Der Prozess gegen Fabio V. in Hamburg ist geplatzt, doch es gibt noch viele weitere G20-Verfahren

G20 und kein Ende

In jedem der bisher abgeschlossenen Prozesse wegen der Proteste gegen den G20-Gipfel kam es zu einer Verurteilung. Doch nun ist der viel­beachtete Prozess gegen den jungen Italiener Fabio V. vorläufig geplatzt.

Etwa 150 Demonstrationen fanden im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel in Hamburg statt. Keine einzige konnte ohne Einschränkungen die gewählte Route laufen, die meisten wurden von Polizeieinheiten unter Anwendung sogenannter unmittelbarer Zwangsmittel beendet. Einer von 75 verhafteten Teilnehmenden einer spontanen Protestdemonstration, die am 7. Juli frühmorgens von zwei Hundertschaften in der Straße Rondenbarg brachial auf­gelöst wurde, war der damals 18jährige Fabio V. aus Italien. Er war gemeinsam mit etwa 200 anderen Protestierenden auf dem Weg in die Innenstadt, um dort die Zufahrten zum Tagungsort des G20-Gipfels zu blockieren. Die Blockaden waren als ziviler Ungehorsam öffentlich angekündigt.

Fabio V. wurde als erster der am Rondenbarg Festgenommenen vor Gericht gestellt. Es hätte ein Musterprozess werden sollen. Wegen versuchter Körperverletzung, tätlicher Angriffe auf Vollstreckungsbeamte und schweren Landfriedensbruchs wurde Fabio V. angeklagt und saß bis zum 27. November in Untersuchungshaft. Im gesamten Verfahren schaffte die ehrgeizige Staatsanwältin es nicht, auch nur von einem der Polizeizeugen eine gerichtsfeste belastende Aussage zu bekommen. Immer mehr geriet der Prozess zur Farce, immer deutlicher wurde: Es gibt keine konkreten, beweisbaren Tatvorwürfe gegen Fabio V.

 

»Zwei reaktionäre Rentner, die nicht einmal aus Hamburg kommen, haben irgendwas im Fernsehen gesehen und beliebig Anzeigen gegen uns gestellt.« Emily Laquer, »Interventionistische Linke«

 

Die Anklage berief sich darauf, dass der junge Italiener Teil einer Menschenmenge gewesen sei, die sich verabredet habe, gemeinschaftlich Gewalt auszuüben. Sie verwies dabei auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs. Doch diese Sichtweise unterschlage, »dass die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu zwei gewalttätigen Hooligan-Gruppen ergangen ist und sich ausdrücklich nicht auf Demonstrationen bezieht«, sagte die Verteidigerin Gabriele Heinecke dem Neuen Deutschland. »Ein Teilnehmer einer Demons­tration muss sich nicht entfernen, wenn einzelne Personen Gegenstände werfen«, so die Rechtsanwältin. Die Verteidigung stellte auch die Rechtsmäßigkeit der Auflösung der Spontandemonstration in Frage.

 

Richterin krank - Hauptverhandlung beendet

 

Am Montag meldete sich die Vorsitzende Richterin in dem Prozess krank. »Damit ist diese Hauptverhandlung erst einmal beendet«, sagte Rechtsanwalt Arne Timmermann, der zusammen mit Heinecke Fabio V. verteidigt. Die Richterin ist hochschwanger und geht demnächst in Mutterschutz. Unklar ist derzeit, ob der Prozess gegen Fabio V. neu aufgerollt wird – oder ob gegen einen anderen der am Rondenbarg Verhafteten ein Musterprozess angesetzt wird.

In jedem Fall bedeutet das Ende des Prozesses keinen Freispruch für Fabio V. Die Anklage bleibt bestehen. Gleichwohl ist der mittlerweile 19jährige zum europaweit bekannten Symbol für die G20-Prozesse geworden. Das liegt zum einen an den offensichtlich nicht haltbaren Anklagepunkten, die von der Verteidigung in der Beweisaufnahme bis ins Detail widerlegt wurden. Aber auch Fabios Erklärung, in der er am 7. November vor Gericht die politischen Gründe für den Protest gegen den G20-Gipfel und gegen das kapitalistische Weltsystem darlegte, hat dazu beigetragen. Anders als das Gros der Angeklagten hat sich der junge Italiener offensiv zum Protest gegen den G20-Gipfel bekannt. In einem am Montag veröffentlichten Interview mit der Taz sagte er: »Ich möchte auf keinen Fall für berühmt oder wichtig gehalten werden. Ich bin nur ein junger Mensch, der wie viele andere nach Hamburg gekommen ist, um gegen die Ungerechtigkeit in der Welt zu demonstrieren.«

Doch das Verfahren gegen Fabio V. ist nur eines von vielen. »Es sind 43 Urteile und Strafbefehle ergangen. 26 Entscheidungen sind rechtskräftig«, heißt es in der Antwort des Hamburger Senats auf eine kleine Anfrage zu rechtskräftigen Urteilen gegen G20-Demonstranten des Linkspartei-Abgeordneten in der Hamburgischen Bürgerschaft, Martin Dolzer. Die Antwort ist auf dem Stand des 1. Februar. Seither endeten vier weitere Prozesse ebenfalls mit Verurteilungen, zudem kam es mittlerweile zu den ersten Urteilen in Berufungsverfahren in zweiter Instanz, in denen ­erstinstanzliche Urteile abgemildert wurden.

