Ein Plädoyer für postrassistische Achtsamkeit

Man kann nicht nicht Rassist sein

Seite 2 – Die Aussage »Ich bin kein Rassist« ist ein Widerspruch in sich

 

Wir führen einen semantischen und ikonographischen Stellvertreterkrieg, natürlich vollkommen zu Recht und in Allianz und im Namen der »Betroffenen«. Das »N-Wort« ist in einem gemeinsamen Diskurs der demokratischen Zivilgesellschaft und der dadurch bezeichneten Menschen als Beleidigung identifiziert, und Ähnliches gilt für bestimmte Bilder, die in einem herabwürdigenden Zusammenhang entstanden oder für bestimmte Riten der Aneignung (»Blackfacing«). Es gibt zweifellos Kulturwaren, die in einer post­rassistischen Gesellschaft nicht mehr, nur unter Vorbehalten oder im »Giftschrank« der Archive zirkulieren dürften. Und es gibt Kulturwaren, die einfach nicht entstehen sollten.

Schwierig wird es indes, wenn dieser semantische, ikonographische und kulturelle Antirassismus statt dem Fortschritt hin zu einer Gesellschaft der Gleichberechtigten zu dienen, zu neuen Brüchen führt. Den Rassismus nämlich kann man sich kaum ohne den Klassismus vorstellen. Wenn wir uns erinnern, wie Message-T-Shirts den Körper bezeichnen und zugleich Überhöhung und Ablenkung bilden, wenn sie Ich-Konstruktion und Außensteuerung miteinander in Einklang bringen (sollen), dann wird die Aussage der Mutter des Models besonders zwiespältig. Sie erklärt nämlich, dass »ihr Junge« von all dem Rummel um das T-Shirt und sein Bild gar nichts mitbekomme, er sei schließlich erst fünf Jahre alt. Den Diskurs des Rassismus am Körper eines »Unschuldigen« zu verhandeln, ist in der Tat – nun, wenigstens tricky.

So könnte man wohl behaupten, dass es nicht allein um den expliziten Rassismus der Text-Bild-Kombination gehe, sondern auch um eine Form des semantischen Missbrauchs. Denn damit, dass das Bild einerseits von der Textilfirma, »vom Markt genommen« wird, andererseits aber in den Posts und Foren massenhaft Verbreitung findet (es verschwindet als Mythem und wird als Indiz wiedergeboren) ist es ja nicht getan. Dieses Bild drückt vor allem die Widersprüche einer Gesellschaft aus, die entweder auf dem Weg zu einer postrassistischen Kultur ist, oder aber in einen brutalen Rassismus zurückfallen könnte. Eine Gesellschaft, die, wie man so sagt, auf der Kippe steht.

 

erstens leben wir in einer Geschichte des Rassismus, wir leben in rassistischer Gesellschaft und sogar in rassistischen Gesellschaften, und wir leben in einer überkommenen rassistischen Bildwelt und in einer rassistischen Sprachwelt.

 

Postrassistische Achtsamkeit darf und muss von einer demokratischen Gesellschaft gefordert werden. Das Argument, damit würde man Liberalität, Kunst- und Meinungsfreiheit gefährden (etwa wenn klassische Kinderbücher postrassistisch »gereinigt« werden sollen) oder gleich »kulturelles Erbe« antasten, hat wenig Substanz. Und auch der allfällige Hinweis »War doch nicht so gemeint«, sollte nur nett sein wie Jim Knopf, verfängt nicht, wenn von der Rechten ein semantischer Bürgerkrieg entfacht wird, der rassistisches Vokabular salonfähig machen oder eben als »Meinungsfreiheit« deklarieren will. Denn natürlich kann man das »Coolest Monkey in the Jungle«-Kapuzenshirt nun einmal nicht wahrnehmen, ohne an rassistische Polizeigewalt und »Black Lives Matter« zu denken. Es geht nicht um eine »Geschmacklosigkeit«, es geht um Leben und Gewalt.

 

Colored, Apartheid

Apartheid im öffentlichen Transportsystem in Louisville, Kentucky, 1943

Bild:
mauritius images / Glasshouse / Circa Images

 

