Der Film »I, Tonya« über die Eiskunstläuferin Tonya Harding

White Trash im Eiskunstlauf

Der Film »I, Tonya« zeigt das Leben der Frau, die als erste den dreifachen Axel sicher stand und den Funktionären immer peinlich war.

Es ist eine gute Entscheidung, »I, Ton­ya« zu sehen, ohne etwas über Tonya Harding zu wissen. Oder, wenn möglich, alles über sie zu vergessen. Die Triumphe auf dem Eis mit dem dreifachen Axel und die Dramen ihres Privatlebens, die Halbwahrheiten und die vermeintlichen Wahrheiten, die sich als Lügen­geschichten erwiesen. Und natürlich den Skandal. Den kündigt Tonya, die Filmfigur, mit der trockenen Ironie von einer an, die die mediale Trash-Inszenierung durchlebt und durchschaut hat, und dem nie unterdrückten Zorn von einer, die nicht vergessen hat, was das für sie bedeutete: »Jetzt kommt das, weswegen ihr alle hergekommen seid.« Tonya Harding war eine Eiskunstläuferin von Weltformat, aber in Erinnerung blieb sie der Welt wegen eines einzigen Vorfalls: ihrer Verwicklung in das Attentat auf ihre Konkurrentin Nancy Kerrigan.

Im Film weiß die Sportlerin nichts von den Plänen ihres dümmlichen On-Off-Liebhabers Jeff Gillooly, Tonyas Eiskunstlauf-Konkurrentin Kerrigan mit einer Eisenstange am Knie zu verletzen und so auszuschalten. Es ­gehört zu den vielen Wendungen der Harding-Geschichte, dass diese Sicht der Dinge mittlerweile überholt ist. Anfang dieses Jahres gestand Tonya Harding, die Echte, in der Doku »Truth and Lies: The Tonya Harding Story«, von den Attentatsplänen ­gewusst zu haben. So »ein, zwei ­Monate vorher« habe sie etwas geahnt. Es sagt viel über die Qualität des wahrhaft großartigen Films »I, Tonya«, dass ihm das nichts anhaben kann. Regisseur Craig Gillespie möchte keine Wahrheit destillieren. Er hat die Courage, nicht zu suggerieren, dass er es könnte. »I, Tonya« präsentiert eine glaubhafte, tiefgründige und gleichzeitig oft absurd komische Version der Geschichte. Wie nahe sie der echten Tonya Harding kommt, weiß nur sie selbst. Aber die Geschichte ist so gut, dass man bald aufhört, danach zu fragen.

 

Die Juroren wollen gutbürgerliche Prinzessinnen in rosa Tüll auf dem Treppchen sehen statt der burschikosen Tonya Harding.

 

Der Film wird als schwarze Komödie und Mockumentary beworben, obwohl diese Schlagworte ihm eigentlich nicht gerecht werden. »I, Tonya« ist ein kluges Drama, das sich als Satire verkleidet, um die Geschichte der Eiskunstläuferin Tonya Harding zu erzählen, die es offensichtlich nie irgendjemandem recht machen konnte. Nicht der Super Soccer Mum, die emotional mit jedem Tiefkühlfach mithalten könnte, ihre Tochter zum Champion prügelt und sie doch nie für gut genug hält. Nicht den Juroren, die gutbürgerliche Prinzessinnen in teurem rosa Tüll auf dem Treppchen sehen wollen statt der burschikosen Tonya Harding, die für White Trash und Armut steht und in selbstgenähten Kleidern aufläuft. Die eine große Klappe hat und Kette raucht und als Kellnerin im Billigimbiss jobbt (ja, wirklich) und ihre Auftritte zu Disco-Mucke absolviert, die so schlecht ist, dass sie schon wieder großartig ist.
Tonya Harding ist die erste Frau der Welt, die in einem Wettbewerb den dreifachen Axel steht. Aber sie lernt früh, dass sie nie genügen kann. Jedenfalls nicht mit ehrlichen Mitteln.