 

Weil es so gut lief, plant Hamburgs Polizeiführung, nach weiteren rund 100 angeb­lichen Delinquenten öffentlich zu fahnden. Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) erklärte die öffentliche Fahndung mit Porträtfotos zu einem Erfolg.
 

Eingestellt wurden Mitte Februar die Ermittlungsverfahren gegen vier Personen, die öffentlich als Organisierende von Protestaktionen aufgetreten waren, darunter Andreas Blechschmidt von der Roten Flora, der linke Anwalt Andreas Beuth sowie Emily Laquer von der »Inter­ventionistischen Linken« (IL). »Der Ursprung dieser Ermittlungsverfahren ist ebenso banal wie absurd. Zwei reaktionäre Rentner, die nicht einmal aus Hamburg kommen, haben irgendwas im Fernsehen gesehen und beliebig Anzeigen gegen uns gestellt«, sagte Laquer der Jungle World. »Ernsthafte Sorgen habe ich mir darüber nie gemacht«, so die IL-Sprecherin. Allerdings waren die juristisch haltlosen Vorwürfe gegen vermeintliche Drahtzieher militanter G20-Proteste tagelang Thema in Medien. »Diese Ermittlungen waren reine Show und Teil der staatlichen Propaganda gegen die G20-Proteste«, sagte Laquer. »Jedem juristisch halbwegs Verständigen war klar, dass die Ermittlungen in der Sache von Anfang an substanzlos waren«, bestätigte auch Andreas Blechschmidt der Jungle World.

Der rot-grüne Hamburger Senat beharrt darauf, dass es sich bei den G20-Verfahren keineswegs um politische Prozesse handle, sondern ausschließlich um die Ahndung von Straftaten. »Wir verhalten uns vollkommen unpolitisch«, beteuerte Hamburgs Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich in einem Interview mit dem Spiegel. »Die Hamburger Staatsanwaltschaft macht ihre Arbeit nach Recht und Gesetz, und das praktisch wie am Fließband.« Er lehne es ab, die ausgesprochenen Urteile als hart zu bezeichnen. Bis Ende 2017 seien 424 Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche Täter sowie weitere 386 gegen unbekannt eingeleitet worden. Bei der Polizei lägen aber noch Tausende weitere Vorgänge. Jan Hieber, Leiter der Soko »Schwarzer Block«, spricht von 3 000 Tatverdächtigen. »Eine Verdächtigung ist kein Tatnachweis«, hält Blechschmidt dem entgegen. Man müsse davon ausgehen, »dass es noch zu weiteren Razzien gegen linke Strukturen in naher Zukunft kommen wird«.

Bereits seit Juli 2017 ermittelt die 180 Beamte umfassende Soko gegen G20-Protestierende. Auch ihre Öffentlichkeitsfahndung wird fortgesetzt. Von 107 Tatverdächtigen, deren Fotos im Dezember in einer beispiellosen Öffentlichkeitsfahndung im Internet und in den großen Hamburger Zeitungen veröffentlicht wurden, seien durch Hinweise bislang 25 gesuchte Personen identifiziert worden, sagte eine Polizeisprecherin. Eine von ihnen ist ein von der Bild-Zeitung auf der ­Titelseite als »Krawall-Barbie« mit Porträtfoto denunziertes minderjähriges Mädchen. Jugendschutz hielt offensichtlich weder bei der Polizei noch bei Bild jemand für relevant.

Und weil es so gut lief, plant Hamburgs Polizeiführung, nach weiteren rund 100 angeb­lichen Delinquenten öffentlich zu fahnden. Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) erklärte die öffentliche Fahndung mit Porträtfotos zu einem Erfolg – weil es gelungen sei, viele ­Tatverdächtige zu identifizieren.

Auch das Feindbild des umherreisenden militanten Autonomen aus dem Ausland, das nach Polizeipressekonferenzen durch viele Medien geisterte, versucht die Polizeiführung am Leben zu erhalten. »Relativ neu ist das Vorgehen der Ausländerbehörde, die Angeklagte in G20-Verfahren nun unabhängig vom Ausgang des Strafverfahrens ausweist und mit einer fünfjährigen Einreisesperre ins Schengen-Gebiet belegt«, sagte Kim König, die Pressesprecherin der Solidaritätskampagne »United we stand«, der Jungle World. »Sollten die Betroffenen vor Ablauf der Einreisesperre nach Deutschland zurückkehren, müssen sie mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren rechnen. Die Ausländerbehörde übernimmt hier strafrechtliche Aufgaben und stellt sich über die Justiz«, ­kritisierte König.