiche Bedeutung wie in Europa gehabt haben, werden solche Themen in Dissertationen kaum behandelt – auch wenn Tunesien eines der wenigen Länder außerhalb von Europa war, das eine deutsche Besatzung kannte, von November 1942 bis Mai 1943.

In Videos über die Attacke auf die Ausstellung hört man eine Aktivistin über den »Jahrzehnte alten Mythos« des Holocaust schwadronieren. Welchen Einfluss hat die Leugnung des Holocaust in Tunesien?
Ein solcher Einfluss existiert, daher auch die Negierung des Holocaust und die Ablehnung des Jüdischen und seiner Geschichte, die in den Videos von jenen geäußert wurden, die die Ausstellung angegriffen haben. Das ist ein tiefsitzendes Gefühl, das mit dem Ignorieren der jüdischen Präsenz in den Schulbüchern verbunden ist und auch mit dem, was die Extremisten verbreiten. Sie surfen auf einem realen Gefühl der Frustration, das dadurch genährt wird, dass noch keine Lösung der Frage eines unabhängigen Staats für die Palästinenser gefunden wurde, während der Staat Israel existiert und seit 70 Jahren anerkannt ist. Ich denke, die Regelung dieses Konflikts könnte dazu beitragen, den Negationismus zu schwächen, nicht aber, ihn abzuschaffen, was weitere Arbeit erfordern ­würde.


Die Tafeln der Ausstellung finden sich hier