Homestory

Homestory #04

Auf die Urlaubswelle folgt die Krankheitswelle. Kaum trudeln nacheinander die Redaktionsmitglieder aus ihren verlängerten Weihnachtsferien in alpinen Schneelandschaften oder auf tropischen Inseln ein, lichten sich die Reihen auf den Redaktionskonferenzen schon wieder. Das Husten und Schniefen geht um. Wo es die Kolleginnen und Kollegen nicht persönlich trifft, hilft der Nachwuchs schon mal nach. »Mama, meine Lieblingsfarbe ist bunt, weil nachts so viele Farben in meinem Kopf sind«, zitiert eine Redakteurin ihre fieberkranke Tochter, mit deren aussichtsreicher Zukunft als potentieller neuer Timothy Leary sich die Übriggebliebenen dann über das Fehlen der Kollegin hinwegtrösten müssen.

Die Kranken fehlen nicht nur der deutlich dezimierten Restredaktion, sondern auch bei der kleinen Stippvisite einiger geschätzter Freunde aus einem weit entfernten Bundesland. Letztere sind eigentlich anlässlich der alljährlichen Demonstration mit dem aufmüp­figen Motto »Wir haben es satt« da. Ein Riesenaufzug gegen die Agrarindustrie und für eine Ernährungswende, an dem stets Zehntausende teilnehmen, einige davon in lustigen Tierkostümen. Das finden Zeitungen gut im digitalen Zeitalter. Das gibt Klicks. Dazu noch etwa 100 Bauern mit Treckern, ein bisschen wie damals in Gorleben, nur ohne Wasserwerfereinsatz. Das gibt’s jetzt schon schon das sechste Jahr in Folge. Bevor sich die Gäste auf ihre Trecker schwingen und der Agrarindustrie zeigen, wo der Hammer beziehungsweise die Sichel hängt, bescheinigen sie uns noch bauchpinselnd, »die beste Wochenzeitung in diesem Land« zu sein. Es wird die kranken Kolleginnen und Kollegen freuen, das zu lesen.

Auf die Demo hat es aus der Redaktion wieder einmal niemand geschafft, wohl aber besuchten einzelne Redakteure und deren Freunde am Abend zuvor den Agrarempfang in der Landesvertretung jenes entfernten Bundeslandes, aus dem besagte Gäste stammen. Ein absoluter Geheimtipp, wir verraten deshalb nicht, von welchem Bundesland die Rede ist. Nur so viel: Es ist ganz klein. In der Redak­tion ist es schon Tradition, sich mit den zahlreich anwesenden Bierköniginnen und Blattspinatprinzessinnen zu unterhalten, die dort in ihren Phantasietrachten und mit Plastikkrönchen ihren Willkommenssekt schlürfen. Außerdem gibt es Wein, Bier und ein ausuferndes Buffet mit allerlei Köstlichkeiten besagten Bundeslandes. Besonders beliebt: die Schweinebäckchen. So ein kleines Land und so viel Essen. Nur Vegetarisches, da sieht es ziemlich mau aus. Ernährungswende? Fehlanzeige. Außerdem gibt es beherzte Swing-Musik vom Polizeiorchester. Nur tanzt irgendwie niemand. Komisch. Ein stiller Protest gegen cultural appropriation? Bis Redaktionsschluss ließen sich die anwesenden Redakteure nicht mehr dazu befragen. Sie haben sich inzwischen krank gemeldet.