Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, im Gespräch über die antisemitischen Ausfälle der FPÖ

»Die FPÖ darf nicht normalisiert werden«

Die Israelitische Kultusgemeinde Wien (IKG) wird künftig keine politischen Kontakte zu Vertretern der FPÖ ­pflegen, auch nicht zu Regierungsmitgliedern. Der Vorstand begründet die Entscheidung unter anderem damit, dass deutschnationale Burschenschafter Vordenker des politischen Antisemitismus gewesen sind. IKG-Präsident Oskar Deutsch im Gespräch über Anti­semitismus in Österreichdie Normalisierung der Ressentiments und das Verhältnis der bürgerlichen Parteien zur FPÖ.
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Die Israelitische Kultusgemeinde Wien hat aufgrund der Regierungsbeteiligung der FPÖ beschlossen, keine politischen Kontakte zu Vertretern dieser Partei zu pflegen. Wie wurde der Beschluss begründet?
Man muss verstehen, was die FPÖ ist und wofür sie steht. Anders als die AfD hat die FPÖ eine lange Geschichte. Sie ist der politische Arm der deutschnationalen Burschenschaften und heute sind mehr deutschnationale Burschenschafter in der FPÖ-Führungsriege als je zuvor: 40 Prozent der Abgeordneten, mehrere Minister, etliche Mitarbeiter im FPÖ-Parlamentsklub und in den Kabinetten der FPÖ-Minister. Darunter sind Vertreter von rechtsextremen Verbindungen wie zum Beispiel der Gothia oder der Olympia, die den schlimmsten Antisemiten der letzten 100 Jahre huldigen. Die deutschnationalen Burschenschaften sind die Erfinder des politischen Antisemitismus. Die FPÖ ist keine Nazi-Partei. Aber wie Doron Rabinovici richtig sagte, sind diese Burschenschafter die Nachfolger der Vorgänger der Nazis und die FPÖ fällt bis heute immer wieder durch rassistische Ausfälle auf, die sie als Einzelfälle abtut. Wir nennen sie »fast tägliche Einzelfälle«. Wir distanzieren uns von der FPÖ, weil es nicht zur Normalität werden darf, dass eine solche Partei in der Regierung sitzt.

Ein Vizekanzler wie der FPÖ-Heinz-Christian Strache, der in seiner Jugend mit der Neonazi-Szene assoziiert war, wäre in Deutschland undenkbar.
Deutschland ist in all diesen Sachen immer schon sehr viel sensibler gewesen. Wenn dort ein Politiker einen Satz verliert wie Innenminister Herbert Kickl, der sagte, man solle Einwanderer »konzentriert« zusammenlegen, dann wäre er in Deutschland bereits Ex-Politiker. In Österreich ticken die Uhren anders.

Müsste man die Schlüsselrolle von deutschnationalen Burschenschaften stärker thematisieren?
Ja, denn sie sind die ideologische und personelle Basis der FPÖ. Das Problem ist Unkenntnis und dadurch besteht die Gefahr einer schleichenden Normalisierung von rechtsextremem Gedankengut und rechtsextremer Rhetorik. Das Beispiel Kickl zeigt diese Normalisierung. Die Empörung dauerte nur wenige Stunden.
Die FPÖ versucht ihren Antisemitismus zu verschleiern. Heinz-Christian Strache hat sich in den vergangenen Jahren vordergründig vom ­Antisemitismus und der NS-Vergangenheit distanziert.

Der Kampf gegen Antisemitismus steht sogar im Regierungsprogramm. Ist das glaubhaft?
Die FPÖ-Führung hält sich mit Angriffen auf die Jüdische Gemeinde momentan zurück, aber in Hinterstübchen hagelt es antisemitische Aussagen von Funktionären und Abgeordneten. Das ist auch der Grund, warum sie »Kellernazis« genannt werden. Sie artikulieren ihren Antisemitismus meist in den Kellern. Vor den Kameras geben sie sich geläutert. Es ist ein Schauspiel. Wenn sie wirklich den Antisemitismus bekämpfen wollten, sollten sie bei sich selbst beginnen.

Die FPÖ sieht das anders und besteht darauf, dass derzeit die größte antisemitische Bedrohung von Muslimen ausgeht.
Die unmittelbarste Bedrohung für Juden geht seit Jahren vom muslimischen Antisemitismus aus. Das heißt aber nicht, dass der Rechtsextremismus ausgestorben ist. Das eine lässt sich nicht gegen das andere ausspielen. Neonazis sind sicher keine Verbündeten im Kampf gegen Islamisten. Die FPÖ sucht nach einem Koscher-Stempel, um ihren Hass auf Andersdenkende und auf andere Kulturen reinzuwaschen. Dafür stehen wir nicht zur Verfügung.

Unlängst ging ein Facebook-Posting eines Gemeindemitgliedes viral, das den jüdischen ÖVP-Parlamentarier Martin Engelberg kritisierte. Dieser hatte zuvor versucht, sein Großvater und dessen Freunde, die sich als KZ-Überlebende wöchentlich treffen, ins Bundeskanzleramt einzuladen. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass bei dem geplanten Treffen auch der Vizekanzler Strache anwesend sein würde. Wie geht die IKG mit solchen Kontroversen um?
Jedes Gemeindemitglied denkt und sagt, was es will. Wir sind sehr vielfältig und das ist auch wunderbar. Die überwältigende Mehrheit unserer Gemeinde allerdings ist geeint gegen ein FPÖ-Appeasement. Immerhin haben wir den vorher erwähnten Beschluss im Kultusrat einstimmig gefällt. Sieben Parteien, säkulare bis religiöse, Aschkenasim, Sephardim, Linke, Konservative, Liberale. Die Gemeinde wendet sich ganz stark gegen solche Annäherungsver­suche.

Die IKG pflegt zu allen anderen großen Parteien ein gutes Verhältnis, so auch zur konservativen Volkspartei. Wie wirkt sich deren Koalition mit der FPÖ auf die Beziehung zwischen ÖVP und IKG aus?
Die IKG hat zu allen Parlamentsparteien ein korrektes Verhältnis. Es ist zwar enttäuschend, dass die ÖVP die FPÖ in die Regierung geholt hat, aber als Demokraten müssen wir das akzeptieren. So ist Demokratie – und wir werden damit umgehen.

Kurz vor der Nationalratswahl im Oktober 2017 kam es zu einem Skandal: Der sogenannte »spin doctor« der Sozialdemokraten, ein Israeli namens Tal Silberstein, wurde von israelischen Behörden verhaftet. Außerdem wurde bekannt, dass er für die SPÖ »dirty campaigning« betrieben hatte. Die Empörung in österreichischen Boulevardmedien und bei den anderen Parteien wr groß. Wie wurde die Silberstein-Affäre von der Gemeinde bewertet?
Diesmal ist es Herr Silberstein aus Israel, ein anderes Mal der Herr Huber aus Dortmund. Die SPÖ hat Silberstein engagiert und hätte ihn nicht walten lassen sollen. Der Fall wäre auch auf­gefallen, wenn es nicht Herr Silberstein gewesen wäre. Problematisch ist, dass seine Herkunft für politische Agitation genutzt wurde. Dass dann Politiker das Wort »Silberstein-frei« benutzt haben, ist skandalös.