Die Kampagne, die daraufhin gegen H&M ins Leben gerufen wurde, der Rückzug von Testimonials, der offene Protest und der feuilletonistische Nachklang – das alles hat Ähnlichkeiten mit der »Me too«-Kampagne. Es geht um eine Form der selbstorganisierenden Bewegungen, die entstehen, weil der Staat und die gesellschaftlichen Institutionen (einschließlich der Medien) über eine Grundfrage von Verhalten und Macht nicht mehr befinden können oder wollen. Ein Rechtsstaat hat keine Möglichkeiten, entscheidend einzugreifen. Die gesellschaftlichen Ins­titutionen sind uneins. Wir können nicht mehr davon ausgehen, dass es einen gegen Sexismus und Rassismus gerichteten (medial gespiegelten) Konsens gibt. Es gibt keine all­gemeine, verbindliche und praktische Instanz, die gegen rassistische wie sexuelle Übergriffe wirklichen Schutz bietet. Alles, was bleibt, ist die Herstellung von Öffentlichkeit, auch um den Preis, dass dabei die Gegenseite ebenfalls gestärkt und der Bruch vertieft wird. Für die Wiederherstellung einer »Mitte« scheint es in beiden Fällen zu spät. Was wäre auch eine »mittlere« Position, wenn es um ­sexuellen Missbrauch und rassistische Demütigung geht? Wenn T-Shirt-Texte (zum Beispiel) das kollektive Unbewusste einer Gesellschaft (getränkt in Marketing und Konsum) ausdrücken, dann ist es richtig, die Signale aufzunehmen. Wohlwissend, dass es nicht der T-Shirt-Text ist, der die Kritik bestimmt, sondern vieles, was dahinter steckt.

Die Aussage »Ich bin kein Rassist« ist selbst dann, wenn keines der hinlänglich bekannten »aber« angehängt ist, ein Widerspruch in sich. Denn erstens leben wir in einer Geschichte des Rassismus, wir leben in rassistischer Gesellschaft und sogar in rassistischen Gesellschaften, und wir leben in einer überkommenen rassistischen Bildwelt und in einer rassistischen Sprachwelt.

Wir können mithin den Rassismus nicht negieren, selbst dann, wenn wir subjektiv nicht das geringste Interesse an einer irgend wertenden Differenzierung haben (und nicht einmal glauben wollen, dass alle Afrikaner geborene Rhythmiker, Inder besonders mathematikaffin sind und Bayern prinzipiell dahoam sein wollen) und wenn wir in nichtrassistischen Arbeits- und Lebensfeldern agieren. So lange es Rassismus gibt, in seiner manifesten wie in seiner latenten, in seiner mörderischen wie in seiner jovialen Version, so lange gibt es auch die Verpflichtung, nach seinem Ausdruck und nach seinen Wirkungen zu fahnden.

Wenn ich zu wissen meine, was »Rassismus« bedeutet, habe ich ihn bis zu einem gewissen Grad schon akzeptiert. Es ist eines der toxischen Worte, das letztlich noch den Diskurs der Kritik vergiftet. Eine menschliche Gesellschaft würde sich dadurch auszeichnen, dass man sich in ihr gar nicht vorstellen kann, was das ist: Rassismus. So entsteht die gefährlichste Dialektik: Rassismus und Antirassismus sind auf so verhängnisvolle Weise aufeinander bezogen, dass darüber das Bild einer möglichen postrassistischen Kultur verschwindet. Beide sind an der Konstruktion von etwas beteiligt, das es nicht gibt. Menschen haben keine Rassen. Sie haben nur Geschichte im Rassismus, als Täter, als Opfer, als Opfertäter und Täteropfer. Und als deren Nachkommen.

Und damit beginnt bereits die größte der kulturellen Schwierigkeiten. Denn immer geht es um zwei gegenläufige Impulse: Erstens, den Rassismus bewusst machen. Ihn in seiner Geschichte und in seiner Wirkung, in seinen Ursachen und Absichten zu erklären. Und, zweitens, den Rassismus zu unterbinden: ihm die Öffentlichkeit, die Sprache, das Bild, die Verbreitung zu entziehen. Wo aber kippt das Bewusstmachen ins Akzeptieren, und wo das Unterbinden ins Verdrängen?

Beide Impulse haben ihre Extreme, welche dazu tendieren, selbstdes­truktive Energien zu entfalten. Die Gefahr besteht darin, sich statt in ­gelebtem Leben, statt in Arbeit, Kunst und Alltag zum Beispiel, in Form und Fetisch zu treffen. Eine Gesellschaft, in der Rassismus verboten ist, ist noch lange keine antirassistische Gesellschaft. Eben das scheint augenblicklich so schmerzhaft in Erscheinung zu treten: Der Rassismus, der eben noch schon halb überwunden schien, in Vereinbarung, in Verbot und in kultureller Praxis, tritt auf ungeheure, ungeschminkte und gewaltsame Weise hervor, wie etwas, was nur verdrängt, maskiert, verschwiegen, nicht aber bearbeitet und beendet war.

Was wir uns vorstellen konnten (bevor die alten rechten Dämonen ihre Häupter wieder erhoben), war allenfalls eine postrassistische Gesellschaft. Eine Gesellschaft, in der es keinen offen praktizierten Ras­sismus, keine Erlaubnis von rassistischen Texten und Bildern, keine strukturelle Diskriminierung gibt, in der indes die Traumata des Rassismus weiterwirken und in der allen Mitgliedern bewusst ist, dass die Arbeit des Antirassismus nicht getan ist, wenn Gesetze, Gewohnheiten, Texte und Bilder geprüft und verändert sind. Augenblicklich wird wohl nur allzu deutlich, wie sehr eine Gesellschaft ihren inneren Rassismus vor sich selbst und dem Rest der Welt hat verbergen können.