Eine Kritik der unter dem Banner des »Intersektionalismus« beschworenen Feindbilder gegen Schwule

Aufpolierte Macht

Eine Presseerklärung des Schwulen Museums Berlin sorgte für eine Diskussion über »Intersektionalismus«. Statt Diskriminierung zu bekämpfen, beschwört das Museum ein Feindbild, zu dem neuerdings auch schwule Männer zählen.

In einer Pressemitteilung hat das Schwule Museum in Berlin kürzlich 2018 zum Jahr der »Frau_en« erklärt. In der Bekanntmachung heißt es, dass »Posten und Privilegien, ­Ressourcen, Rederechte und Sichtbarkeit« in der sogenannten »LSBTIQ*-­Community« – die hier unzweifelhaft Adressatin ist – »genauso ungerecht verteilt« seien »wie in der Mehrheitsgesellschaft«, welche der tadelnde Tonfall jedoch weitaus ­weniger dringlich anzusprechen scheint. Ohne einen Beweis für die postulierte Analogie beizufügen, wird angekündigt, dass »vor dem Hintergrund intersektionaler feminis­tischer Kritik« mittels Ausstellungen und Veranstaltungsreihen im Museum in diesem Jahr die »Feminismus-Frage neu aufgerollt« werde.

Zeilen wie diese, in denen die inzwischen notorisch angeprangerten, aber nie definierten »Privilegien« der jeweils anderen mit verächtlichem Unterton hervorgehoben werden, zeigen, worauf der Gebrauch des gegenwärtig wohl populärsten genderfeministischen Deutungsmodells hinausläuft. Nicht die Überwindung sich überkreuzender Diskriminierungsformen steht im Mittelpunkt des Einspruchs, wie es der mittlerweile ubiquitäre Terminus »Intersektionalität« nahelegt, sondern vielmehr die intersektionale Vermittlung von Feindbildern, an denen es sich moralisch abzuarbeiten gilt: »Seit der Gründung des Hauses« seien dort »vor allem schwule (cis, white) Geschichten erzählt« worden, verlautbart die Ankündigung weiter – ganz so, als ob ebenjene Geschichten in der Welt seien, um den Blick auf andere Formen des Lebens und Liebens zu verdecken. Der ressentimenthafte Jargon der Kuratoren ähnelt nicht ohne Grund dem aktivistischen, in welchem der »straight white male« schon lange als stetig wiederkehrende Negativfolie für identitäre Bedürfnisse herhielt.

 

Das Schwule an sich gilt als ein ahistorischer Hort sagenhafter »Privilegien« – und soll symbolisch beseitigt werden, um Platz zu machen für andere, die es mehr verdient hätten.

 

So überrascht es nicht, dass in einer weiteren Erklärung aus dem Museum postuliert wird, dass dessen bis­herige Ausstellungspraxis »eher die visuelle und konzeptionelle Hege­monie schwuler Männlichkeit in der LGBTIQ*-Welt« reflektiert habe, statt »marginalisierte und diskriminierte Positionen in den Vordergrund« zu stellen. Damit sind, wohlgemerkt, mit Kollektiven identische »Positionen« gemeint – und nicht etwa Individuen, an welche es wegen herausragender künstlerischer, politischer oder wissenschaftlicher Tätigkeiten zu erinnern gilt oder die eine solch denkwürdige Vita aufweisen, dass diese noch weit über die jeweilige Lebenszeit der Porträtierten hinaus von ­Interesse ist. Überhaupt mutet die Rede von der angeblichen Rand­ständigkeit in einer Zeit, in der sich kaum eine kulturpolitische Einrichtung mehr Begriffen wie »queer« und »diversity« verweigern kann, weil diese längst fördermittelrelevant sind, überaus anachronistisch an.

An der Konjunktur unmissverständlich pejorativ intendierter ­Adjektivaufzählungen wie »schwul (cis, white)« mit austauschbarem ­angehängten Substantiv lässt sich nun zum einen zeigen, dass der phantasmagorische Versuch einer Inklusion aller irgendwie für mar­ginal erklärten »Positionen« nicht ohne das zu haben ist, was das intersektionale Denken angeblich verhindern soll: Ausschlüsse.

