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Es ist angerichtet

Kolumne Von

Vermutlich könnten sie sich nicht mal auf den Namen des Landes einigen, auf dessen Boden sie stehen. Boy meets Girl an einer Bushaltestelle. Die Blicke sind abgewandt. Sie glauben, miteinander nichts gemein zu haben. Die Bushaltestelle steht in ­Israel. Er ist ein orthodoxer Jude mit Anzug und Hut, sie eine konservative Muslima mit streng gebundenem Kopftuch. Was die beiden nicht ahnen: Sie haben vergangene Nacht gemeinsam gefeiert und wenige Meter voneinander entfernt bei einer Metalshow die Köpfe kreisen lassen. Mit eindrücklichen Bildern erzählt die Band Orphaned Land in ihrem Musikvideo »Like Orpheus« diese auf einer wahren Begebenheit beruhende ­Geschichte. »Like Orpheus« ist die erste Single des neuen Albums ­»Unsung Prophets & Dead Messiahs«.

Nach fünf Jahren Pause kehrt Israels wichtigste Metalband mit einem unerhört dichten Album zurück. Anfang der Neunziger starteten sie mit Death-Metal-Gerumpel, gemischt mit orientalischen Rhythmen. Mittlerweile ist einiges mehr zum Orphaned-Land-Potpourri dazugekommen. Neben harten Growls (»We do not resist«) gibt es Prog-­Balladen (»Poets of Prophetic Messianism«), epische Chöre (»The Cave«) und über das ganze Album verteilt viel arabeske Streicher und kraftstrotzende Gitarren. Das ist manchmal klebrig kitschig wie Baklava, manchmal saftig wie frische Jaffa-Orangen – und garantiert nie langweilig. Zusammengehalten wird das Spektakel von Platon. Dessen Höhlengleichnis war für den postmodernen Philosophen Jean-François Lyotard die Urerzählung der Moderne. Im Kampf gegen Verblendung, Hass­prediger und das Individuum unterdrückende Identitäten kehren Orphaned Land zurück zu dieser Urflamme der Aufklärung. Die Platte spannt den großen Bogen von orientalischem Folk zu modernem Metal. Sie ist die Mezze-Platte unter den Metal-Platten. Viele kleine Köstlichkeiten aus Nahost ergeben vielleicht kein einheitliches Gericht, machen dafür aber großen Spaß beim Durchprobieren.