Statt Museumsarbeit beispielsweise dafür zu nutzen, das Verhältnis der Schwulenbewegung zur Frauenemanzipation zu beleuchten, das heißt die Genese beider Strömungen aus dem Geist von Achtundsechzig, ihrer jeweiligen Absetzbewegung von der politischen Linken und ihrer wechselvollen Geschichte aufzuarbeiten und da­rüber hinaus nach beider Verhältnis zur Lesbenbewegung zu befragen, Pluralität also zum Ausgangspunkt zu nehmen, gilt das Schwule an sich als ein ahistorischer Hort sagenhafter »Privilegien« – und soll symbolisch beseitigt werden, um Platz zu machen für andere, die es mehr verdient ­hätten. Zum anderen zielt dieses Denken darauf, die angebliche »konzeptuelle Hegemonie« in den »ei­genen Reihen« als besonders verwerflich darzustellen, damit allerdings äußere Anfeindungen zu relativieren, an denen es immer noch nicht mangelt. Die Konfrontation zwischen Schwulen und Queers wird gesucht, nicht zwischen diesen und der so­genannten »Mehrheitsgesellschaft«.

Diese Negation einer Geschichte, die im Falle der Bundesrepublik von der juristischen Strafpraxis über die klerikale Verdammung und die Aids-Krise bis zur handfesten, nie verschwundenen Gewalt im öffentlichen Raum reicht und damit eine ganze Reihe an nach wie vor aufzuarbeitenden Diskriminierungsformen aufweist, steht exemplarisch für eine Entwicklung, die das Schlagwort ­»Intersektionalität« unfreiwillig zusammenfasst. Wo das Aufzählen ­sogenannter »Differenzmarker« mit der Analyse von Herrschaft verwechselt wird und die Rede von »Ausschlüssen« dominiert, ist das Ausspielen realer oder apostrophierter Unterschiede gegeneinander folgerichtig. Ungleichheit wird nicht beseitigt, sondern kategorial parzelliert und nach dem Sündenbockprinzip neu arrangiert. Rassismus wiegt demnach schwerer als Schwulenfeindlichkeit und ist in der politischen Praxis das zu priorisierende Sujet; die entsprechende Haltung muss ­zudem unentwegt artikuliert werden, um von einer Gemeinschaft der Gleichgesinnten Validation zu erfahren. Das wohl verheerendste Resultat dieser moralischen Ökonomie, die das Aufzählen sogenannter »Differenzkategorien« zur Erfassung »intersektionaler Diskriminierung« be­fördert, um autoritäre Anerkennung zu erwerben, ist der inflationäre ­Gewaltbegriff.

Mord, Totschlag, physische Drangsalierung, psycho­logische Demütigung und weitere, sich aus Hass speisende Arten schwulenfeindlicher Agitation werden verleugnet, während Sprechakte und Repräsentationsweisen zu ­»Gewalt« und Schlimmerem aufgebauscht werden. Weil sich die intersektionale »all inclusive«-Rhetorik dem Instrumentarium der Psychoanalyse verweigert, können solche Manifestationen eines letztlich autoritären Verlangens nach Deutungshoheit weder erfasst, geschweige denn ihre gesellschaftliche Funktion bestimmt werden. Die Verharmlosung der handfest exerzierten Schwulenverachtung – mit der diejenigen, die eine tatsächlich hegemoniale Position einfordern, ihren Machtanspruch ­öffentlichkeitswirksam ausleben – ist der Preis, der für die besorgte Ein­gemeindung aller zuvörderst errichtet wird.

Als aktuelle Variante des genderfeministischen Bedürfnisses nach theoretischer Vereinfachung ist das intersektionale Bangen davor, mit dem eigenen Handeln »Ausschlüsse« zu produzieren, vor allem eine rhe­torische Finte. Sie kratzt nicht an der Macht, die sie kritisch zu hinter­fragen vorgibt, sondern poliert deren Begrifflichkeiten. Die reale Gewalt verschwindet derweil hinter dem Schillern der Identitäten, die mit Verweis auf ihre angebliche Randständigkeit Autorität beanspruchen.